Veni, vidi… – Die Reise nach Italien
Die Entstehung der Villa Berg in Stuttgart habe ich als faszinierende Geschichte entdeckt, voller Leidenschaft und Ehrgeiz der drei Männer: Kronprinz Karl, Friedrich Wilhelm Hackländer – der Sekretär – und Christian Friedrich von Leins – der Hofbaumeister. Mitte des 19. Jahrhunderts, zur Zeit der Entwicklung der Eisenbahn, als das englische Wort „Tourist“ in der deutschen Sprache auftaucht, haben die drei Freunde entschieden, nach Italien zu reisen. Die Reise war für den Kronprinz beeindruckend. Besonders von dortigen Villen begeistert, verspürte der Thronfolger den Wünsch ein Stück Italien in Stuttgart zu erstellen. Wie der Renaissance-Adel wollte auch Kronprinz Karl näher zur Natur wohnen und das gesellschaftliche Leben mit der kulturellen Entwicklung verbinden und der Privatsphäre annähern. Der Wohnsitz war für den Kronprinz Karl und seine Frau Olga, Großfürstin von Russland, gedacht, welche er 1846 geheiratet hatte.
Villa oder Burg?
Das Besondere des Entwurfs der Villa ist die Finesse des Konzepts. Die Villa wurde 1845 auf der Spitze des Höll’schen Bühls, am Eingang des Stuttgarter Talkessels, gebaut. Das Bauwerk ist an der Blickachse zum Königsschloss Rosenstein ausgerichtet, welches dem Vater des Kronprinzen, Wilhelm I., gehörte und dies beeinflusst das ganze Konzept. Quer zu dieser gedachten Linie verläuft die Kompositionsachse der ganzen Anlage, die den Entwurf des Parks, die Lage des Gebäudes und die Bedeutung der Nordflügeln begründet. Die Villa ist auch durch eine Blickachse mit dem Württemberg verbunden, wo sich die Grabkapelle der Königin Katharina befindet und sich ursprünglich die Stammburg der Dynastie befand.
Die Gestaltungsidee der Villa Berg ist ebenso sehr durchdacht. Das Gebäude im Stil der italienischen Neorenaissance nimmt Bezug auf regionale Traditionen, die sich zum Beispiel im geschosshohen Sockel aus kräftigen Rustikaquadern des roten Sandsteins erkennen lässt. Dieses Untergeschoss, das auch die wichtigen Nordflügel mit den beiden Toren der Ein- und Ausfahrt umfasst, erwecken den Eindruck einer Ringmauer mit burgenartigem Charakter. Auch die Türme und Art des Innenhofs sind der italienischen Architektur fremd und erinnern eher an den Bau der germanischen Tradition.
Im Inneren der Villa
Im Inneren erfüllt das Bauwerk repräsentative und private Funktionen einer königlichen Residenz. Die Parkanlage und die Flügel mit dem Innenhof dienen dem herrschaftlichen Empfang. Das Eingangstor befindet sich auf der Blickachse zur Stadt Stuttgart in der Mitte des Nordflügels mit Übergang zum Park mit Belvedere. Im Erdgeschoss befinden sich repräsentative Räume des gesellschaftlichen Lebens, die sich in den Gebäudeachsen auf die vorgelagerten Terrassen des Unterbaus öffnen. Die Raumfolge ist zirkular um den Kern des Treppenhauses angeordnet. Der größte Raum ist der zweigeschossige Tanzsaal mit einer Galerie für Orchester und Zuschauer. Die zentrale, repräsentative Treppe führt ins Obergeschoss. Diese Ebene ist in zwei symmetrische Hälften aufgeteilt. Auf der Südseite befinden sich die Zimmer des Königs, auf der Nordseite die Zimmer der Königin. Die beiden Raumfluchten der privaten Bereiche treffen sich im gemeinsamen Schlafzimmer. Im Dachgeschoss befinden sich Räume für die Bediensteten. Im Untergeschoss sind grottenartige Räume einer Badeanlage mit einer Verbindung zu dem vorgelagerten Wasserbecken eingebaut.
Damals und heute
Sowohl diese gestalterischen Elemente, die Qualität des Entwurfs, die Komposition und Lage der Villa als auch die Entstehungsgeschichte machen die Villa und den Park in ihrer ursprünglichen Gestaltung zu einer Einheit von hoher Wichtigkeit. Die Villa wurde 1951, nach der Zerstörung im Zweiten Weltkrieg, nach der damals vorherrschenden Denkweise ohne Rücksicht auf das bestehende Bauwerk, sondern nur im Hinblick auf die neue Nutzung – der Sendesaal – umgebaut. Die Nutzung erforderte erhebliche Änderungen im ursprünglichen Konzept. Durch die Zerstörung der Flügelbauten und die Errichtung der Studiobauten sind die Blickachsen architektonisch nicht mehr vorhanden. Der Bau des Studios in unmittelbare Nähe hat die Villa ihrer Dominanz beraubt. In den nach dem Bombenbrand übrig gebliebenen Außenmauern wurde der zweigeschossige Sendesaal nach dem Entwurf von Egon Eiermann eingebaut. Um den Sendesaal stützenfrei konstruieren zu können, wurden die Turmaufbauten an den vier Ecken des Gebäudes entfernt. Durch diese Maßnahmen gingen die architektonischen Grundmotive und die ästhetischen Proportionen des Entwurfs von Christian Friedrich Leins verloren.
Die Villa Berg schafft Identität
Die Villa Berg wurde am Beginn der Industrialisierung sowie während politischer und philosophischer Umbrüche entworfen. Es waren die Zeiten der stürmischen Diskussionen, in der man die Fragen nach Bedürfnissen der neuen Gesellschaft beantworten wollte. Auch in der Architektur suchte man nach einer eigenen Identität in der sich verändernden Welt. Gottfried Semper (1803 – 1879), der große Architekturtheoretiker, schrieb damals über Faktoren, die in einem Gebäude erkennbar sein sollen: „alle räumlichen und persönlichen Einflüsse und Momente der Gestaltung (…): physische Beschaffenheit des Landes (…) [und] lokale Einflüsse (…). Endlich, ist noch die Hand des Künstlers, dessen individuelle Persönlichkeit und Stimmung hervorzuheben“[1]. Er zeigt, dass ein Gebäude an regionale Bedürfnissen und Traditionen angepasst werden sollte, um die Identität der lokalen Gesellschaft zu stärken. Im Entwurf der Villa Berg wurde das durch Bezüge an regionale architektonische Elemente und Blickachsen verwirklicht. Heutzutage hat sich die Recherche der Kulturwissenschaften in dieser Richtung stark weiterentwickelt. Beispielsweise wurde nachgewiesen, dass es neben dem Gedächtnis jedes einzelnen Menschen auch ein „Gruppengedächtnis“ gibt, in welchem Kultur, Werte und Identität gespeichert und durch verschiedene Elemente tradiert werden. Diese können zahlreiche Formen annehmen: von der architektonischen Gestalt der Stadt bis zum spezifischen Idiom der Sprache oder den unzählbaren Details des Alltags. Die Villa Berg übernimmt in Stuttgart eine derartige Funktion. Die Forschungen kommen zu dem Ergebnis, dass das Gruppengedächtnis geprägt und geschützt werden muss, um die Identität der Gesellschaft und der Einzelnen zu schützen.
„Süddeutsche Akademie der Künste und Wissenschaften“
In dem Entwurf meiner Masterarbeit gehe ich davon aus, dass durch den Umbau 1951 die im Entwurf erhaltene Verbindung mit geschichtlichen Wurzeln unterbrochen wurde. Die übrigen Elemente des Konzeptes – Außenwände des Gebäudes und Teile des Parks – bilden keine Einheit mehr. Deswegen stelle ich in meinem Projekt ein Konzept vor, in dem der Sendesaal von Egon Eiermann herausgenommen und an einem anderen Ort wieder aufgebaut wird, dafür wird im Inneren der Villa das ursprüngliche architektonische Gefüge nach zeitgenössischen Bedürfnissen wiederaufgebaut. Auch die für das ursprüngliche Konzept wichtigen Nordflügeln und Türme werden in moderner Formensprache wiederhergestellt. Im Projekt war es mir wichtig, die Blickachsen wieder wirken zu lassen. So entsteht ein Konzept von einer „Süddeutschen Akademie der Künste und Wissenschaften“. Die wiederhergestellte Villa Berg soll ein Ort der Begegnung für Stuttgart werden. In diesem Konzept wird das Gebäude zum Zentrum des Denkens und Schaffens. Hier werden Räume für Arbeit und Kommunikation zur Verfügung gestellt. Ziel des Projektes ist die Wiederverknüpfung und gegenseitige Unterstützung von zum Teil sich widerstrebenden oder ignorierenden Kräften: Wissenschaft und Kunst – und deren Verbindung mit der Öffentlichkeit. Hier finden Sie die Pläne zu dem Entwurf „Süddeutsche Akademie der Künste und Wissenschaften“:
Im Erdgeschoss befinden sich Seminar- und Ausstellungsräume und im Obergeschoss die Säle für Gruppenarbeit. Im Dachgeschoss werden Hotelzimmer und Appartements für Teilnehmer des Projektes eingeplant. Nicht nur die dynamische innere Struktur des Gebäudes mit seinen vertikalen und horizontalen Verbindungen wird wiederhergestellt, sondern auch die Abstufung der privaten Sphäre der Villa, was sich in der Fassadengestaltung wiederspiegelt. Die Räume in Nordflügel dienen als Ateliers für Künstler und die Terrassen als Cafeteria. Im Untergeschoss werden Thermen geplant. Zusammenfassend ist der Schwerpunkt meines Entwurfs das Wiederanknüpfen an die Elemente des ursprünglichen Konzeptes, die Integration in eine Einheit und die Verbindung der Villa Berg mit der Struktur der Stadt als ein Ort der Begegnung. Die vollständige Arbeit – vorgelegt von Maria Gromadzka als Masterthesis an der Hochschule für Technik im SS 2014, unter Betreuung von Prof. Peter Krebs, Prof. Harald Roser und Prof. Peter Schneider – finden Sie in der folgenden PDF-Datei. Eine weitere Veröffentlichung oder Vervielfältigung der Diplomarbeit ist ohne Zustimmung der Autorin nicht erlaubt.
[1] Semper, Gottfried: Schmuck als Kunstsymbol, in: Monatsschrift des wissenschaftlichen Vereins. Akademische Vorträge, Heft 3, S. 5-42, Zürich 1856, S. 40
Maria Gromadzka studiert Denkmalpflege an der Technischen Universität in Berlin. Zuvor studierte sie Architektur an der Hochschule für Technik in Stuttgart und an der Universität der Künste in Poznań. Die Faszination für Denkmalpflege hat mit der Masterarbeit zur Villa Berg in Stuttgart angefangen. Ihre beruflichen Wege sind noch offen, aber eine Richtung wurde damit gelegt.