Eine Frage an Dr. Dietrich Heißenbüttel: Mit welchen Kultur-Schichten hat sich das Gesamtareal im Laufe seiner Geschichte aufgeladen?

DSC02902

Kultur-Schichten

Die Villa Berg, zweifellos eines der herausragenden Baudenkmale in Stuttgart, ist gleichwohl weniger ein intaktes Beispiel für die frühe historistische Villenarchitektur des 19. Jahrhunderts. Dazu hat der Bau, ebenso wie der Park, zu sehr unter den Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs und dem nachlässigen Umgang danach gelitten. Doch die Villa war in der gesamten Zeit ihres Bestehens, seit ihrer Erbauung unter Kronprinz Karl und seiner Gemahlin Olga, aber auch in der Zeit des Süddeutschen Rundfunks, immer ein Ort der Kultur. Ihrem beklagenswerten heutigen Zustand ist dies kaum noch anzusehen. Und doch gibt es zum Teil umfangreiche Zeugnisse dieser kulturellen Aktivitäten aus jeder Periode der Nutzung. Diese mehr als 160-jährige Kulturgeschichte wieder sichtbar zu machen und daran anzuknüpfen, könnte der Ausgangspunkt für einen gelungenen Umgang mit dem Kulturdenkmal sein.

Architektur

Als die Villa Berg 1845 bis 1853 erbaut wurde, befand sie sich auf einem Hügel weit außerhalb der Stadt mit Sichtbeziehungen zu den wichtigsten Monumenten des württembergischen Königtums: Schloss Rosenstein, Grabkapelle auf dem Rotenberg und Wilhelma. Dieser Zustand lässt sich natürlich nicht wiederherstellen, wenngleich von den oberen Etagen aus möglicherweise Sichtbezüge bestehen bleiben.

Als privater, quasi bürgerlicher Wohnsitz des Kronprinzen, war die Villa Berg weniger als Schlossbauten auf Repräsentation bedacht, und wurde zum Modell für die Wohnarchitektur der bürgerlichen Oberschicht Stuttgarts und darüber hinaus. Als bedeutendes Beispiel kann die Villa Bosch an der Gänsheide gelten. Andere Bauten wie die besonders opulent ausgestattete Villa des Industriellen Gustav Siegle sind heute nicht mehr erhalten. Wieder andere wie die Villa Gemmingen oder die Villa Reitzenstein greifen als Adelssitze bewusst auf die barocke Schlossarchitektur zurück. Mit zunehmend dichter Bebauung entwickelt sich der Bautypus Villa nach und nach weiter zum bescheideneren Einfamilienhaus in Halbhöhenlage.

Angelehnt an Bauten der italienischen Renaissance, gilt die Villa Berg als frühes Beispiel des Historismus. Dieser zeigt sich in der gleichzeitigen Verfügbarkeit sämtlicher Baustile vergangener Epochen. Der Architekt, Christian Friedrich Leins, wählte für den Königsbau am Schlossplatz eine klassizistische Formensprache, die Johanneskirche am Feuersee baute er in den Formen der Gotik. Die Villa Berg orientiert sich nicht nur an den Formen der Renaissance, sie enthält auch ein originales Bauteil aus dieser Epoche. 1845, im Jahr des Baubeginns, wurde das Neue Lusthaus aus dem 16. Jahrhundert, das sich an der Stelle des heutigen Kunstgebäudes befand, „unter den Stoß-Seufzern der kunstliebenden Bevölkerung“ (August Köstlin) radikal erneuert. Dabei verschwand der komplette, überaus reiche Skulpturenschmuck. Kronprinz Karl sicherte sich einige exemplarische Stücke, weitere gelangten in das kurz zuvor erbaute Schloss Lichtenstein und in den Privatgarten des Schriftellers Friedrich Hackländer auf der Gänsheide, der Karl beim Bau der Villa Berg beriet. Eine Konsolfigur von Sem Schlör, eingeschlossen in ein Beschlagwerkornament des 16. Jahrhunderts, ist als Schlussstein in einen Bogen an der Ostfassade der Villa eingemauert.

Skulptur

Zwei weitere, ähnliche Figuren, ebenfalls von Sem Schlör, eine Hirschkonsole, ein Relief des Simson mit den Stadttoren und ein Pilasterkapitell, alle aus dem Neuen Lusthaus, waren in einer Grotte an der Westfassade untergebracht, ebenso die Wetterhexe, eine ursprünglich drei Meter hohe, kupferne, goldbemalte Wetterfahne, von der nur der Sockel erhalten ist. Alle diese Fragmente befinden sich heute im Städtischen Lapidarium.

Dort befinden sich auch noch andere Skulpturen aus dem Park und der Villa, darunter die steinerne Ingeborg mit dem Falken von Joseph von Kopf, die Bronzestandbilder der Sandalenlösenden Venus von Ivan Petrovich Vitali und das 1883 entstandene Muckenbüble von Wilhelm Rösch. Eine Prunkschale aus Jaspis, die Zar Nikolaus I. seiner Tochter Olga zum Einzug schenkte und zwei Volutenamphoren aus Vulkanit, hergestellt im südsibirischen Kolywan, werden ebenfalls im Lapidarium verwahrt.

Wie bei fürstlichen Gartenanlagen der Zeit üblich, war der Park der Villa Berg mit verschiedenen Pavillons, kleineren Architekturen und zahlreichen Skulpturen bestückt. Insgesamt waren um die Villa in der Zeit bis zur Krönung Karls 1864 mindestens 25 Statuen aufgestellt, dazu Reliefs, Brunnen, Kandelaber und weiterer plastischer Schmuck. Einige weitere wie das Muckenbüble, die allegorische Figur Liebe macht blind von Donato Barcaglia von 1884, ein Aschenbrödel von Theodor Scheerer aus demselben Jahr oder die 1910 entstandene Wasserspendende Nymphe von Franz Linden kamen später hinzu. Vor Ort finden sich heute nur noch der Nymphenbrunnen von Albert Güldenstein, verschiedene Kandelaber und Blumenschalen sowie einige Kriegerdenkmale und Mahnmale jüngerer Zeit.

Doch an anderen Orten sind weitere Skulpturen erhalten: Fünf Standbilder von Ludwig von Hofer, Heinrich Maximilian Imhof und Barcaglia stehen heute in der Rotunde der Neuen Staatsgalerie, Lindens Wasserspendende Nymphe auf dem Pragfriedhof. Weitere Werke befinden sich in Privatbesitz, vermutlich im Depot des Stadtarchivs oder sind nicht erhalten. Noch 2010 hat der SWR die 1828 entstandene, ursprünglich an der Westfassade angebrachte Figurengruppe Jupiter und Antiope von Francesco Pozzi versteigert.

Der umfangreiche Skulpturenschmuck ist zweifellos integraler Bestandteil des Kulturdenkmals Villa Berg. Dass vor Ort kaum noch etwas davon erhalten ist, zeugt von Vernachlässigung. Wenn die Villa wieder ihrem historischen Rang entsprechend in Wert gesetzt werden soll, so gehört dazu auch die Überlegung, einige dieser Skulpturen in den Park zurückzubringen. Vollständig lässt sich der frühere Zustand sicher nicht restituieren, schon allein weil nicht alle Werke erhalten sind. Die fünf Standbilder von Hofer, Imhof und Barcaglia gehören mittlerweile zum festen Bestand der Neuen Staatsgalerie, wo sie freilich in ihren telefonzellenartigen Kabinen gegenwärtig auch keinen sehr gepflegten Eindruck hinterlassen. Andere Skulpturen – oder gegebenenfalls Abgüsse – könnten jedoch ohne weiteres wieder in den Park der Villa Berg zurückversetzt werden.

Park

Als „wahres Eden“ bezeichnet Theodor Griesinger 1866 den Park der Villa Berg: „Wer nur ein einziges Mal dort war und zugleich die herrlichen Parkanlagen nebst der wundervollen Orangerie besuchte, den wird es nicht mehr Wunder nehmen, warum das hohe Königs-Paar Karl und Olga hier viel lieber jeden Sommer seinen Aufenthalt nimmt, als in irgendeinem der renommiertesten Bäder und Vergnügungsörter Europas.“

Die Villa Berg war berühmt für ihre Pflanzenwelt, angefangen mit der Orangerie, dem zuerst fertiggestellten Gebäude an der Stelle der heutigen Johann-Friedrich-von-Cotta-Schule. Neben Zitrusfrüchten waren dort unter anderem Palmen, eine Sammlung von 6000 Kamelien und Azaleen sowie 200 Sorten Orchideen untergebracht. Es gab einen Küchengarten mit mehr als 500 Gemüsearten, Artischocken, Feigen und Ananas. Der Park, wie der Schlossgarten eine Mischung aus axialen Anordnungen mit vierreihigen Platanenalleen und einem umgebenden Englischen Landschaftsgarten, enthielt Rasenstücke und Blumenrabatten, einen Obstgarten mit 400 Arten und einen Weinberg, „eine Menge alter Tannenarten“ und eine Rosensammlung mit 500 Sorten.

Diese fürstliche Pracht lässt sich mit der Funktion eines Volksgartens nicht in Einklang bringen. Der Erwerb durch die Stadt 1915 wurde damals begrüßt, weil dadurch der dicht bevölkerte, ausgedehnte Stadtteil Ost eine öffentliche Grünanlage erhielt. Der Pflanzenreichtum ging zurück, dafür kamen ein Parkrestaurant und ein Kinderspielplatz hinzu. Heute wirkt der Park vernachlässigt. Neben Gehölzen und Gras bleibt allenfalls die Rosenpergola an der Westseite in einem wenig gepflegten Zustand erhalten.

Malerei

Die Geschichte des heutigen Kunstmuseums beginnt in der Villa Berg: 1925 vermachte der Markgraf Silvio della Valle di Casanova, der zum Musikstudium nach Stuttgart gekommen war, der Stadt seine Sammlung schwäbischer Impressionisten. Es handelte sich um 55 Gemälde von Otto Reiniger, 17 von Hermann Pleuer, 8 von weiteren Künstlern sowie die Porträts des Markgrafen und seiner Frau von Bernhard Klinckerfuß.

Beinahe wäre stattdessen die bedeutendste Sammlung von Grafiken des französischen Karikaturisten Honoré Daumier in die Villa gekommen. Otto Fischer, der Direktor der Staatsgalerie, hatte darüber bereits mit Eduard Fuchs zu verhandeln begonnen. Fuchs, dessen Porträt von der Hand Max Slevogts sich in der Staatsgalerie befindet, war als Verfasser der Illustrierten Sittengeschichte zu Geld gekommen. Als politischer Aktivist und Unterstützer von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg, war er zugleich ein geachteter Kunstsammler, der seine Daumier-Sammlung Stuttgart überlassen hätte, wenn sie denn in der Villa Berg oder Schloss Rosenstein ausgestellt worden wäre. Zur selben Zeit, 1924, zeigte Fischer im „Stuttgarter Kunstsommer“ erstmals in größerem Umfang Expressionisten, wurde dafür allerdings vom Landtag gerügt. Er orientierte sich neu, wurde Ehrenberater der chinesischen Reichsmuseen und wechselte 1927 nach Basel. Die Stiftung kam nicht zustande.

Reiniger und Pleuer hatten sich noch vor 1900 – für deutsche Verhältnisse früh – einer impressionistischen Malweise zugewandt. Reiniger ist vor allem bekannt für seine Ansichten des Feuerbachs. Meisterhaft malte er die Reflexionen des Lichts auf dem fließenden Gewässer – doch den Zeitgenossen, gewohnt an Historien-Schinken, blieb unbegreiflich, was er mit einem solchen Nichts an Motiv sagen wollte. Nicht besser erging es Pleuer, der mit Mondscheinlandschaften angefangen hatte und dann gegen Ende des 19. Jahrhunderts die Eisenbahn zu seinem Thema machte. Er kann damit zugleich, nach Adolf Menzel, als einer der ersten realistischen Maler gelten. Doch schwitzende Bahnarbeiter waren nicht das, was das Stuttgarter Publikum sehen wollte. Interessanterweise waren es in beiden Fälle adlige Sammler, die für diese Kunst ein Auge hatten – neben Casanova unter anderem der Freiherr Franz von König-Fachsenfeld.

1925 wurde die Villa Berg renoviert und technisch aufgerüstet. Zur Eröffnung am 28. Mai war die Sammlung erstmals zu sehen und blieb dann im zweiten Stock dauerhaft ausgestellt, während das Erdgeschoss und das erste Obergeschoss für repräsentative Empfänge der Stadt genutzt wurden. Nach dem Zweiten Weltkrieg begann Eugen Keuerleber mit dem Erwerb von Werken von Otto Dix den zweiten, heute weitaus renommierteren Schwerpunkt der Sammlung aufzubauen, die dann ab 1961 im Kunstgebäude und schließlich ab 2005 im Kunstmuseum ausgestellt war.

Bauliche Veränderungen der Nachkriegszeit

Von Bombenangriffen getroffen, war die Villa nach dem Zweiten Weltkrieg ausgebrannt, aber auch innen keineswegs vollständig zerstört. Allerdings zeigte sich die Stadt nicht geneigt, ihre Verantwortung für das Baudenkmal wahrzunehmen und übergab Villa und Park an den Süddeutschen Rundfunk. Völlig ausgebeint, blieb von der Villa nur die Fassade stehen, reduziert um die Ecktürme und zwei niedrige Flügelbauten an der Nordseite. Dahinter verbirgt sich ein Neubau der 1950er-Jahre. Der Große Sendesaal war auch konstruktiv von den Außenwänden getrennt.

In der Folgezeit hat der SDR ungefähr ein Viertel der Parkfläche überbaut. Nördlich entstand zuerst das 1959 eingeweihte, von Rolf Gutbrod entworfene Hörfunkgebäude mit dem fünfeckigen Probesaal des Rundfunk-Sinfonieorchesters als nördlichem Abschluss. Es folgten eine Reihe funktionaler Fernsehgebäude, bevor in den 1970er-Jahren die Neubauten an der Neckarstraße entstanden. Nach dem Bau einer Tiefgarage wurde der Terrassengarten an der Südseite der Villa im Stil der 1960er-Jahre asymmetrisch mit Waschbeton und versetzten Bassins neu gestaltet. „Da sie nie richtig abzudichten war“, heißt es in der von Ulrich Gohl herausgegebenen Publikation des Vereins Muse-O zu der Brunnenanlage, „wurde sie bald weitgehend stillgelegt und teilweise bepflanzt.“

Während die Sichtbeziehungen unterbrochen waren, wurde der Park der Villa Berg 1977 im Zuge der Bundesgartenschau durch Fußgängerstege mit dem Unteren Schlossgarten und dem Rosensteinpark verbunden. Insbesondere die Stege von Jörg Schlaich vom Mineralbad Leuze zum Rosensteinpark gehören zu den epochemachenden Bauwerken ihres Genres.

Trotz der zum Teil brachialen Eingriffe in die historische Substanz, die schon von der zeitgenössischen Presse und Öffentlichkeit kritisch beurteilt wurden, sind nicht alle Neubauten nur negativ zu bewerten. Das Hörfunkgebäude von Rolf Gutbrod, das mit seinem Majolikafries unter dem Dach und dem fünfeckigen Probesaal ein wenig an die Liederhalle erinnert, steht zu recht unter Denkmalschutz. Der Terrassengarten an der Südseite hat sicher keine Auszeichnung verdient, ließe sich jedoch durch Wiederinbetriebnahme der Wasserspiele, Blumenschmuck und Sitzgelegenheiten in von Bäumen beschatteten stillen Ecken vom gegenwärtigen Zustand der Verwahrlosung ohne hohen Aufwand in einen Ort mit hoher Aufenthaltsqualität verwandeln. Über das neue Innenleben der Villa mag man geteilter Ansicht sein. Immerhin geht der Große Sendesaal wesentlich auf Egon Eiermann zurück, einen der führenden Architekten der Nachkriegszeit, der freilich in Stuttgart durch den Abriss des Kaufhaus Schocken 1960 in unrühmlicher Erinnerung geblieben ist. Von unbestreitbarem Rang ist auch die Walcker-Orgel. Zweifellos ist das Ensemble aus neu gestalteter Villa und Gutbrod-Bau ein Monument ersten Ranges für die Rundfunkkultur der Nachkriegszeit.

Rundfunk, Film, Neue Medien

Der öffentlich-rechtliche Rundfunk, und zwar zuerst der Hörfunk, bevor das Fernsehen zunehmend Verbreitung fand, war das Leitmedium der jungen Bundesrepublik, die sich im Gegensatz zum Nationalsozialismus weltoffen und demokratisch präsentieren wollte. Daher stammt der Kulturauftrag im Staatsvertrag, daher erklärt sich die besondere Rolle der Rundfunk-Sinfonieorchester und die außerordentliche Entwicklung der Neuen Musik. Aber auch auf dem Gebiet der Literatur und des Hörspiels waren die Rundfunkanstalten von herausragender Bedeutung für die kulturelle Entwicklung der Nachkriegszeit. Schlager, Klassik, Jazz, Landfunk und neue Literatur: das Spektrum war denkbar weit und umfasste alle Bereiche des Kulturlebens. Am Süddeutschen Rundfunk wirkten Erwin Lehn und dann Wolfgang Dauner, Martin Walser und Alfred Andersch – um nur einige wenige zu nennen. Arno Schmidt, Theodor W. Adorno und Max Bense gehören zu den vielen Autoren, die im zweiten Programm wiederholt zu Wort kamen.

Diese für die Geschichte der Bundesrepublik so wichtige Entwicklung ist im Rundfunkarchiv umfangreich dokumentiert, aber noch kaum aufgearbeitet. Allein ein 1996 entstandenes Verzeichnis der Sendungen der Redaktion Radio-Essay – und dies war nur eine von vielen des Kultursenders Südfunk 2 – umfasst Einträge zu 2624 Sendungen, zu denen ausnahmslos Manuskripte und in 925 Fällen auch Tondokumente erhalten sind. Dieses Material kann auf Anfrage eingesehen werden, was jedoch kaum bekannt ist. Auch im Fernsehen entstanden zuweilen außergewöhnliche Produktionen wie zum Beispiel Samuel Becketts 1981 zuerst ausgestrahlte, abstrakte Choreografie Quad. Später zog das Haus des Dokumentarfilms in die Villa Berg ein. Auf dem angrenzenden Teck-Areal / Kulturpark Berg befindet sich die Merz Akademie: eine interessante Nachbarschaft.

Raum für Kultur

Das Fehlen von Räumen für Kultur war eines der wiederkehrenden Themen im Stuttgarter Kulturdialog. Es gibt kein Kommunales Kino mehr, es fehlt an Auftritts- und Proberäumen für den Tanz, im gesamten Stuttgarter Osten gibt es kein Kulturzentrum. Am Rande des bevölkerungsreichen Stadtteils gelegen, aber auch von der Innenstadt und Cannstatt aus gut zu erreichen, mit Bezügen zur älteren Geschichte, aber auch zur Kultur der Nachkriegszeit, bietet die Villa in hohem Maße das Potenzial, zu einem Ort zu werden, mit dem sich die Bewohner des Ostens und der gesamten Stadt identifizieren.

Damit dies geschehen kann, wären folgende Punkte zu berücksichtigen:

  1. Es versteht sich von selbst, dass der Park und die Villa, die sich heute zum Teil in einem verwahrlosten Zustand befinden, stärkerer Pflege bedürfen, angefangen mit einfachen Maßnahmen wie der Bepflanzung von Blumenbeeten oder der Instandsetzung der Wasserspiele. Der ursprüngliche Reichtum der Pflanzungen ist sicher nicht wiederherzustellen. Aber gegenüber dem aktuellen Stand ließe sich, anknüpfend an die frühere Gestaltung, manches verbessern. Warum nicht wieder Obstbäume und Weinreben pflanzen? Wenn die Stadt den Aufwand der Pflege scheut, könnte sie Teile des Parks für Guerilla Gardening freigeben.
  2. Die heute kaum noch erkennbaren historischen Bezüge müssen wieder erfahrbar gemacht werden. Ursprünglich im Park befindliche Skulpturen könnten dort wieder aufgestellt werden; die Gestaltung der Parkanlagen könnte sich stärker am ursprünglichen Zustand orientieren; die Geschichte der Villa sollte in einer Ausstellung und/oder auf Stelltafeln im Park nachvollziehbar gemacht werden. Denkbar wäre, die originale Gemäldesammlung des Markgrafen di Casanova in der Villa auszustellen, für die sich das Kunstmuseum bisher nur wenig interessiert hat. Denkbar wäre auch – aber dies ist vom Interesse des SWR abhängig – die Rundfunkgeschichte zu präsentieren, bis hin zu einer stärkeren öffentlichen Erschließung der Archivbestände.
  3. Zu einem starken Anziehungspunkt für den Stuttgarter Osten, die gesamte Stadt und auch auswärtige Gäste kann die Villa Berg nur werden, wenn sie ein breites Programm für unterschiedliche Besucher bietet. Als Veranstaltungsort böte sie genügend Platz für stadtteilbezogene wie übergreifende Aktivitäten, da neben dem Großen Sendesaal auch noch der Probesaal im Gutbrod-Bau sowie zahlreiche kleinere Räume zur Verfügung stehen.
  4. Der Große Sendesaal hätte die richtigen Dimensionen als Veranstaltungsraum für den Stuttgarter Osten, aber auch, um das Kommunale Kino aufzunehmen. Allerdings hat sich die Medienlandschaft gegenüber der Zeit, als die Kommunalen Kinos in Reaktion auf den Kulturverlust durch das Kinosterben der 1960er-Jahre gegründet wurden, sehr stark verändert. Interessanter als einfach das alte Modell fortzuführen wäre, diese Veränderungen zu analysieren und ein modernes Medienzentrum zu installieren, in dessen Mittelpunkt weiterhin Filmvorführungen stehen könnten, das aber auch auf neuere Entwicklungen reagiert. In Kooperation mit der Merz-Akademie könnte hier ein einzigartiges Kompetenzzentrum entstehen.
  5. Für ein breites, nicht speziell kulturinteressiertes Publikum, also die Bewohner des Stuttgarter Ostens, ist die Villa Berg in erster Linie Freizeitort. Park und Kinderspielplätze gehören wie in den 1920er-Jahren dazu, ebenso das beliebte Schachfeld an der Südterrasse, aber auch eine mit anderen Bedürfnissen nicht kollidierende Gastronomie. Denkbar wäre, bei entsprechender statischer und technischer Aufrüstung, die Dachterrasse der Villa als Café zu nutzen. Mit dem Blick auf den Park und Umgebung würden die historischen Sichtbezüge wieder erfahrbar. Ein entsprechend gelenkter Parcours beim Aufstieg zur Dachebene könnte als Lehrpfad zur Geschichte der Villa dienen, der von den Besuchern zwanglos, im Vorübergehen wahrgenommen würde.
  6. All dies ist möglich, ohne dass die Stadt ausschließlich Steuermittel versenkt. Ideen und Vorschläge müssen am Anfang stehen, erst danach lässt sich die Finanzierung klären. Es gibt zahlreiche interessierte Vereine und Initiativen wie der Verein Kommunales Kino oder Stadtteilinitiativen aus dem Stuttgarter Osten, die zum Teil bereits detaillierte Vorstellungen entwickelt haben. Ein erster Schritt wäre, diese an einen Tisch zu bekommen, um ihre Vorstellungen, ihren Raumbedarf aber auch ihre Ressourcen zu ermitteln. Auch wenn sie keine umfangreichen finanziellen Mittel mitbringen, ist ihr Engagement doch mit Geld nicht aufzuwiegen: nicht nur wegen der ehrenamtlichen Arbeit, sondern auch, weil jede Initiative zugleich ein bestimmtes Publikum erschließt. Wenn die Villa Berg aus ihrem Aschenputteldasein erlöst und wieder zu einem Anziehungspunkt wird, werden alle Ausgaben zu einer Investition, die sich bezahlt macht: nicht nur für die Betreiber einer Gastronomie, sondern für die gesamte Stadt.

Zitierfähiger Titel des Gastbeitrags:
„Die Kulturschichten von Villa Berg und Park“ (Autor: Dr. Dietrich Heißenbüttel, 10.04.2014)

Dr. Dietrich Heißenbüttel ist Journalist, Kritiker und Kunsthistoriker. Er hat Architektur (TU Berlin) sowie Kunstgeschichte / Allgemeine und vergleichende Literaturwissenschaft (Universität Stuttgart) studiert. Promoviert hat er an der Martin-Luther-Universität (Halle / Saale) zu dem Thema „Italienische Malerei vor Giotto: Wandmalerei und Geschichte des Gebiets um Matera bis zur Mitte des 14. Jahrhunderts”. Seit 1999 ist er freiberuflich als Journalist tätig und hat kunsthistorische Arbeiten zu Renaissancemöbeln, mittelalterlicher Wandmalerei, interkulturellen Begegnungen im Mittelmeerraum, afrikanischer Gegenwartskunst und Globalisierung veröffentlicht. Mit dem Buch Kunst in Stuttgart: Epochen – Persönlichkeiten – Tendenzen“ hat er als Herausgeber ein neues Standardwerk zur Stuttgarter Kunstgeschichte geschaffen.

Literatur:

  • Christine Breig, Der Villen- und Landhausbau in Stuttgart 1830 – 1930. Ein Überblick über die unterschiedlichen Umsetzungen und Veränderungen des Bautypus Villa in Stuttgart, Stuttgart 2000.
  • August Köstlin: „Das alte herzogliche Lusthaus in Stuttgart“, in: Allgemeine Bauzeitung 1870, S. 186-190.
  • Dietrich Heißenbüttel (Hrsg.): Kunst in Stuttgart. Epochen, Persönlichkeiten, Tendenzen, Stuttgart 2013.
  • Ulrich Gohl (Hrsg.): Die Villa Berg und ihr Park. Geschichte und Bilder, Stuttgart 2007.
  • Wikipedia-Eintrag zu den Skulpturen von Gerd Leibrock.
  • Theodor Griesinger: Württemberg nach seiner Vergangenheit und Gegenwart in Land und Leuten, Stuttgart 1866.
  • Timo John: Die königlichen Gärten des 19. Jahrhunderts in Stuttgart, Stuttgart 2000.
  • Radio-Essay 1955-1981. Verzeichnis der Manuskripte und Tondokumente, Stuttgart 1996.
  • Website des Vereins Neues Kommunales Kino Stuttgart e.V.