Beteiligungsprozess

Der Initiative Geschichte trifft Zukunft – Occupy Villa Berg ist es – mit den Mitteln und dem Zeitbudget eines bürgerschaftlich getragenen Projekts – gelungen, viele und vielfältige Ideen für die Zukunft der Villa Berg und ihres Park zu sammeln. Wir haben viele Menschen erreicht, auch wenn wir keinen umfassenden Bürgerbeteiligungsprozess durchführen konnten. Die Ergebnisse sind ein Stimmungsbild, können aber kein repräsentativer Querschnitt sein.

Wir haben im Verlauf des Prozesses wertvolle Erfahrungen gesammelt, unsere Defizite kennengelernt und Lernprozesse durchgemacht. Diese beziehen sich sowohl auf die Initiative selbst als Veranstalterin und Organisatorin als auch auf die Gestaltung des Beteiligungsprozesses. Die Erfahrungen möchten wir gerne als Hinweise für den zukünftigen Entwicklungsprozess der Villa Berg und ihres Parks weitergeben. Die Hinweise sind teilweise ortsspezifisch und daher auf andere Beteiligungsprojekte nicht eins-zu-eins übertragbar.

Initiative

»Uns gelang es pluralistische Meinungsfreiheit zu leben, mit über 20 Menschen, die sich zuvor größtenteils nicht kannten. Talente und Potenziale wurden eingebracht, Aufgaben wurden kooperativ auf viele Schultern verteilt.«

Am 13. Mai 2013 entstand auf Facebook die Seite Occupy Villa Berg– zunächst ohne strategischen Ansatz. Die Initiatoren wollten über die Entwicklungen rund um die Villa Berg und ihren Park neutral  und umfassend informieren, indem beispielsweise aktuelle Presseartikel gepostet wurden. Erst der Erfolg der Seite in den sozialen Medien – innerhalb weniger Tage hatten mehr als hundert Menschen der Seite ihr »Gefällt mir« verliehen – ließen daraus die Initiative Geschichte trifft Zukunft – Occupy Villa Berg entstehen.

Team: Zusammensetzung und Grundhaltung

Die Administratoren der Facebook-Fanpage recherchierten nach engagierten Mitstreitern und fanden diese im Bekanntenkreis und darüber hinaus. Leitend war der Gedanke, ein thematisch interessiertes, unabhängiges Team mit unterschiedlichen sozialen und kulturellen Hintergründen aufzubauen. Die Teammitglieder brachten unterschiedliche berufliche und persönliche Erfahrungen und Qualifikationen in den Prozess ein. Dadurch gelang es uns schrittweise ein interdisziplinäres Team mit Wissen in den Bereichen Architektur und Stadtplanung, Sozial-, Politik- und Kulturwissenschaften, Stadtforschung, Statistik, Gestaltung, Musik, Fotografie, Bürgerbeteiligung, Projektmanagement und Öffentlichkeitsarbeit zusammenzustellen. Die Perspektiven ergänzten und bereicherten sich, wir konnten voneinander lernen, uns mit individuellen Fähigkeiten und Kontakten einbringen und auf verschiedene Netzwerke zurückgreifen. Diese bunte Zusammensetzung ermöglichte es kreative und unkonventionelle Lösungen kurzfristig teamintern zu realisieren – und teilweise zu improvisieren. Fehlte es an einer Begabung, versuchten wir gezielt neue Teammitglieder zu gewinnen statt Aufgaben an Dienstleister auszulagern, um das Budget nicht unnötig zu strapazieren. Die Initiative wurde vorwiegend aus privaten Mitteln getragen und vom Bezirksbeirat Stuttgart-Ost mit 700 Euro unterstützt.

Das ständig wachsende Team – am Ende waren es über 20 Mitglieder – machte es notwendig die Grundwerte und Grundgedanken der Initiative Occupy Villa Berg immer wieder zu besprechen und zu reflektieren. Folgende Werte und Haltungen kristallisierten sich heraus: Wir sind als Initiative mit dem Ziel angetreten, keine eigenen Präferenzen vorzugeben. Unser Ziel war es Ideen und Vorschläge zu sammeln und diese wertungsfrei zu veröffentlichen. Die Teammitglieder mussten deshalb bereit sein sich mit ihren eigenen Interessen zurückzunehmen und Vorschläge, Ideen und Beiträge von   TeilnehmerInnen nicht zu bewerten. Neutralität war insofern der wichtigste Wert. Die Betonung der parteipolitischen Neutralität von Occupy Villa Berg war für die TeilnehmerInnen eine wichtige Rückversicherung, da sie teilweise Angst hatten mit ihren aussagen und Beiträgen instrumentalisiert zu werden. Dabei ist zu erwähnen, dass einzelne Teammitglieder – in ihrer Doppelrolle als OrganisatorInnen und BürgerInnen – natürlich Sympathien und Präferenzen für manche der genannten Ideen hatten oder eigene Ideen entwickelten. Für diesen Fall hatten wir vereinbart, dass die Mitglieder explizit kenntlich machen, wann sie für Occupy Villa Berg sprechen und wann für sich selbst.

Die Initiative beruhte auf dem Grundprinzip der Freiwilligkeit – ein weiterer wichtiger Wert. Die Teammitglieder brachten sich individuell und innerhalb ihrer persönlichen Möglichkeiten ein, es sollte keine Kultur der Verpflichtung und des Leistungsdrucks entstehen. Die Leistungen anderer Teammitglieder wurden wertgeschätzt, mit Defiziten in der Leistungsfähigkeit wurde umsichtig umgegangen. Diese Werte förderten die Motivation und waren Grund für eine sehr positive Gruppendynamik, forderten aber auch eine Offenheit und Toleranz gegenüber anderen Meinungen und Verfahrensweisen, Mängeln oder Fehlern.

Während des gesamten Prozesses war es eine Herausforderung, mit den Aspekten umzugehen, die beispielsweise aus Zeit- oder Budgetgründen nicht oder unzulänglich umgesetzt werden konnten und einen positiven Umgang mit Defiziten zu finden.

Erkenntnisse:

  • Interdisziplinarität fördert in Gruppenprozessen die Entwicklung kreativer Ideen und Lösungen. Grund dafür sind die verschiedenen Denk- und Handlungsansätze der Mitglieder. Ein zukünftiger Beteiligungsprozess sollte ämterübergreifend und interdisziplinär angelegt sein und extern begleitet werden.
  • Bei offenen, bürgerschaftlichen Prozessen sollte parallel zur Arbeit an einem gemeinsamen Thema auch kontinuierlich das Grundverständnis des Umgangs miteinander diskutiert werden. Vertrauen, Offenheit, Respekt, Fairness und vor allem Fehlertoleranz sind wichtige Grundwerte.
  • Teammitglieder mit unterschiedlichen Kompetenzen und Begabungen ermöglichen kostengünstige und schnelle Lösungen innerhalb der Gruppe. Gleichzeitig steigt durch Eigenproduktionen der Planungs- und Zeitaufwand für die Mitglieder.
  • Bei größeren Beteiligungsprozessen sollten finanzielle Mittel eingeplant werden, um Dritte beispielsweise für Grafik und Veranstaltungsvorbereitung beauftragen zu können. Ehrenamtliche können sich dann auf das Wesentliche konzentrieren – nämlich den Beteiligungsprozess selbst.

Organisation: Struktur, Zuständigkeiten und Kommunikation

In dem Projekt zeichneten sich früh folgende Aufgabenbereiche ab: Koordination, Architektur und Planung, Gestaltung und Design, Video-Interviews, Fotodokumentation sowie Dokumentation und Aufbereitung der Ergebnisse aus den Veranstaltungen, Recherche, Veranstaltungsorganisation, Social Media und Blog, Ansprache und Vernetzung sowie Öffentlichkeitsarbeit. Dabei gab es mehrere Herausforderungen: Die Teamgröße und Aufgabenvielfalt machten es notwendig Zuständigkeiten zu definieren, gleichzeitig wollten wir diese so flexibel angelegen, dass sie niemanden überfordern oder unentbehrlich machen. Es sollte möglich sein, dass sich Teammitglieder durch Urlaub, Geschäftsreise oder andere Verpflichtungen temporär zurückziehen. Zudem war es unser Wunsch, dass die Vergabe von Verantwortung nicht dazu führt, dass Entscheidungen nur noch in kleinen Teilgruppen getroffen werden und sich die Gruppe so zunehmend aufteilt. Es ist uns unterschiedlich gut gelungen, unseren Anspruch, immer wieder basisdemokratisch das ganze Team einzubeziehen, zu verwirklichen.

Entstanden ist eine Teamstruktur, die zwar grob nach Aufgabenbereichen strukturiert war, in der sich Teammitglieder je nach Anlass und Dringlichkeit aber auch immer wieder übergreifend engagierten. Die Zuordnung in Aufgabenbereiche war also eher temporär und wechselnd. Die Kommunikation und den Austausch haben wir über eine geschlossene Gruppe bei Facebook organisiert und bei wichtigen Informationen durch den Versand von E-Mails ergänzt, da nicht alle Teammitglieder bei Facebook aktiv sind. Digitale Vernetzung, Online-Arbeitsplattformen sowie soziale Netzwerke bieten gute Werkzeuge, um flexibel online Ideen, Ergebnisse und Inhalte auszutauschen. Zudem haben wir uns in der ganzen Gruppe mehrmals im Monat getroffen, um die nächsten Prozessschritte abzustimmen. Je nach Bedarf fanden weitere Treffen in kleineren Teams statt.

Selbstkritisch könnte man anmerken, dass uns kommunikativ nicht alle Abstimmungen optimal gelungen sind. In dem Verhältnis von Entscheidung durch Zuständigkeit und Mitentscheidung aller liegt durchaus Konfliktpotenzial. In dem Punkt haben wir während des Prozesses teamintern manchmal auch Enttäuschungen produziert. Gerade bei zeitkritischen Entscheidungen ist die Beteiligung aller an Grenzen gekommen und Wenige haben die Entscheidung getroffen. Umso wichtiger war es in diesen Momenten, sich der Verantwortung für den Gesamtprozess bewusst zu sein.

Erkenntnisse:

  • Wir halten es rückblickend für positiv den Beteiligungsprozess gemeinsam in einer Gruppe von Personen zu steuern. Dies entspricht der Arbeit mit sogenannten Spurgruppen. Auch bei einer zukünftigen Bürgerbeteiligung sollten alle Entscheidungen gemeinsam in einer Spurgruppe getroffen werden.
  • Die Delegation von Verantwortung und die Benennung von Zuständigkeiten werden ab einer Gruppengröße von etwa 15 Personen unvermeidlich. Nach innen sollten Arbeitsstrukturen gebaut werden und nach außen Vertretungsstrukturen (z.B. Gruppensprecher gegenüber der Öffentlichkeit).
  • Verantwortlichkeiten sollten flexibel angelegt werden und können auch wechseln, um die Entwicklung starrer, behindernder Strukturen zu vermeiden. Der Einsatz von Mitgliedern in verschiedenen oder wechselnden Aufgabenbereichen ermöglicht je nach Prozessphase und Bedarf eine flexible Steuerung und Schwerpunktbildung.
  • Die interne Kommunikationsstruktur sollte gewährleisten, dass Entscheidungen und deren Entstehung für alle nachvollziehbar bleiben. Der Aufwand in der Betreuung der internen Kommunikation darf nicht unterschätzt werden.
  • Die in Teilgruppen erarbeiteten Zwischenstände und Ergebnisse sollten immer wieder im gesamten Team vorgestellt, diskutiert und freigegeben werden.
  • Es ist wichtig, abgegrenzte Arbeitspakete für Mitglieder mit eingeschränkten Zeitkontingenten anzubieten.
  • Digitale Vernetzung und soziale Netzwerke haben den Vorteil, dass ohne finanzielle Mittel beispielsweise Gruppen und Arbeitsplattformen (z. B. über Google Drive) aufgebaut und damit Abstimmungsprozesse kurzfristig und flexibel durchgeführt werden können.
  • Wichtig ist die Verknüpfung von Online- und OfflineKommunikation, da beispielsweise Grundsatzdiskussionen online oft unbefriedigend verlaufen. Die Gefahr von Missverständnissen zwischen den Diskussionsteilnehmern ist durch die fehlende Wahrnehmung von Stimmung, Gestik und Mimik hoch. Online-Kommunikation ist eher nicht konfliktlösend .

Definitionen: Ziele, Zeitrahmen und Verbindlichkeit

Geschichte trifft Zukunft – Occupy Villa Berg ist mit einem konkreten, verbindlichen und einfachen Ziel gestartet: »Wir sammeln bis zum 16. September 2013 Ihre Ideen, Wünsche und Perspektiven und werden diese pünktlich zu den Haushaltsberatungen dem Oberbürgermeister Fritz Kuhn, dem Gemeinderat und dem Bezirksbeirat Stuttgart-Ost übergeben.«

Auch ohne strukturelle Einbindung oder politische legitimation war dies ein erfüllbares – und für viele TeilnehmerInnen befriedigendes – Versprechen. Die beteiligten BürgerInnen interessierten sich verständlicherweise stark dafür, wie ihre eingebrachten Vorschläge weiter genutzt und der Allgemeinheit zugänglich gemacht würden. Wir haben unsere  Funktion als Sprachrohr in Gesprächen immer wieder betont. Wichtig war die Aussage, dass wir der Stadt verbindlich alle Beiträge ungefiltert zur Verfügung stellen und eine Selektion oder Bewertung durch uns nicht stattfindet. Umgekehrt genauso wichtig war die Betonung unserer Beschränkung: Wir konnten keine Aussagen dazu treffen, wie die Stadt mit den Ergebnissen umgeht. Die Beteiligung führt also zu keiner Verbindlichkeit in der politischen Entscheidung.

Als Herausforderung stellte sich am Anfang der Name Occupy Villa Bergheraus, den wir deshalb zu Geschichte trifft Zukunft – Occupy Villa Berg ergänzten. Teamintern gab es zu Beginn immer wieder Diskussionen, ob uns mit dem konnotierten Begriff Occupy die Kommunikation unserer Ziele gelingen kann oder wir uns allein durch den Namen einzelnen Zielgruppen verschließen. Eine vollständige Namensänderung kam aus pragmatischen Gründen nicht in Frage, da Facebook ab einer bestimmten Anzahl von Fans keine Änderung des Namens von Seiten mehr erlaubt.

Geschichte trifft Zukunft – Occupy Villa Berg war von Beginn an als temporäre Initiative angedacht. Facebook-Seite und Blog starteten im Mai 2013, die Arbeit endet mit der Übergabe des Abschlussberichts im Oktober 2013. Positiv an diesem kurzen Zeithorizont war, dass viele Teammitglieder die zeitliche Befristung ihres Engagements als attraktiv, motivierend und entlastend empfanden.

Erkenntnisse:

  • Die Ziele, Inhalte, Möglichkeiten, Bedingungen und der Zeitrahmen eines Beteiligungsprozesses sollten klar definiert und gegenüber potenziellen TeilnehmerInnen zu Beginn kommuniziert werden. Sichtbare gemeinsame Ziele wirken sowohl intern wie auch extern motivierend und sind die Voraussetzung, um einen zielgerichteten und transparenten Dialog führen zu können.
  • Die Frage nach der Wirkung und Verbindlichkeit der Beteiligung sollte klar und ehrlich beantwortet werden. Wie werden die Ergebnisse des Prozesses zukünftig genutzt? In welcher Form werden sie den BürgerInnen zugänglich gemacht? Auch eventuelle Einschränkungen des Beteiligungsprozesses sollten von Anfang an offen kommuniziert werden, um Enttäuschungen der TeilnehmerInnen zu vermeiden.
  • In der Ansprache potenzieller TeilnehmerInnen eines Beteiligungsprozesses spielt der Name des Prozesses eine nicht zu unterschätzende Rolle. Dieser sollte strategisch als Markenname gewählt und in ein wiedererkennbares Design (z. B. Farbe, Schrift, Logo) eingebettet werden.

Bürgerbeteiligung

»Und mit jedem Picknick, jedem Interview wurde klarer, dass ein großer Gestaltungswille seitens der BürgerInnen da ist, dass das Interesse an diesem vergessenen Paradies mitten in der Stadt ungebrochen groß ist.«

Die StuttgarterInnen zeigten ein großes Interesse an Informationen, Diskussionen und Partizipation. Vor allem zu Beginn wurde dies aber auch von Skepsis gegenüber der Initiative und Beteiligungsprozessen allgemein begleitet. Die Befürchtung, instrumentalisiert oder ignoriert zu werden, war präsent. Frühere Enttäuschungen und Frustrationen (»Das bringt doch alles sowieso nichts.«) waren spürbar. Deshalb waren Vertrauensaufbau und Motivation wichtige erste Schritte. Während des gesamten Prozesses war es unser Ansinnen in Gesprächen die Möglichkeiten der Veränderung zu betonen und den Status Quo nicht als unveränderbar zu akzeptieren.

Kontakt: Ansprache, Einladung und Grad der Rückmeldung

Unser Ziel war es Occupy Villa Berginnerhalb kurzer Zeit und ohne Budget möglichst breit zu vernetzen und direkte Kontakte zu den BürgerInnen auf zubauen. Folgende Zielgruppen erschienen uns wichtig: Die direkte Nachbarschaft der Villa Berg, und des Parks (Berg, Stöckach und Raitelsberg), die AnwohnerInnen von Stuttgart-Ost, Vereine, Institutionen und Einrichtungen in Stuttgart – Ost, Stuttgarter BürgerInnen und die Öffentlichkeit, FreundInnen der Villa Berg und ihres Parks – unabhängig vom Wohnort sowie die Lokalpolitik (Bezirksbeirat Ost, Gemeinderat, Oberbürgermeister).

Das Internet war für uns eine wesentliche Komponente in der Ansprache und Einladung von BürgerInnen, da wir hier schnell und kostengünstig handeln konnten und eine direkte Interaktion möglich war. Die Seite Occupy Villa Bergauf Facebook war dazu ein erster wichtiger Schritt, ihr folgen mittlerweile über 1300 Personen.

Um unabhängig von der Facebook-Nutzung mit Interessierten online in Kontakt zu treten, haben wir kurzfristig die Website www.occupyvillaberg.de entwickelt und hierfür die Blog-Software WordPress genutzt. Der Blog ermöglichte es uns, weitergehende Informationen zu vermitteln und einen wachsenden Infopool aufzubauen. Die WordPress-Kommentarfunktion haben wir dann als effiziente Form der Online-Beteiligung genutzt. Auf dem Blog wurden zudem die Ergebnisse der Offline-Beteiligung stetig aktualisiert und ergänzt. Zusätzlich gaben wir Interessierten Auskunft über unsere Motivation und Ziele.

Den angebotenen Newsletter haben mittlerweile etwa 60 Personen abonniert. Der Blog verzeichnete über den Zeitraum von vier Monaten über 35 000 Aufrufe. Für die Kontaktaufnahme im Stadtteil haben wir auch klassische Informationsmittel und -wege genutzt. Eine rein digitale Ansprache würde zahlreiche BürgerInnen ausschließen, die nicht online sind. Wir haben Postkarten gestaltet, gedruckt (7500 Stück) und mit diesen zur Beteiligung – insbesondere zu unseren Planungspicknicks – eingeladen.

Die Postkarten wurden in den Briefkästen in Berg, Stöckach und Raitelsberg verteilt. In Ostheim und Gablenberg haben wir – nicht flächendeckend – Gastronomie und nahversorgungsbetriebe bestückt. Zusätzlich haben wir punktuell gastronomische Betriebe in Stuttgart-Mitte für die Auslage angesprochen. Zudem haben wir Vereine, Initiativen, Kirchen und Einrichtungen im Stuttgarter Osten angeschrieben, um diese als Multiplikatoren und Unterstützer zu gewinnen. Dazu haben wir einen Verteiler mit etwa 120 Akteuren aufgebaut, diese zunächst per E-Mail und eine Auswahl (ca. 80) dann per Telefon angesprochen. Eine Zusammenarbeit konnte leider nur in begrenztem Umfang stattfinden. Grund hierfür war mitunter die öffentliche Trägerschaft von Einrichtungen und eine damit verbundene Zurückhaltung. Aber auch die Kürze des Prozesses, verbunden mit den Sommerferien, führte zu eher verhaltenen Rückmeldungen.

Positiv überrascht waren wir von der vielfältigen Berichterstattung in der Presse – sowohl in den lokalen Printmedien als auch im Hörfunk. Geschichte trifft Zukunft – Occupy Villa Berg wurde kontinuierlich medial begleitet, viele unserer Aktionen wurden angekündigt und/oder im Nachgang besprochen. Der Prozess blieb somit auch für die weniger stark involvierten StuttgarterInnen nachvollziehbar.

Erkenntnisse:

  • Im Vorfeld des Beteiligungsprozesses und der Kontaktaufnahme zu den BürgerInnen sollte eine Zielgruppe der TeilnehmerInnen definiert werden. Da das Areal sowohl für den Stadtteil, für die Stadt als auch die Region von Bedeutung ist, müssen mehrere Zielgruppen berücksichtigt werden, um später zu Entscheidungen zu kommen, die auf breiter Basis akzeptiert werden.
  • Nur ein vielfältiger Medien-Mix mit kombinierter Online- und Offline-Ansprache potenzieller TeilnehmerInnen kann die heterogene Stadtgesellschaft erreichen. Verantwortliche für die Kontaktaufnahme und -pflege erscheinen uns aufgrund des nicht zu unterschätzenden Zeitaufwandes sinnvoll.
  • Wichtige Partner und Multiplikatoren in direkter Nachbarschaft sollten direkt und persönlich angesprochen und eingebunden werden. Ein offizielles Mandat kann Vertrauen und Offenheit schaffen.
  • Beteiligung bedeutet heute auch Community Management in den sozialen Medien, der digitale Dialog erfordert eine präsente Moderation mit kurzer Reaktionszeit.

Aktionen: Formate und Grad der Beteiligung

Auf unserer Website haben wir von Beginn an Beteiligungsmöglichkeiten angeboten. Dort haben wir fünf Fragen gestellt, die online beantwortet werden konnten. Dadurch gelang es innerhalb weniger Wochen einen ersten Ideenpool aufzubauen. Weiterhin haben wir aufgerufen, uns historische und aktuelle Fotos zu senden, um eine Bilderwelt zur Villa Berg und ihrem Park aufzubauen. Ergänzt wurde die Online-Beteiligung durch Beteiligungsbögen in Papierform, um Menschen offline und ortsunabhängig eine Mitwirkung zu ermöglichen.

Den Aktionsschwerpunkt des Beteiligungsprozesses bildete eine mehrteilige Veranstaltungsreihe zwischen Juli und September 2013. Den Auftakt zu den drei sogenannten Planungspicknicks stellte der Auftritt bei der Langen Ost-Nacht dar. Die Lange Ost-Nacht nutzten wir als erste Plattform für die persönliche Begegnung mit der breiten Öffentlichkeit außerhalb des virtuellen Raumes. Der Informationsstand diente der Erstinformation über die Initiative. Durch die Gespräche mit den Passanten und der Politik konnte die Aufmerksamkeit für das Projekt deutlich gesteigert werden. An dem Abend erwies sich die Vorarbeit, in der wir die Wochen zuvor umfangreiches Hintergrundmaterial aufbereitet hatten, als sehr wertvoll. Die Informationen zu Historie und Planmaterial, zu   aktuellen Eigentumsverhältnissen bzw. politischen Bestrebungen waren ein wichtiger Aufhänger für die ersten Gespräche. Gerade das historische Bildmaterial und das Luftbild der Villa Berg und des Parks erwiesen sich als Blickfang und Ausgangspunkt von Dialogen. Da wir bei interessierten Nachfragen von BürgerInnen manchmal – beispielsweise bei der Orgel oder bei Egon Eiermann – an unsere Wissensgrenzen stießen, haben wir uns entschieden, zusätzlich zur eigenen Aufbereitung gezielt Fachleute mit Fragen anzusprechen und die Antworten online und im Abschlussbericht zu veröffentlichen. Mit den Gastbeiträgen konnten wir hoffentlich im Nachhinein bestehende Wissenslücken schließen bzw. wichtige Informationen nachreichen.

Die Planungspicknicks waren als Format konzipiert, das Beteiligung charmant in die Freizeitgestaltung einbettet. Wir haben BürgerInnen an drei Wochenenden zu Picknicks an unterschiedlichen Stellen im Park der Villa Berg eingeladen. Das Programm der Picknicks sollte gleichzeitig offen für spontane Neueinsteiger sein und interessant für Wiederkehrer bleiben.

Wichtig war es niederschwellige, mehrstufige Angebote für die Beteiligung zu machen. Beteiligung begann für uns damit Menschen zu aktivieren »einfach nur« in den Park zum Picknicken zu kommen, diesen zu erkunden, sich gegenseitig entspannt kennenzulernen und sich über Villa und Park austauschen. Unser Ziel war es eine Auseinandersetzung mit der Villa Berg und ihrem Park zu initiieren, um das Areal wieder stärker im Bewusstsein und auf der geistigen Landkarte zu verankern.

Interessierte TeilnehmerInnen konnten sich anhand des Infomaterials über die Villa Berg und ihren Park informieren. Zudem konnten sie beim zweiten und dritten Planungspicknick bereits existierende Ideen, Wünsche und Vorschläge als Ausstellung besichtigen. Die Ausstellungen mit den Ideen auf Wäscheleinen waren ein Erfolg, weil sie visuell in das Parkumfeld wirkten, neugierig machten und Spaziergänger spontan anzogen. Gleichzeitig ermöglichten sie einen leichten, informativen Zugang in das Spielfeld und senkten die Schwelle hin zur Beteiligung.

Die Teilnahme an unterschiedlichen, spielerischen Beteiligungsformaten forderte den höchsten Grad an Engagement. Beim ersten Planungspicknick konnte man mit dem »Ideensammler« Wünsche und Vorschläge in einem definierten Spielfeld im Park der Villa Berg verorten und anderen TeilnehmerInnen kreative Aufgaben mit auf den Weg geben. Beim zweiten und dritten Picknick haben wir mit Thementischen die Weiterentwicklung und Vertiefung   spezifischer Aspekte rmöglicht und moderierte Orte für den Dialog geschaffen. Die Möglichkeit, Fragestellungen zu erwürfeln, sollte dabei die Kreativität anregen.

Ergänzend wurden weitere Beteiligungsmöglichkeiten angeboten: Mit den Ideenporträts konnten die TeilnehmerInnen ihre Idee bewusst mit ihrer Person verbinden und sich gegenüber der Öffentlichkeit mit ihrer Meinung positionieren. Auch bei den VideoInterviews war die Idee Beteiligung zu personalisieren und Geschichten, Erinnerungen und Perspektiven zum Areal aufleben zu lassen. Die Bandbreite reichte von der Befragung von Passanten bei der Langen Ost-Nacht und Parknutzern bis hin zu längeren Gesprächen mit ZeitzeugInnen.

Insgesamt war es uns ein Anliegen mit vielfältigen Beteiligungsformaten möglichst heterogene Alters- und Zielgruppen anzusprechen und für eine Beteiligung zu aktivieren. Dabei war nicht nur die Kombination aus Offline- und Online-Beteiligung ausschlaggebend, sondern auch die Möglichkeit sich je nach Vorliebe zwischen unterschiedlichen Ausdrucksformen (z. B. Sprechen, Schreiben, Zeichnen, Fotografieren) entscheiden zu können. Sammeln wollten wir alles – von ersten vagen Ideen bis hin zu vertieften Konzepten. Die Beteiligungformate sollten Erlebnisse sein, welche die Sinne anregen, positiv in Erinnerung bleiben und Lust auf Mitwirkung machen.

Rückblickend können wir Folgendes feststellen:

Es war wichtig, die Online-Beteiligung um die Planungspicknicks zu ergänzen und damit ein verbindendes, persönliches Element in den Prozess zu integrieren. Die Vorsicht und auch die Zurückhaltung von TeilnehmerInnen nahmen nach einer persönlichen Begegnung ab. Es war auffällig, dass die Frage nach einer Idee für die Zukunft von Villa Berg und Park nicht als Einstiegsfrage in einen Dialog taugt, da sie häufig als überfordernd wahrgenommen wurde. Erfolgreicher war es, im Gespräch einen Zugang über Erinnerungen, Erlebnisse und Verbindungen mit der Villa Berg und dem Park zu finden. Eine weitere Hemmschwelle bei den TeilnehmerInnen war es Ideen schriftlich zu fixieren bzw. sich persönlich mit ihnen zu verbinden – beispielsweise mit den Ideenporträts. Mit der sichtbaren Präsentation der Ideen anderer TeilnehmerInnen sowie dem Hinweis, dass wir mündliche Äußerungen nicht dokumentieren und damit nicht weitergeben können, stieg die Bereitschaft eigene Ideen in Worte zu fassen und zu verschriftlichen. Das Format »Planungspicknick« zeigte seine Stärke darin in der Breite Ideen zu entwickeln und hatte seine Schwäche in den erreichten Ergebnis tiefen.

Erkenntnisse:

  • Beteiligung setzt einen möglichst guten Informationsstand der TeilnehmerInnen voraus. Unterschiedliche Medien (z. B. Website) sollten genutzt werden, um über Gegenstand, Prozess (Ziele, Zeitrahmen, Initiatoren) und Möglichkeiten der Beteiligung zu informieren.
  • Anonyme Meinungsbildung und -äußerung sollte ebenso wie persönliche Statements ermöglicht werden.
  • Das nicht-Werten von Meinungen in einem ersten Schritt lässt den Beteiligten alle Denkrichtungen und Möglichkeiten offen und führt gerade am Anfang eines Beteiligungsprozesses zu einem großen Ideenspektrum. Scheinbar weniger passende Ideen sollten nicht aussortiert, sondern unbewertet katalogisiert werden.
  • Der Zeitaufwand der Beteiligung für die TeilnehmerInnen sollte überschaubar und transparent sein.
  • Definierte Beteiligungsabschnitte mit Pausen können helfen, um möglichst wenige TeilnehmerInnen abzuschrecken. Beteiligungsmöglichkeiten sollten zu unterschiedlichen Tages- und Wochenzeiten angeboten werden.
  • Beteiligungsprozesse brauchen insgesamt mehr »Pop-Faktor«. Sie sollten ein inspirierendes Umfeld schaffen, das BürgerInnen motiviert und stimuliert. Personalisierung, Visualisierung, Emotionalisierung und Konkretisierung sind dafür wichtige Strategien.
  • Vielfältige Beteiligungsmöglichkeiten führen zu vielfältigen Ergebnissen. Sowohl Online- als auch Offline-Beteiligungselemente sollten genutzt werden.
  • Wechselnde Aktivitäten und vielfältiger Medieneinsatz erhalten das Interesse auch bei Folgeveranstaltungen.
  • Kreative Beteiligungsformate führen zu innovativen Ergebnissen. Anregende Fragestellungen, künstlerische Aktionen oder Planungsspiele können die Kreativität fördern und geben Hilfestellungen beim Ideenentwickeln. Ein Beispiel dafür könnte ein 72h-Workshop vor Ort in der Villa und den Fernsehstudios sein.
  • Eine zukünftige Bürgerbeteiligung sollte stärker noch, als wir es leisten konnten, auf die Menschen im Stadtteil zugehen und die Orte aufsuchen, an denen sie sich aufhalten. Die Beteiligung sollte an wechselnden Orten stattfinden, um Zugänge in möglichst viele Lebenswirklichkeiten herzustellen.
  • Die Herausforderung besteht auch darin die BürgerInnen zu hören, die sich selbst kein Gehör schaffen können. Dazu sollte die Beteiligung gezielt Formate beispielsweise für Kinder und Jugendliche, für ältere Menschen, Menschen mit geistigen Einschränkungen und Migranten entwickeln.
  • Der Beteiligungsprozess sollte kontinuierlich im Areal  und in der Nachbarschaft sichtbar werden. Vor-Ort-Aktionen in der Villa und im Park sollten Beteiligung und Freizeitgestaltung intelligent verknüpfen. Durch eine punktuelle Belebung des Areals bereits während der Beteiligungsphase, kann die Identifikation der TeilnehmerInnen gestärkt werden. Sichtbare, (temporär) verbleibende Änderungen im Areal als Ergebnisse aus den Beteiligungsveranstaltungen können von einem Willen zum Umbruch zeugen und bisher nicht involvierte BürgerInnen neugierig machen und motivieren teilzunehmen.
  • Die vollständige und zeitnahe Dokumentation der unterschiedlichen Beteiligungsergebnisse braucht Sorgfalt und muss neben den eigentlichen Veranstaltungen Platz und Beachtung während des gesamten Beteiligungsprozesses finden.
  • Die Beteiligungsformate sollten hinsichtlich des Grades an Komplexität und Interaktivität gestaffelt werden. Die TeilnehmerInnen sollten auch zu einer »passiven« Teilnahme ermutigt werden, dadurch wird ein niederschwelliger Zugang geschaffen.
  • Die Beteiligung sollte von der Breite in die Tiefe organisiert werden. Dazu sollten Schwerpunkte im Meinungsbild herausgearbeitet und auf ihre Realisierbarkeit hin überprüft werden. Es sollten Methoden gefunden werden, um komplexere Themen wie Werte, Finanzierung und Träger zu diskutieren.
  • Für einen Wissenstransfer in mehrere Richtungen könnten das Wissen von Experten, die Kompetenz regionaler Hochschulen und die Vor-Ort-Kenntnisse von AnwohnerInnen und NutzerInnen in neuen Beteiligungsformaten kombiniert werden.
  • Der Beteiligungsprozess sollte den TeilnehmerInnen nicht nur Möglichkeiten der Mitsprache, sondern später auch Möglichkeiten der Mitwirkung eröffnen.
  • Der Beteiligungsprozess ist auch ein offener Lernprozess für die Veranstalter. Er sollte flexibel anpassbar sein, um schnell auf unvorhergesehene Entwicklungen und veränderte Rahmenbedingungen eingehen zu können. Hierzu ist es wichtig, anfangs einen groben Rahmen für den Beteiligungsprozess zu definieren, aber nicht von vornherein jede Veranstaltung und jedes Beteiligungsformat vorzudefinieren.