Leutkircher Bürgerbahnhof eG

Bahnhof_September_2012

Den Leutkircher Bürgerbahnhof haben wir ausgewählt als Beispiel für ein bürgerschaftlich getragenes Projekt mit der Genossenschaft als Rechtsform.

Die Geschichte des Bahnhofs

Das Leutkircher Bahnhofsgebäude wurde 1889 von der königlich württembergischen Reichsbahn erbaut. Bis Ende der 1960er Jahre war das Gebäude von unten bis oben voll genutzt. Danach setzte der Verfall ein. Die Bewohner zogen aus. Die Bahnhofsgastronomie schloss 1972. Die Deutsche Bahn nutzte nur noch ca. 20% des Gebäudes. Über Jahre lief Wasser über das marode Dach in das Gebäude. Anfang der 1980er Jahre wollte die Bahn das Gebäude abreissen und mit einem modernen Zweckbau ersetzen lassen. Zwei Bürger machten sich für den Erhalt des Gebäudes stark, sammelten Unterschriften, vermittelten zwischen der Gemeinde und der Bahn und schalteten das Denkmalamt ein. Das Gebäude wurde unter Denkmalschutz gestellt und das Dach repariert. Bis zum Jahr 1997 passierte nichts mehr. Das Gebäude darbte vor sich hin. Im Jahr 1997 verkaufte die Bahn das Gebäude an die Stadt Leutkirch. Hochtrabende Pläne der Kommunalpolitik aus dem Bahnhof einen Kulturpalast bzw. Stadthalle zu machen, scheiterten an der Tatsache, dass im Stadtsäckel keine 5 Millionen Euro vorhanden waren. Im Jahr 2005 entwickelte ein junger Gemeinderat die Idee „Bahnhof in Bürgerhand“. Die Tatsache, dass das Konzept eine Bürgerbeteiligung von 1.000.000 Euro beinhaltete, sorgte bei den Kommunalpolitikern und dem Oberbürgermeister nur für Kopfschütteln. Jahr für Jahr wurde die Idee des „Bahnhofs in Bürgerhand“ wieder in die politische Diskussion eingebracht. Vergeblich, kein Politiker wollte daran glauben, dass die Bürger einer Kleinstadt bereit wären eine Million Euro für ein bis dahin öffentliches Gebäude einzubringen. Als die Stadt Leutkirch im Jahr 2010 das Gebäude mit aller Macht verkaufen wollte, kam die Idee des Bürgerbahnhofs zum Tragen. Der Gemeinderat gab der Bürgerbahnhof-Inititative 3 Monate Zeit zu belegen, dass die Bürger bereit sind eine hohe Summe für ihren Bahnhof einzubringen. Innerhalb von 10 Wochen konnten zum Erstaunen aller Beteiligten 753.000 Euro an Absichtserklärungen eingesammelt werden. Der Gemeinderat konnte nun nicht mehr anders und gab der Idee „Stadt und Land – Hand in Hand für den Bahnhof in Bürgerhand“ nach. Darauf hin wurde eine Genossenschaft gegründet. Heute sind 700 Bürger und Unternehmenmit 1.111.000 Euro am Bürgerbahnhof beteiligt. Es gibt eine Warteliste von Bürgern, die auch gerne Mitglied bei der Genossenschaft werden würden. Aber im Moment sind alle 1.111 Anteile à 1.000 Euro vergriffen. Im Frühjahr 2012 konnte der Bürgerbahnhof feierlich eröffnet werden.

Das Profil des Bürgerbahnhofs

Das Bahnhofsgebäude wurde handwerklich hochwertig und nachhaltig saniert. Die 700 Genossen stehen voll und ganz hinter ihrem Bahnhof. Auch die anderen Mitbürger sind größtenteils auf die gelungene Sanierung ihres Bahnhofs stolz. Der Bürgerbahnhof ist heute ein pulsierendes Quartier in Leutkirch.

Nutzung und Mieter

Im Erdgeschoss befindet sich eine Gastronomie mit Hausbrauerei. Betreiber ist ein Erfolgsgastronom aus Ulm. Im Obergeschoss sind 5 junge Firmen aus dem Bereich Medien, Design und Werbung eingemietet. Im Dachgeschoss betreibt die Bürgergenossenschaft das Informationszentrum Nachhaltige Stadt. Dort finden z.B. Vorträge zu Windkraft, Erdwärme, Wasserkraft, Dämmung und Elektromobilität statt. Finanziert wird die Miete von 15 Unternehmen aus der Region, die sich zum Thema Nachhaltigkeit, Zukunft und Ideen präsentieren.

Die Initiatoren

Das Grundkonzept stammt von Christian Skrodzki. Seine Mitstreiter im Bürgerbahnhof-Initiativkreis waren Bernhard Hösch, Jörg Kuon, Günter Falter und Oliver Gegenbauer. Ferner gab es rund 60 Bürgerbahnhof-Botschafter, die sich stark um das Gelingen des Bahnhofs verdient gemacht haben.

Erfahrungen und Erfolgsfaktoren

Wir haben hauptsächlich sehr positive Erfahrungen gemacht. Nur in der Anfangsphase gab es sehr starke Kritiker und es wurde manche Leserbriefschlacht ausgefochten. Unsere Erfolgsfaktoren waren ein überzeugendes betriebswirtschaftliches Konzept und ein Experten-Netzwerk aus allen Bevölkerungs- und Berufsschichten. Die Installation der rund 60 Bürgerbahnhof-Botschafter. Eine umfangreiche Medien- und Marketingarbeit. Und viel viel Herzblut der Beteiligten.

Träger und Finanzierung

Die Leutkircher Bürgerbahnhof Genossenschaft ist der Besitzer des Bürgerbahnhofs und in diesem Sinne auch der Gesamtbetreiber. Die Vorstände und die Aufsichtsräte bringen sich ehrenamtlich ein. Wir generieren rund 120.000 Euro Mieteinnahmen pro Jahr. Davon werden alle Kosten getragen – und im Idealfall bleibt am Ende des Jahres ein kleiner Gewinn übrig, der dann an die Genossen ausgeschüttet werden würde. Ab dem Jahr 2015 rechnen wir mit einer Dividende von 1,5 – 2%. Wenngleich die Dividende den Genossen nicht wichtig ist.

Bürgerschaftliches Engagement

Den Bürgerbahnhof gibt es nur, weil er mit bürgerschaftlichem Engagement realisiert wurde. Die 700 Genossen sind Garant dafür, dass die Gastronomie im Erdgeschoss gut läuft und den Bürgern ein Ort der Kommunikation und des Treffens bietet.

Die Zukunft des Bürgerbahnhofs

Das Projekt ist solide über die nächsten 20 Jahre hinaus finanziert. Der Betrieb läuft. Wir wollen in Zukunft noch eine Tankstelle für Elektromobilität errichten. Ferner ein Fahrradhotel in zwei ehemaligen Schlafwagenwagons. Noch haben wir aber keine bezahlbaren Waggons gefunden.

Die Antworten wurden verfasst von Christian Skrodzki, Initiator und Vorstand der Leutkircher Bürgerbahnhof eG. Herr Skrodzki ist zudem Geschäftsführer der Werbeagentur inallermunde kreativhaus und Geschäftsführer von allgovia media.