Seidlvilla – Das Haus für Schwabing

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Die Seidlvilla haben wir als Beispiel für ein Nachbarschaftsprojekt ausgewählt.

Geschichte der Seidlvilla

Der Bau der Schwabinger Seidlvilla ist eng verknüpft mit der Spatenbrauerei, die um 1900 mit einem Bierumsatz von 500.000 Hektolitern eine der größten Brauereien Deutschlands war. Als einer der Firmeninhaber starb, hinterließ er seiner Frau Franziska ein ansehnliches Vermögen. Die Witwe vermählte sich in zweiter Ehe mit Paul Johann Lautenbacher und ließ 1904-06 die repräsentative „Villa Lautenbacher“ im damals noch ländlichen Schwabing errichten.

Sie wurde später nach ihrem Architekten Emmanuel von Seidl benannt, einem Neffen der Erbauerin. Das Anwesen umfasst ein repräsentatives Wohnhaus mit angefügtem Nebentrakt für Remise, Pferdestall und Kutscherwohnung. Die Villa ging nach dem Tode der Erbauerin in den 1930er Jahren an die Erben über und verlor in den folgenden 50 Jahren ihren ursprünglichen Charakter als reines Wohnhaus. Durch zahlreiche Nutzungs- und Besitzerwechsel wurde das Anwesen in dieser gefragten Lage zum Spekulationsobjekt.

Zu Beginn der 1970er Jahre tauchten Gerüchte auf, die Villa und die beiden Handwerkerhäuschen an der Ecke Nikolaiplatz sollten abgerissen werden und einem Hotel-, Büro- oder Kaufhauskomplex weichen. Aus dem Protest der Anwohner formierte sich bald das „Bürgerkomitee Schwabing“ und später die „Aktion Nikolaiplatz“, die für den Erhalt des Ensembles am Nikolaiplatz auf die Straße ging.

Die Schwabinger Bürger entwickelten erste Ideen für eine soziale und kulturelle Nutzung. Mit dem Ziel einen Ruhepol mit vielgestaltigem Kulturangebot inmitten eines von Konsum und Kneipentourismus geprägten Viertels zu erreichen, gründeten die Bürger den Verein „Bürgerzentrum Seidlvilla“. Mit Aktionen, Unterschriftensammlungen, Eingaben und Bürgerfesten verfolgte der Verein über zwei Jahrzehnte unerschütterlich sein Ziel, trotz erheblicher Widerstände und unterschiedlichster Nutzungsinteressen: Zwar hatte die Stadt mittlerweile das Anwesen erworben und so die Forderung der Bürgerproteste erfüllt, aber noch dauerte es weitere sieben Jahre bis zur Öffnung des Bürgerhauses.

Im Juni 1991 eröffnete die Seidlvilla schließlich nach langer, gründlicher Renovierung ihre Tore als Stadtteilkulturzentrum. Damit begann ein neues Kapitel in der Geschichte des Hauses und darüber hinaus eine neuartige Basis für das Gemeinschaftsleben des Stadteils. Zudem ist die Seidlvilla das erste Stadtteilkulturzentrum Münchens und somit Pilotprojekt sowie Vorbild für die nachfolgenden Häuser.

Profil und Programm

Das Stadtteilkulturzentrum Seidlvilla wurde 1991 als Bürgerhaus eröffnet, mit der Auflage jährlich 50 kulturelle Veranstaltungen durchzuführen. Das vom Stadtrat verabschiedete Nutzungskonzept sah neben dem Betrieb des Hauses durch den Träger, dem Seidlvillaverein, auch mehrere Dauernutzer und Turnusnutzer vor. Als Dauernutzer zogen in zwei Räume in den sogenannten Kutschertrakt die Volkshochschule und Kultur- und Spielraum ein, ein Verein mit pädagogischem Angebot für Kinder.

Im Haupthaus hatten zunächst der Verein für selbstbestimmtes Leben und der Bund Naturschutz Büroräume, mittlerweile sind es noch der Verein Urbanes Wohnen und der Werkbund Bayern. Mit allen Dauernutzern gibt es bis heute immer wieder Kooperationen bei Veranstaltungen und gemeinsame Projekte, die die Inhalte beim Programmangebot des Hauses mitprägen. Auch der Bezirksausschuss hält hier seine Bürgersprechstunden ab und tagt regelmäßig zur Stadteilpolitik.

Die sogenannten Turnusnutzer sind ca. 40 bis 50 Vereine, Initiativen, Selbsthilfegruppen, Interessengruppen, Chöre, Musik- und Theaterensembles, Mal- und Zeichenkurse und viele regelmäßige Stammnutzer. Sie tragen zum Profil der Seidlvilla bei. Stadtteilpolitik, Ökologie, Entwicklungshilfe und Eine-Welt-Themen, Selbsthilfegruppen, die Inhalte reichen von Stadteilentwicklung, geschichtlichen Themen, NS- Aufarbeitung, Philosophie, eine Lateinsprachgruppe bis zu Literatur- und Gesprächsrunden.

Im kulturellen Bereich hat sich über die Jahre ein vielfältiges und vielschichtiges Programmprofil entwickelt. Die Seidlvilla macht Veranstaltungen aus den Bereichen Kunst, Literatur, Musik, Politik, Philosophie, Volkskultur und Volksbildung, Theater, Vorträge und Diskussionen zu gesellschaftspolitisch, ökologisch und sozial relevanten Themen. Ganz besonders wichtig ist dabei ein niederschwelliges Angebot zu bieten, das für alle Schichten erreichbar ist.

Wir zeigen Ausstellungen aus den Bereichen Kunst, Politik, (Zeit-)Geschichte und machen Projekte mit Jugendlichen und Kindern.

Unsere Veranstaltungen umfassen literarische Lesungen, Buchvorstellungen, Konzerte (vorwiegend Jazz, Kammermusik, Liederabende, für Rock und Pop sind die Räume nicht geeignet), viele Diskussionsveranstaltungen, Vorträge sowie bürgerschaftliche- und Stadtteil-Versammlungen. Theater und Kabarett sind aufgrund der räumlichen Gegebenheiten (keine Bühne) nur eingeschränkt möglich.

Daneben ist die Seidlvilla auch ein Ort für ungewöhnliche und sperrige Themen, oder Veranstaltungsformate und Aktionen für das vielleicht weniger Gefällige, nicht so leicht Konsumierbare.

Als einziges Stadtteilkulturzentrum in München gibt es eine vom Sozialreferat der Landeshauptstadt München finanzierte Stelle für nachbarschaftliche Belange, die ein großes Spektrum von sozialen und integrativen Angeboten für Jung und Alt bietet.

Das Nachbarschaftsprojekt bietet Raum für Familien (z.B. Eltern-Kind-Gruppen, Stilltreff, Treff für Alleinerziehende) und für gemeinsame Interessen (Bridge-Treff, Literaturkreis, Gedächtnistraining, Internationale Frauengruppe, Deutsch-Konversationstreff), sowie Einzelveranstaltungen wie die Schwabinger Hof-Flohmärkte oder das monatliche Erzählcafe.

Mehr als 7.000 Menschen zählt das Nachbarschaftsprojekt jährlich bei Gruppen und Treffpunkten, bei einmaligen Veranstaltungen oder der Nachbarschaftshilfe. Insgesamt sind wir gut innerhalb des Stadtteils und der Kulturszene vernetzt und arbeiten mit vielen unserer Veranstalter und Kooperationspartner eng zusammen. Über die Jahre hat sich das Haus nicht nur als wichtiger Veranstaltungsort in München eingeprägt, sondern ist auch überregional bekannt. Im Haupthaus der Seidlvilla werden bei ca. 290 Öffnungstagen um die 2.500 Veranstaltungen mit ca. 70.000 Besucherinnen in Haus und Garten realisiert.

Rahmenbedingungen

Die über 100 Jahre alte bürgerliche Villa liegt relativ zentral in München, im Herzen von Alt-Schwabing inmitten eines kleinen Parks, der von vielen Anwohnern und Angestellten der umliegenden Büros für Pausen genutzt wird. Die Verkehrsanbindung ist sehr gut, zwei U-Bahnlinien, mehrere Bus- und Tramlinien sind fußläufig in 2-5 Minuten erreichbar.

Das Haus hat eine Verkehrsfläche von ca. 1.500 qm, davon entfallen ca. 650 qm auf 12 Räume, die für Veranstaltungen geeignet sind. Manchmal werden auch die vier Foyers als Veranstaltungsräume genutzt.

Für das Programmangebot des Seidlvilla-Vereins und der Fremdveranstalter stehen acht Räume zur Verfügung. Der größte, der Zenzl-Mühsam-Saal bietet allerdings nur 66 qm bei max. 99 Plätzen, was natürlich die Möglichkeiten der Veranstaltungsformate beschränkt.

Personelle Ausstattung

Die Geschäftsführung ist mit einer Vollzeitstelle und einer Dreiviertelstelle ausgewiesen. Das Nachbarschaftsprojekt wird ebenfalls von einer Vollzeit-Angestellten geleitet. Eine Halbtagskraft ist für Buchhaltung und organisatorische Verwaltungsaufgaben zuständig. In diesem Bereich gibt es noch eine geringfügig Beschäftigte. Zwei Hausmeister teilen sich eine Stelle; sie leisten auch die Seminarbetreuung tagsüber und den technischen Support bei den Veranstaltungen. Der Cafeteriabetrieb am Abend und an den Wochenenden wird von geringfügig Beschäftigten geleistet.

Träger, Finanzen

Der gemeinnützige Verein Seidlvilla e.V. ist der Träger der unabhängigen und überparteilichen Einrichtung Seidlvilla. „Seine Aufgabe ist es, dieses Forum für kulturelle, soziale und bürgerschaftliche Belange vielfältig zu beleben und das Interesse für Stadtteilkultur anzuregen und in Bewegung zu halten.“

Eigentümer der Seidlvilla ist die Landeshauptstadt München. Sie fördert das Haus mit einem jährlichen Zuschuss. Die Stelle im Nachbarschaftsprojekt wird teilweise vom Sozialreferat der LH München finanziert. Ca. 35 Prozent des Finanzvolumens der Seidlvilla werden selbst erwirtschaftet. Dies wird hauptsächlich durch den Veranstaltungsbetrieb und die Seminarvermietung (überwiegend städtische Referate, universitäre Tagungen, interne Schulungen öffentlicher Institutionen, Meetings und Workshops) sowie Spenden generiert.

Bürgerschaftliches Engagement

Vor allem in seinen Anfängen, im 20jährigen Kampf um den Erhalt der Villa und der Entwicklung eines Nutzungskonzept war Bürgerschaftliches Engagement ( „Bürgerkomitee Schwabing“, „Aktion Nikolaiplatz“ mit Protestmärschen, Unterschriftenaktionen mit 15.000 Unterschriften) das Fundament der Aktivitäten. Viele inhaltliche und organisatorische Entwicklungen rühren aus dieser Zeit und prägen auch heute noch den Betrieb.

Seit Gründung des Vereins 1978 ist die Zahl der Mitglieder (80-90 Personen) über die Jahre relativ konstant geblieben.

Im kulturellen Bereich hat sich das Engagement der Initiatoren und frühen Seidlvilla-Mitglieder – auch alterbedingt – natürlich etwas gewandelt. Das Programmangebot in den frühen Jahren (Vorgabe waren 50 Veranstaltungen pro Jahr) kam zum großen Teil aus den eigenen Reihen. Durch die Professionalisierung des Hauses unter der Leitung durch GeschäftsführerInnen weiteten sich die Programmangebote bis heute auf um die 2.500 Veranstaltungen aus.

Im kulturellen Bereich ist der Einsatz von Ehrenamtlichen zur Mitarbeit und Durchführung von z.B. Abendveranstaltungen eher schwierig, jedoch werden z.B. monatlicher Programmversand, Mitarbeit bei Festen und Feiern von Seidlvilla-FreundInnen und –Mitgliedern geleistet.

Unter der Leitung einer angestellten Sozialpädagogin engagieren sich im sozialen Bereich des Nachbarschaftsprojekts um die 50 ehrenamtliche Bürgerinnen und Bürger (ca. 2.400 Stunden). Davon entfallen auf den Bereich der Nachbarschaftshilfe (Unterstützung, Vermittlung, Begleitung) etwa die Hälfte der Stunden. Offene Treffpunkte und Gruppenangebote werden größtenteils von Ehrenamtlichen angeleitet oder sind selbst organisiert.

Schwerpunkte für die Zukunft

Das Haus stößt in Bezug auf die Auslastung der Räume mittlerweile an seine Grenzen, aber wir werden weiter versuchen das Programm und die angebotenen Inhalte auszubauen und interessante, aktuelle und ungewöhnliche Themen aufzugreifen und anzubieten. Dazu gehören neben politisch-ökologischen Themen solche aus dem sozialen und gesellschaftspolitischen, urbanen Bereich: Gentrifizierung, Zwei-Klassen-Gesellschaft, Migration und Integration,  demografischer Wandel und Seniorenpolitik.

Sicher wird sich auch zukünftig die finanzielle und personelle Situation des Hauses nicht wesentlich verbessern; die Zuschüsse der Stadt haben sich nur unwesentlich erhöht. Schon lange decken diese Zuschüsse nicht mehr die Personalkosten, die Betriebskosten (Heizung, Strom) steigen. Wir sind zwar in der glücklichen Lage die Unterdeckung durch den Veranstaltungsbetrieb/Seminar-Vermietungen auszugleichen, die bislang für nötige Investitionen (räumliche und technische Ausstattung) erwirtschafteten Gewinne sind jedoch nur schwer steigerungsfähig.

Der Text wurde verfasst von der Geschäftsführerin des Seidlvilla-Vereins Johanna Brechtken.