Eine Frage an Jan Lubitz: Welche Rolle spielt die Villa Berg architekturgeschichtlich?

Wie ist die Villa Berg vor dem Hintergrund ihrer Bauzeit zu betrachten und zu bewerten?

Die Bauzeit der Villa Berg fällt in eine geschichtliche Umbruchphase. Während ihrer Erbauung vollzog sich 1848/49 die Deutsche Revolution, deren Anliegen, einen deutschen Nationalstaat mit demokratischer Verfassung zu schaffen, letztlich scheiterte. In dieser spannungsgeladenen Epoche ließ sich der württembergische Kronprinz eine Residenz errichten, die nicht als herrschaftlicher Schlossbau, sondern als relativ einfach gehaltenes Landhaus in Erscheinung tritt. Damit reagieren Bauherr und Architekt auf das zu der Zeit vorherrschende politische und gesellschaftliche Klima.

Die Villa Berg stellt in ihrer Typologie und Baugestaltung Bezüge zum historischen Villenbau her, der sowohl in der römischen Antike als auch in der italienischen Renaissance seine Ursprünge hat. Zusammen mit dem Schloss Charlottenhof in Berlin von Karl Friedrich Schinkel sowie der Villa Rosa in Dresden von Gottfried Semper ist die Villa Berg einer der ersten modernen Villenbauten. Als neuzeitliche Bauaufgabe des 19. Jahrhunderts entwickelt sich der Villenbau zu einem bedeutenden Bautypus beim Wachstum und Ausbau der Städte ab der Gründerzeit, in der zahlreiche vorrangig von bürgerlichen Bauherren in Auftrag gegebene Villen entstehen. Die Villa Berg stellt nicht nur typologisch, sondern auch baukünstlerisch einen wichtigen Vorläufer dieser Entwicklung dar.

Nach einer gemeinsamen Italien-Reise mit dem Kronprinzen lässt sich der Architekt Christian Leins vom Vorbild der oberitalienischen Renaissance für den Entwurf der Villa Berg inspirieren. Damit leitet er in Stuttgart eine Abkehr vom Klassizismus ein, der gegen Mitte des 19. Jahrhunderts zunehmend als nicht mehr zeitgemäß gilt, ohne dass jedoch schon neue stilistische Konventionen allgemeingültig geworden wären. Diese Suche nach einem neuen, der Zeit angemessenen Stil war schon 1828 vom Karlsruher Architekten Heinrich Hübsch mit der Frage „In welchem Style sollen wir bauen?“ thematisiert worden. Mit der Rückbesinnung auf die Renaissance-Architektur keimt schließlich der Historismus auf, der die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts prägen sollte. Auch dieser Entwicklung bereitet die Villa Berg den Weg. Zudem nutzt Leins bereits die infolge der Industriellen Revolution aufkommenden neuen Möglichkeiten und verwendet bei der Villa Berg offen gezeigte Eisenbauteile, die unter anderem bei der Glasdachkonstruktion der zentralen Treppenhalle oder in den Balkonbrüstungen zum Einsatz kommen.

Auch die Art und Weise der Einfügung der Villa Berg in ihren Standort ist beachtenswert. Leins verleiht jeder Fassade eine eigenständige Gestaltung, entwickelt durch die schlichte Strukturierung des Baukörpers und formale Korrespondenzen der Fassaden jedoch ein homogenes Erscheinungsbild. Durch die Positionierung des Gebäudes neben der zentralen Geländeachse, seitlich an den Rand der Hügelanlage von Berg gerückt, kommt zudem das Bestreben zum Ausdruck, die Villa Berg nicht als herrschaftliche, Dominanz artikulierende Anlage zu errichten, sondern als einfach gehaltenen, aber dem Repräsentationsbedürfnis des württembergischen Königshauses angemessenen, in die Umgebung integrierten Landsitz auszuführen.

Wie sind die Umnutzung und der Einbau des Sendestudios in die Villa nach deren Zerstörung zu sehen?

Nachdem im Zweiten Weltkrieg in den deutschen Städten zahlreiche baugeschichtlich wertvolle Gebäude stark beschädigt oder vernichtet worden waren, herrschte in der Nachkriegszeit die Haltung vor, nicht das Alte originalgetreu wiederherzustellen, sondern etwas Neues, Zukunftsorientiertes zu schaffen. Auch von der Villa Berg blieben aufgrund von Bombentreffern lediglich die Umfassungsmauern erhalten, während die Innenräume in ihrer Struktur und ihrer Gestaltung weitgehend verloren gingen. Der vereinfachende Wiederaufbau des Äußeren und die funktionalen und räumlichen Veränderungen des Inneren sind zeittypische Maßnahmen. Der Innenausbau mit einem nach Entwürfen von Egon Eiermann 1950/51 entstandenen Sendesaal stellt eine neue Zeitschicht dar, die einen eigenständigen baukünstlerischen Wert besitzt. Ein Denkmal definiert sich nicht ausschließlich über künstlerische Kriterien, sondern auch über seine Bedeutung als geschichtliches Dokument. Insofern sind grundsätzlich alle Zeitschichten eines Denkmals erhaltenswert. Der vereinfachende Wiederaufbau der Villa Berg und die funktionale Neuausrichtung als Kultur- bzw. Rundfunkgebäude resultieren aus den veränderten gesellschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen der Nachkriegsjahre und stellen somit ein zeitgeschichtliches Dokument dar. Darüber hinaus weisen die Einbauten einen baukünstlerischen Wert auf, der die zeitgenössische architektonische Haltung widerspiegelt. Sowohl die Tatsache der Umnutzung als auch die Art und Weise des Umgangs mit der Bausubstanz der Villa Berg stellen für die Bedeutung des Gebäudes als Baudenkmal wichtige Bestandteile dar.

Sind die Demontage der Nordflügel und der ehemaligen Türmchen auf der Villa typisch für diese Zeit?

Der Abbruch einzelner Bauteile im Rahmen des Wiederaufbaus baugeschichtlich bedeutsamer Objekte stellt für die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg eine typische Verfahrensweise dar. Ein vereinfachender Wiederaufbau entsprach den Ansprüchen und Bedürfnissen der Zeit, was sich im Fall der Villa Berg dahingehend äußert, dass der Nordflügel und die Turmaufbauten für die Neunutzung als Rundfunkgebäude nicht mehr von Bedeutung waren. Zugleich kommt in dieser von Pragmatik gekennzeichneten Vorgehensweise auch eine Haltung zum Ausdruck, die die gewandelten Stilvorstellungen der Zeit reflektiert. Schon seit dem frühen 20. Jahrhundert herrschte eine teilweise scharfe Ablehnung der historistischen Baukunst des 19. Jahrhunderts vor. Nach dem Zweiten Weltkrieg fand diese oppositionelle Haltung in vereinfachenden Wiederaufbauten eine entsprechende Umsetzung.

Welche in der jeweiligen Zeit begründeten planerischen Zusammenhänge bestehen zwischen der Villa, den SWR-Funkstudios („Gutbrod-Bau“) und den SWR-Fernsehstudios sowie der Umgebung?

Die Villa Berg war 1845-53 als baulicher Höhepunkt einer umfassenden Landschaftsgestaltung errichtet worden. Friedrich Neuner gestaltete die Hügelanlage von Berg als englischen Landschaftsgarten, der sich durch unregelmäßige Formen und Wegeführungen auszeichnet, durch die romantische Landschaftsbilder entstehen. Mit der aufkeimenden Industriellen Revolution entwickelten sich die deutschen Städte im späten 19. Jahrhundert zu eng bebauten Industriestädten, die als „steinerne Wüsten“ bezeichnet wurden. Um dieser Fehlentwicklung abzuhelfen, kamen bereits in der späten Kaiserzeit Bestrebungen auf, öffentliche Grünanlagen und Parks einzurichten. Diese Bemühungen konnten oftmals aber erst nach Ende des Ersten Weltkriegs umgesetzt werden, teilweise auch durch die Kommunalisierung ehemals privater Gartenanlagen. Die nach dem Zweiten Weltkrieg errichteten Sendegebäude sind vor dem Hintergrund des im zweiten Viertel des 20. Jahrhunderts entwickelten Ideals einer aufgelockerten, gegliederten und durchgrünten Stadt entstanden. Sie sind in solitärer Art in das Parkgelände eingefügt und vermeiden einen urbanen Charakter, wie er etwa durch Blockstrukturen oder geschlossene Fassadenfluchten entstehen würde. Zugleich treten die Baumassen in Konkurrenz mit der Villa Berg und stören historische Blickachsen. Die kontrastierende architektonische Ausbildung der Neubauten stellt wiederum ein für die Nachkriegszeit typisches Gestaltungsmittel dar.

Jan Lubitz studierte zunächst Architektur an der TU Braunschweig und absolvierte dann ein Masterstudium Denkmalpflege an der TU Berlin. Parallel baute er das Online-Projekt architekten-portrait.de auf und arbeitete bereits freiberuflich als Architekturhistoriker und -journalist. Seit 2009 ist er als akademischer Mitarbeiter bei Herrn Prof. Klaus-Jan Philipp am Institut für Architekturgeschichte an der Uni Stuttgart angestellt und wurde 2013 mit einer Arbeit über den Hamburger Architekten Carl Gustav Bensel promoviert.

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