Eine Frage an Frau Dr. Nicole Bickhoff: Können Sie uns die Verbindung von Königin Olga, König Karl und der Villa Berg vor dem Hintergrund der württembergisch-russischen dynastischen Beziehungen erklären?

König Karl, Königin Olga und die Villa Berg

Von Nicole Bickhoff

Die besonderen Beziehungen zu Russland sind ein zentrales Thema in der Geschichte Württembergs. Kennzeichnend sind der vielfache und fruchtbare Austausch in Kultur, Wissenschaft und Wirtschaft, aber auch die schmerzlichen kriegerischen Auseinandersetzungen; im 19. und 20. Jahrhundert ist an den Russlandfeldzug 1812, als Württemberg an der Seite Napoleons kämpfte, und natürlich an den Ersten und Zweiten Weltkrieg zu denken. Die engen Verbindungen zwischen beiden Ländern manifestieren sich aber auch in fünf Frauengestalten und ihren fünf Ehen. Während auf russischer Seite diese fünf Heiraten nicht besonders ins Gewicht fallen – von 45 ausländischen Ehepartnern waren 41 deutsche –, spielen sie für Württemberg eine herausragende Rolle. Mit keinem anderen Fürstenhaus bestanden so enge dynastische Verbindungen wie mit dem Hause Romanow. Sophie Dorothee und Friederike Charlotte Marie, die nach Russland heirateten, sowie insbesondere Katharina, Olga und Wera, die von St. Petersburg nach Stuttgart kamen, waren prägende Gestalten: Sie verfügten über einflussreiche Beziehungen, ihr sagenhafter Reichtum verhalf der württembergischen Landeshauptstadt zu Glanz, und ihre weitreichende karitative Tätigkeit wirkte lange nach, zum Teil bis heute.

Als die russische Großfürstin Olga 1846 den württembergischen Kronprinzen Karl heiratete, war dies bereits die vierte Eheverbindung zwischen den Häusern Württemberg und Romanow. Bereits 1776 hatte die württembergische Prinzessin Sophie Dorothee (1859–1828), eine Nichte Herzog Carl Eugens, den Großfürsten und späteren Zaren Paul geheiratet, den Sohn Katharinas II. (der Großen). Eine Generation später kam ihre Tochter Katharina (1788–1819) nach Württemberg. An der Seite ihres Gatten, König Wilhelms I., bestieg sie wenige Monate nach der Heirat im Jahr 1816 den württembergischen Thron. Katharina zählt bis heute zu den populären Heldinnen der württembergischen Landesgeschichte. Grund für ihre Popularität ist ihr nachhaltig wirkendes soziales Engagement. Auch ihr allzu früher Tod 1819 – sie war gerade einmal 30 Jahre alt – hat sicher zu ihrer Verklärung beigetragen. Die dritte württembergisch-russische Ehe betraf Großfürst Michail, den jüngeren Bruder Katharinas. Er heiratete 1824 Friederike Charlotte Marie (1807–1873), eine Nichte König Wilhelm I. Ihr sozialpolitisches und karitatives Engagement sowie die Förderung von Kunst und Kultur machten sie zu einer einflussreichen Person in der St. Petersburger Gesellschaft.

Doch kommen wir nun zur vierten Verbindung, die wiederum eine Großfürstin nach Stuttgart und auf den württembergischen Thron führte, nämlich Olga Nikolajewna, die Nichte Königin Katharinas, Tochter des Zaren Nikolaus I. und seiner Gattin, Zarin Alexandra Feodorowna, geborene Prinzessin Charlotte von Preußen.

Über die Kindheit und Jugend der am 30. August 1822 geborenen Olga geben die Lebenserinnerungen Auskunft, die Olga selbst in den Jahren 1881 bis 1883 verfasste; das heißt, sie entstanden in Olgas letztem Lebensjahrzehnt und verklären ohne Zweifel Manches aus der zeitlichen Distanz heraus. Gleichwohl sind die Memoiren, die unter dem Titel „Traum der Jugend Goldner Stern“ 1955 publiziert wurden, eine wichtige Quelle. Die Aufzeichnungen beginnen mit Olgas Geburt und enden mit ihrer Heirat.

Die Ausbildung und Erzieher Olgas und ihrer Geschwister – sie hatte vier Brüder und zwei Schwestern – erfolgte durch Gouvernanten und Hauslehrer. Großfürstin Olga war den Erinnerungen und auch den Äußerungen ihrer Erzieher zufolge ein besonders begabtes Kind. Bereits mit fünf Jahren konnte sie in drei Sprachen lesen und schreiben: Russisch, Englisch und Französisch. Letzteres galt als ihre „Muttersprache“, unterhielten sich doch Olgas Eltern gewöhnlich auf Französisch. Auch in späteren Jahren korrespondierte Olga häufig auf Französisch.

Glaubt man den Erinnerungen, genoss Olga eine unbeschwerte Jugend, und Zar Nikolaus kümmerte sich persönlich um die Erziehung seiner Kinder. Als Olga in das heiratsfähige Alter kam, drehte sich für sie das „Heiratskarussell“: Prinzessinnen sind eigentlich bedauernswerte Geschöpfe. Der Gothaische Almanach verrät das Alter, man kommt dich anschauen wie ein Pferd, das zum Verkauf steht – so schildert Olga in ihren Memoiren humorvoll das Schicksal einer Fürstentochter. Als mögliche Kandidaten wurden unter anderem der spätere König Maximilian II. von Bayern und Erzherzog Stephan von Österreich gehandelt. Als das Heiratsprojekt mit Letzterem nach etlichen Jahren scheiterte – nicht zuletzt am Widerstand Metternichs und der Kaiserinwitwe Karoline Auguste –, brachte der russische Gesandte in Stuttgart, Fürst Gortschakow, Kronprinz Karl von Württemberg ins Gespräch. Die erste Begegnung mit dem württembergischen Kronprinzen fand am Neujahrstag 1846 in Palermo statt, wo Olga mit ihrer kränklichen Mutter den Winter verbrachte und Karl sie aufsuchte.

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Karl und Olga als Brautpaar. Vorlage: Hauptstaatsarchiv Stuttgart G 314 Bü 2.

Bei gemeinsamen Spaziergängen kamen sich Olga und Karl näher und fanden zueinander, und noch in Palermo wurde die Heirat beschlossen und Verlobung gefeiert. Olga beschreibt ihren Verlobten in der Erinnerung an diese Tage: Wie sah er aus? Etwas über mittelgroß, überragte er mich um Stirnhöhe. Die Augen waren braun, der Haaransatz Stirn und Schläfe schön umrahmend, die Lippen voll und geschwungen, ihr Lächeln so, dass es stets ansteckend war, Hände, Füße, die ganze Gestalt vollkommen gebildet, so stand er vor mir ohne Fehl außer diesem: dass er sechs Monate jünger als ich war. Oh, welches Glück zu lieben.

Am 13. Juli 1846 fanden in St. Petersburg die Hochzeitsfeierlichkeiten statt, die einem prunkvollen Zeremoniell folgten. Im September 1846 traf das neuvermählte Paar in Stuttgart ein und wurde unter großem Jubel begrüßt. Großfürstin Olga fiel die Eingewöhnung nicht leicht: Die kühle Atmosphäre am württembergischen Hof stand im Gegensatz zum familiär-vertrauten Umgang am Zarenhof. Belastend war auch das häufig angespannte Verhältnis zwischen König Wilhelm I. und seinem Sohn Karl. Olga behielt ihr ganzes Leben lang eine enge Verbindung zu ihrer russischen Heimat und reiste regelmäßig, meist in Begleitung ihres Mannes, nach St. Petersburg. Umgekehrt kam die russische Verwandtschaft auch gern und oft nach Stuttgart. Vor allem aber hielt Olga den engen Kontakt zu ihren Eltern und Geschwistern durch ihre umfangreiche Korrespondenz aufrecht.

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Briefe der Königin Olga. Vorlage: Hauptstaatsarchiv Stuttgart G 314 Bü 11.

Olga sorgte für Glanz am württembergischen Hof. Sie brachte eine prachtvolle Aussteuer mit nach Stuttgart. Außerdem erhielt Olga wie auch die anderen Großfürstinnen eine großzügige Mitgift von einer Million Rubel, angelegt bei der Russischen Staatsbank.

Die finanziellen Möglichkeiten Olgas gestatten es auch, das von Kronprinz Karl begonnene Bauvorhaben einer Sommerresidenz wieder aufzunehmen und großzügiger zu gestalten als ursprünglich geplant. Bereits 1843/44, nach der Rückkehr von einer Italienreise, hatte Kornprinz Karl den Entschluss gefasst, sich auf einem der vielen schönen Punkte in der lieblichen Umgebung Stuttgarts […] ein hübsches Landhaus […] in edlen Formen, mit bequemen Räumen, schöner Aussicht, in einem freundlichen Parke gelegen“ zu errichten. Karls Sekretär Friedrich Wilhelm Hackländer fand den passenden Ort auf dem „Höll’schen Bühl“ bei Berg. Trotz der zunächst wesentlich bescheidener geplanten Villa gingen die Arbeiten nur langsam voran. Die Heirat mit der russischen Großfürstin Olga sowie ein finanzieller Zuschuss des Schwiegervaters, des Zaren Nikolaus I., ermöglichten Karl die Realisierung des Landschlosses, und das in weit größerem Umfang. Kronprinzessin Olga nahm lebhaften Anteil an den Planungen; auf ihren Wunsch wurden die ursprünglichen Pläne des Architekten Christian Friedrich Leins verändert und erweitert. Der Rohbau der Villa Berg wurde 1847 vollendet, wegen der Revolution 1848 verzögerte sich jedoch die Fertigstellung bis zum Jahr 1853. Gleich nach Bezug des Sommerschlosses schrieb sie am 2. Oktober 1853 an ihre Mutter: Liebe Mutter, als erste Tat am ersten Morgen im neuen Haus schreibe ich Ihnen, damit Sie und Vater uns aus der Ferne für unser neues Leben segnen. […] Den Café haben wir auf Karls Balkon eingenommen, sein Zimmer liegt auf der Sonnenseite, angenehm im Herbst, die meinen liegen nach Norden, weil ich die Sommersonne fürchte. Wir werden unsere Gewohnheiten mit den Jahreszeiten ändern. – Olga hatte auch großen Anteil an der Gestaltung der Inneneinrichtung: Die opulente Ausstattung geht wohl auf sie zurück.

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König Karl von Württemberg. Fotografie, 1890. Vorlage: Hauptstaatsarchiv Stuttgart GU 99 Nr. 263.

Olga verstand es zu repräsentieren: Sie war ein gern gesehener Gast an den europäischen Fürstenhöfen, und auch in der Stuttgarter Residenz wurden häufig Gäste empfangen. Man pflegte Hofgesellschaften, lud zum Mittagessen ein, und abends gab es vielfältige Veranstaltungen wie Theater, Privatkonzerte, Tanztees und Soireen. Neben den Geburtstagen von König und Königin gehörte der Neujahrstag zu den wichtigsten Daten im Jahreslauf. Große gesellschaftliche Ereignisse waren auch die Hofbälle im Winter und die Gartenfeste im Sommer, wozu Schloss Rosenstein und die Wilhelma einen geeigneten Rahmen boten. Königin Olga konnte fürstlich auftreten und war eine glänzende Escheinung. Allerdings fehlte ihr eine gewisse Volksnähe. Der preußische Gesandte Philipp von Eulenburg-Hertefeld beschrieb sie später einmal: Sie steht da wie eine Sonnenblume auf einem freien Feld, groß, angestaunt und fremdartig.

Olga war zwar an Politik interessiert, doch war das nicht ihr vorrangiges Betätigungsfeld. Ein wichtiger Lebensinhalt war ihr soziales Engagement, das in zunehmendem Maße zu ihrer primären Aufgabe wurde. Die Erziehung und Bildung der Jugend war ihr ein besonderes Anliegen. Mit ihrer Hilfe und Unterstützung entstanden zahlreiche Kinderkrippen (die „Olga-Krippen“), Kinderrettungsanstalten und Kleinkinderbewahranstalten. 1873 gründete sie die zweite höhere Töchterschule, das Königin-Olga-Stift, und schuf auch zahlreiche Ausbildungsmöglichkeiten für Mädchen und Frauen. Die Entwicklung des Olgahospitals („Olgäle“), das 1842 als „Heilanstalt für Kinder unbemittelter Eltern“ gegründet worden war, wurde von ihr ideell und finanziell bestimmt und gefördert. Zudem übernahm die das Protektorat über ein Blindenasyl, das in Erinnerung an ihren Vater den Namen „Nikolauspflege“ erhielt.

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König Karl von Württemberg. Fotografie, 1890. Vorlage: Hauptstaatsarchiv Stuttgart GU 99 Nr. 263.

Olga war bemüht, aus ihrer Ehe das Beste zu machen. Auch wenn die Ehe arrangiert war, kam man die ersten Jahre gut miteinander zurecht. Die gemeinsamen Interessen für Musik, Literatur, Kunst und Theater besaßen einen großen Stellenwert in ihrem Leben und halfen, den Schein eines harmonischen Ehepaares aufrecht zu erhalten. Die Hoffnungen Olgas auf ein glückliches Familienleben erfüllten sich jedoch nicht. Olga litt unter der Kinderlosigkeit. Zusätzlich belastet wurde die Ehe durch die Launen und Depressionen Karls und seine Beziehungen zu berechnenden Günstlingen.

Nach außen bewahrte Olga aber stets ihre vornehm-distanzierte Haltung. Einen flüchtigen Einblick in ihr Gefühlsleben gewähren ihre Jugenderinnerungen, an deren Ende sie schreibt: Nach der Heirat beginnt ein so andersartiges Leben, ein Leben, dem viele bittere Momente beigemengt sind, trotz des vielen häuslichen Glückes, dass es mir besser erscheint, es nicht wieder hinaufzubeschwören! Die guten wie die schlechten Tage tragen zur Entwicklung unseres Wesens bei. Nicht sich verbittern lassen, jene ehren, die wir nicht lieben können, Böses mit Gutem erwidern, vermeiden, sich auf sich selbst zurückzuziehen, und doch einen unantastbaren Grund der Unabhängigkeit, der Ruhe und des Wohlwollens in sich bewahren – das war es, was ich stets zu verwirklichen trachtete.

König Karl starb am 6. Oktober 1891. Fast genau ein Jahr später, am 10. Oktober 1892, ging auch das Leben der Königin Olga zu Ende. Sie starb an ihrem Witwensitz in Friedrichshafen. In der Fürstengruft im Alten Schloss, an der Seite ihres Mannes, fand sie ihre letzte Ruhe.

Frau Dr. Nicole Bickhoff ist Leiterin der Abteilung Hauptstaatsarchiv Stuttgart im Landesarchiv Baden-Württemberg. Im Jahr 1956 in Bochum geboren hat sie Geschichte und Katholischen Theologie an der Ruhruniversität Bochum studiert und an der Universität Osnabrück zum Thema „Die Juden in der griechisch-römischen Welt“ promoviert. Nach einem Referendariat für den höheren Archivdienst am Landeshauptarchiv Koblenz und der Archivschule Marburg war sie u.a. Archivarin am Staatsarchiv Ludwigsburg, Leiterin der archivfachlichen Grundsatzabteilung in der Landesarchivdirektion bzw. im Landesarchiv Baden-Württemberg sowie (seit 2000) Ständige Stellvertreterin des Präsidenten. Sie hat zahlreiche historische Ausstellungen begleitet, ist Autorin von archivfachlichen und landesgeschichtlichen Veröffentlichungen und hat Lehraufträge am Institut für Geschichtliche Landeskunde und Historische Hilfswissenschaften der Universität Tübingen und der Akademie der Bildenden Künste Stuttgart. Aktuell ist sie zudem Vorsitzende des Württembergischen Geschichts- und Altertumsvereins.

Quellen und Literatur:

  • Hauptstaatsarchiv Stuttgart G 314
  • Königin Olga von Württemberg: Traum der Jugend goldner Stern. Aus den Aufzeichnungen der Königin Olga von Württemberg. Aus dem Französischen übersetzt und herausgegeben von Sophie Dorothee Gräfin Podewils. Pfullingen 1955.
  • Olga – russische Großfürstin und württembergischen Königin. Ein Leben zwischen Höfischer Repräsentation, Politik und Wohltätigkeit. Hrsg. vom Haus der Heimat. Stuttgart 2008.
  • Das Königreich Württemberg. 1806–1918. Monarchie und Moderne. Katalog der Großen Landesausstellung vom 22. September 2006 bis 4. Februar 2007 im Landesmuseum Württemberg. Stuttgart 2006.
  • Friedrich Wilhelm Hackländer: Der Roman meines Lebens. Bd. 2. Stuttgart 1878.