Eine Frage an Herr Dr. Schloz: Sie haben ein historisches Filmdokument mit Aufnahmen von Villa Berg und Park entdeckt. Erzählen Sie uns davon? Was lässt sich aus dem Filmdokument für Villa Berg und Park folgern? Und haben Sie noch weitere Erkenntnisse zu deren Sozial-Geschichte?

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Die Villa Berg als stadtsozialer und touristischer Ort
Eine historische Betrachtung

Nun, einen Film zu ‚erzählen‘ ist ein heikles Ding, will man es nicht bei einer profanen Inhaltsangabe belassen, es fehlen ja die Bilder, die diesen eigentlich ausmachen. Aber wir können versuchen, uns seinen Botschaften zu nähern, auch wenn dazu wohl etwas detailverliebte ‚Erbsenzählerei‘ gehört, um ihn zum Sprechen zu bringen. Und in der Tat verhilft uns dies im vorliegenden Fall, etwas über die Villa Berg und ihren Park herauszufinden und etwas Leben in deren Geschichte zu bringen – und darüber hinaus zu weiterführenden Fragen und vielleicht auch Antworten zu kommen.

Konkret meint dies: zu erfahren, welcher Stellenwert Villa und Garten in Stuttgart zugesprochen wurde, und vielleicht auch, welche Bedeutung ihnen in der Selbstwahrnehmung der Bevölkerung zukamen. Und das in jener Zeitspanne, die sich zwischen dem Erwerb durch die Stadt 1915 und den kriegsbedingten Zerstörungen und nachfolgenden Veränderungen nach 1945 auftut, den zwanziger und dreißiger Jahren also. Es ist eine eher indirekte Spurensuche und orientiert sich somit mehr an Indizien und plausiblen Schlussfolgerungen denn an bereits beschriebenen Sachverhalten. Dafür gilt es etwas auszuholen, auch das äußere ‚Ansehen‘ der Stadt Stuttgart ist mit einzubeziehen, schauen wir also hin …

Ein Werbefilm über Stuttgart

Im Dezember 1935 findet in Berlin eine Filmpremiere statt. Der Film trägt den Titel: Stuttgart – die Großstadt zwischen Wald und Reben. Die Regie hatte Walter Ruttmann (1887 – 1941), ein in den zwanziger und dreißiger Jahren durchaus bekannter und auch anerkannter Filmemacher, der sich früh durch avantgardistische Kurzfilme, vor allem aber mit seinem bis heute filmhistorisch bedeutsamen Montagefilm Berlin – Die Sinfonie der Großstadt hervorgetan und einen Namen gemacht hatte. In den dreißiger Jahren arbeitete er bei der Universum Film AG – UFA (1933 durch den damaligen Eigentümer und deutschnationalen Medienmoguls Alfred Hugenberg faktisch an die NSDAP übergeben), drehte Kultur-, Werbe-, Industrie- und Propagandafilme, aus heutiger Sicht mit teilweise fragwürdigem da nationalistischem Gehalt. Es ist vor allem seine rhythmische Bildgestaltung, die in Verbund mit einer (taktgenau) daran ausgerichteten musikalischen Ton- und Musikbegleitung beim Publikum einen nachhaltigen, suggestiven Eindruck hinterließ. Und seine überaus prägnante Technik der kurzen Schnitte zwischen einzelnen Filmszenen sowie der assoziativen Übergänge zu nachfolgenden Filmsequenzen ist auch aus heutiger Sicht noch sehenswert und nachgerade modern.

Es ist nun dieser Regisseur, der seinen dokumentarischen Werbefilm über Stuttgart einem zunächst fernen Publikum präsentiert – aber das ist ja auch die eigentliche Zielgruppe dieses Unterfangens: der Fremde, der bislang noch nicht seinen Weg in die württembergische Hauptstadt gefunden hat, als Tourist und Gast, Handlungsreisender und möglicher Geschäftspartner. Aber eben auch als Heimkehrer ‚aus fernen Landen‘ in die ‚heimatlichen Gefilde‘. Oder gar als einer, der Kunde erhalten soll von dieser bemerkenswerten Stadt, in der sich nunmehr so nachdrücklich und bewundernswert Altes als heimelig Bewahrtes – und gleichzeitig Neues als kulturell Fortschrittliches nebeneinander als gleichwertig und wertvoll ergänzen …

Denn: der Film hat einen weiteren, nachfolgend eingeblendeten Untertitel: … die Stadt des Auslanddeutschtums, und daraufhin: Ein Ufa-Ton-Kulturfilm. Hintergrund ist, dass in Stuttgart mit dem 1917 gegründeten deutschen Ausland-Institut (DAI) – „ein Werk des Friedens mitten im Krieg“ – schon vor der Machtergreifung intensive Kontakte zu im Ausland lebenden Deutschen bestanden. Das DAI hatte neben einer umfassenden Dokumentation von Volkstumsgruppen weltweit vor allen die Beratung und Betreuung Ausreisewilliger zur Aufgabe. Nahezu zeitgleich mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten wurde das Institut ‚reorganisiert‘ und im Sinne der NS-Volkstumspolitik neu ausgerichtet und finanziell deutlich besser aufgestellt. Der 1933 zum Oberbürgermeister gemachte Karl Strölin, bedacht, ’seine‘ – eher liberal orientierte, NS-politisch etwas renitente – Stadt in Berlin aufzuwerten, konnte darauf aufbauend im September 1936 den Stadt-Ehrentitel „Stadt der Auslandsdeutschen“ entgegennehmen.

Der Film Ruttmanns nahm dieses Thema gleichsam im Vorgriff auf (und hatte vielleicht auch die Funktion eines Wegbereiters), war aber darüber hinaus Werbeträger für die Stadt selbst, gab der Welt) ein Bild von sich, ein begehrenswertes nachgerade. Mit einer Länge von knapp 14 Minuten war er als Vorfilm des Hauptprogramms in Kinos gut geeignet, konnte so seine werbenden Absichten einem breiten Publikum nahe bringen. Und ohne Kenntnis darüber zu besitzen, wie breit und intensiv der faktische Einsatz als Werbemittel war, mag doch der Hinweis in der Chronik der Stadt Stuttgart für den Mai 1937 in eine solche Richtung weisen: 100 Film-Kopien würden für den Einsatz in den Auslandsorganisationen des DAI eingesetzt werden, wird berichtet, zweifellos zusätzlich zu den bereits bestehenden.

Nun aber – endlich – zum Inhalt des Films selbst …

Stuttgart, Bewahrung und Moderne

Der Film lässt sich in drei Teile gliedern: einen kurzen ersten Teil (ca. 1:50 min mit Titelei), der auf belehrende Weise die Idee der weltweiten deutschen Volksverbundenheit bemüht (womit die propagandistische Seite im Wesentlichen abgearbeitet ist).

Es erfolgt als zweiter, klar getrennter Teil der Eintritt in die eigentliche Filmhandlung, der die Werbeintention gleichsam maskiert. Als gespielte Rahmenhandlung wird die Geschichte eines Bruderpaares erzählt, wovon der eine, der ‚Hans‘, seinem Bruder, dem ‚Georg‘, per Brief seine baldige Ankunft in Stuttgart mitteilt. Vor 22 Jahren, wie wir erfahren, nach Südamerika ausgewandert, steht nun erstmalig ein Wiedersehen in der alten Heimat an. Er, der Hans, hat also seine Stadt und Heimat noch vor Ausbruch des ersten Weltkrieges gen Übersee verlassen (1935 – 22 J. = 1913), hat die Bilder der trauten großen Stadt von damals im Kopf und wird nun in eine deutlich veränderte Welt zurückkommen, nach dem 1. Weltkrieg 1914-1918, nach Inflation und Währungsreform 1923, nach der Weltwirtschaftskrise um 1930 – und natürlich auch nach der Machtübernahme durch die Nazis 1933.

Wir erleben filmisch die Verschickung des Briefes per Zeppelin (Südamerikalinie), als Luftfracht mit ‚Vogelflugblick‘ von Südwesten her auf den Stuttgarter Talkessel zu, als Zustellung durch den lokalen (neugierigen) Postboten – meist in nur kurzen Filmsequenzen. Und daraufhin die Reise von Hans selbst per Eisenbahn (und Stuttgart erzeigt sich als Schnittpunkt der großen europäischen Durchmesserlinien der Eisenbahn), als Zugfahrt durch süddeutsche Lande, als panoramische Annäherung an die Stadt durch blühende Gärten via Gäubahn-Trasse und schließlich die Einfahrt in den Stuttgarter Hauptbahnhof. Sein Bruder Georg empfängt den so lange nicht gesehenen Gast aus der Fremde, er wirkt dabei – als Schwabe! – selbstbewusst und durchaus stolz. Er lässt sich mit ihm durch den ‚gläsernen‘ Aufzug auf die bewirtschaftete Café-Terrasse des Bahnhofturms tragen – metaphorisch: Stuttgart ist höher und voran gekommen. Dort dann, mit Blick auf die Weite der Stadt längs der belebten Königstrasse fallen die Worte: „Na Hans, was saggsch jetzt?“ – „Da sag i garnix meh, da gugg i bloß.“

Und nun also, mit diesem Rundblick über den inneren Stadtkessel, beginnt der dritte Abschnitt des Film, der eigentliche ‚werbende‘ Teil – geschickt inszeniert und ‚geschmacklich‘ vorbereitet durch die vorangegangenen Bilderfolgen. Die Stadt wird in der Folge vorgestellt, ähnlich eines Reiseführers werden die neuen, modernen Hochbauten der Stadt in einer filmischen Abfolge aneinandergereiht: Oberpostdirektion, Hauptbahnhof, Tagblattturm, Breuninger-Hochhaus … Dann die Dynamik des automobilen und öffentlichen Verkehrs … Es folgen getragene Filmsequenzen der alten Fachwerkstadt im Zentrum der Stadt, mit malerischen Gassen und ziegelbedeckten Dachlandschaften … Weiter die repräsentativen Bauten von Altem und Neuem Schloss, den Staatstheatern … Das Wasser übernimmt sodann die Regie der Präsentation: Mineralquellen und -bäder, die sportliche Betätigung draußen überhaupt, und da wird Stuttgart zur Stadt am Fluss: Inselbad am und Paddelvergnügen im Neckar, die Jugend erfreut sich an Wassersprüngen …

Und Schnitt! : … ein Tropfen fällt ins Teeglas, danach eine langsame Kamerafahrt längs der Café-Tische auf der bewirtschafteten Westterrasse der Villa Berg, gediegenes Publikum, dann durch das Rosenparterre, unter schattigen Bäumen und durch gepflegte Park- und Gartenlandschaften, verweilend an reizvollen Wasserspielen und dem fischreichen Seerosenteich. Achten wir auf die Zeitdauer: Minute 10:23 bis 11:58, also 1 min 40 sec. dauert diese Sequenz, die ein kurzes bewegtes Leben einhaucht in Fotografien, wie sie gängig diese Lokalität sonst nur zeitbezogen zeigen. Daraus vier Film-Standbilder zu Illustration …

Die Villa und ihr Park gleichsam als geruhsamer, nachmittäglich-abendlicher Ausklang eines Tages (Schnitttechnik und musikalische Untermalung sind auch hier immer genauestens getaktet und situativ angepasst). Das eher gutsituierte, bürgerliche Publikum geniest die entspannte Ruhe und gepflegte Schönheit des ehedem fürstlichen Anwesens, weiß sich eingebettet in gehobene Gefilde, wie es nur wenige Dezennien vorher so noch nicht vorstellbar war …

Danach folgen in den verbleibenden 2 Minuten im Film noch die fast elegische Sicht auf Gräber prominenter Geistes- und Industriegrößen – und wiederum harter Schnitt: die Welt der industriellen Produktion, Daimler und Bosch stellvertretend, wird in einem rasanten, fast sekündlichen Szenenwechsel höchstdynamisch in Szene gesetzt, eine expressionistisch inszenierte Huldigung an die moderne Technik. Noch eines drauf setzt die abschließende Szenenfolge, in der Stuttgart mit stilistischen Mitteln als Stadt mit weltweiter Kommunikation dargestellt wird (der nahe gigantische Großrundfunksender Mühlacker lässt grüßen). All dies musikalisch kongruent mit durchkomponiertem Orchesterklang unterlegt zur (durchaus gelungenen) Steigerung von Wirkung und Nachdrücklichkeit. Und so endet dieser dokumentarische Werbefilm über Stuttgart auch mit einem heiteren Panoramablick auf den Talkessel, mit melodischer Untermalung durch das bekannte „Muss i denn, muss i denn zum Städtele hinaus …“

Aber gehen wir zurück zur Sequenz, die den Park der Villa Berg 1935 eben auch in seiner damaligen Nutzung zeigt. Die Bilder sind eindeutig: ein überaus gepflegter, angenehm ruhiger Ort der gefälligen Kontemplation, Caféatmosphäre par excellence, eine opulente gärtnerische Umgebung, weitläufigere wie auch intimere Parkpartien für gesuchte Geselligkeit – gleichsam ein Ort außerhalb des Alltags: als wäre immer Sonntag. Was der ‚historischen Wahrheit‘ so fern ja nicht mal stand.

Um im Kontext des Films insgesamt zu bleiben und eine Einschätzung zu wagen hinsichtlich unserer Eingangsfragen: Park und Villa Berg scheinen in den dreißiger Jahren schon ein besonderes Kleinod gewesen zu sein, vorläufig zumindest aus der Sicht eines darin geschulten Walter Ruttmann, der für seinen dokumentarischen Werbefilm die vorfindlichen Gegebenheiten, die örtlichen Eigenheiten und auch Wertschätzungen zu berücksichtigen hatte – mit sicherlich gewissen Freiheiten in der Gewichtung der einzelnen Elemente. Aber das ‚Gesamt‘, es musste stimmen und auch den Auftraggeber überzeugen und zufriedenstellen.

Von den 14 Minuten Gesamtlänge gehen für Titelei, Propagandavorspann und ‚Bruder-kommt-heim‘-Geschichte knapp 5 Minuten ab – rechnen wir davon aber 1 für da bereits eingeblendete Stadtansichten weg –, verbleiben also 10 Minuten für die eigentliche Präsentation der Stadt für den Beschauer. Die meisten Szenen dauern nur wenige Sekunden, sind in rascher Schnittfolge angeordnet – und dann folgt der Cut zur Villa Berg in ruhiges Fahrwasser mit deutlich längeren Einstellungen. Für eindreiviertel Minuten, das sind mehr als 15 Prozent der Stadtpräsentation insgesamt, ein erstaunliches Gewicht somit, das dieser Lokalität gegeben wird.

Man darf plausibel daraus folgern, dass Villa und Park ein offensichtliches ‚Aushängeschild‘ der Stadt darstellen, auch im Selbstverständnis seiner Bewohner, dem fremden Blick stolz nahegeführt und so quasi ans Herz gelegt. Seit nur zwei Jahrzehnten im Eigentum der Stadt und – die Villa – erst seit 1925 in öffentlicher Nutzung ist das ein bemerkenswertes Zeichen. Ruttmann interessiert sich nicht für mögliche andere städtischen Attraktionen – kein ansehnlicher Schloßplatz, kein quirliger Stadtgarten, auch keine exotische Wilhelma: alles durchaus namhafte und weithin bekannte Orte wie Anderes mehr, aber sie tauchen bei ihm nicht auf – vielleicht, weil es ihnen an der nötigen ‚Erhabenheit‘ mangelt, die sich als struktureller Kontrast passend in seine Filmdramaturgie einfügt.

Man kann berechtigt einwenden, dass eine solche Sichtweise und Wertung doch etwas überzogen sei, aus zu dünnem Holz geschnitzt und überhaupt die Mücke sich im Gewand eines Elefanten kleide … D’accord, kann sein. Und deswegen wollen wir die Recherche etwas weiterführen und ausweiten, über andere Zugangswege, um eine mögliche Bestätigung der besonderen Reputation dieses baulich-gärtnerischen Ensembles zu erhalten.

Blicke auf die Stadt, die Villa, den Park

05_Ansichtspostkarte Villa Berg

Villa Berg, Westansicht, Kolorierte Ansichtskarte, um 1910

Da sind zum Einen die Ansichtskarten von Villa und Park, die in augenscheinlich großer Zahl bereits vor der Jahrhundertwende, aber auch danach, eine beliebte Weise waren, postalisch vom eigenen Aufenthalt in Stuttgart zu künden. Als Lithografie, Zeichnung oder frühe Fotografie, einfarbig oder mit Kolorierung (siehe Abbildung oben) senden sie ihre ästhetischen Bildbotschaften in die Ferne: schaut her, was wir hier Schönes haben, was es hier Besonderes gibt! – Im Archiv der Stadt Stuttgart gibt es dazu ein Konvolut von über 50 verschiedenen, teils ‚frischen‘, teils versendeten und beschriebenen Postkarten, meist mit Abbildung der Villen-Westfront unter Einbeziehung des Rosenparterres. Aber eine Vertiefung bietet sich auf Grundlage dieses dennoch beschränkten Materials weniger an, zur sehr dominiert die Architektur die Bilder in recht gleichförmiger Weise und standardisiertem Blickwinkel.

Wir wollen hier einen anderen Weg beschreiten – neben durchaus weiteren möglichen –, mehr über die öffentliche Rezeption dieser Lokalität im Zeitverlauf herauszufinden, vor allem auch, gegebene Veränderungen aufzuspüren. Dazu werden wir einen vergleichenden Blick auf jene Druckwerke werfen, die eine – im Vergleich geschulte – ‚objektive‘ Wertung so richtig zur verlegerischen Verpflichtung und zum beworbenen Anspruch gemacht haben und in hohen Auflagen ihre Leserschaft gefunden haben: die Reisehandbücher, Stadtführer und Tourist Guides, die dem Fremden das Unbekannte eröffnen und mit verlässlichem Rat seine Entdeckungsreise begleiten sollen.

Das geschieht im Sinne einer kleinen Archäologie von ‚Schichten‘ der Fremdbeschreibung durch die Jahrzehnte, in den verschiedenen Auflagen von maßgeblichen Führern, um sensibel die Veränderungen bei der Beschreibung wahrzunehmen. Dies mit Zielsicht auf die Zeit zwischen den Weltkriegen, jedoch unter Hinzunahme von Veröffentlichungen aus früherer Zeit, als Villa und Park noch herzogliches Eigentum waren.

Halten wir zuvor nochmals die zeitlichen und nutzungsbezogenen Eckdaten fest, um eine bessere Einordung des Nachfolgenden zu ermöglichen. Erbaut 1846 – 1853 diente sie Kronprinz Karl und seiner Gemahlin Olga vor allem als privater Landsitz und sommerliches Refugium. Karl überschrieb 1864 anlässlich seiner Krönung zum König von Württemberg Villa und Park an Olga, die sie wiederum 1892 an ihre Adoptivtochter Wera vererbte. 1912 ebenfalls verstorben, verkaufen deren beiden Zwillingstöchter Elsa und Olga als Erben 1913 die rund 24 Hektar Park mit allen Gebäuden an die Stadt Stuttgart, letztlich inflationsbedingt für lau – ein vertragsbedingt unfreiwilliges Geschenk an die Stadt. Der Erste Weltkrieg, die politisch instabile Lage danach, die zunehmende und schließlich galoppierende (Hyper)Inflation mit Währungsreform Ende 1923 führten dazu, dass die Villa in der Folge für längere Zeit für die Unterbringung von Schwerstverwundeten und dann wohl in den Folgejahren allenfalls sporadisch und unspezifisch genutzt wurde. Der umzäunte Park war jedoch öffentlich zugänglich, mit abendlichen Schließzeiten. Die ab 1924 rasant sich bessernden wirtschaftlichen Verhältnisse – Stuttgart wird in den Folgejahren, wie viele andere deutsche Großstädte auch, zur wirtschaftlichen und kulturellen ‚Boomtown‘ – und vor allem die großzügige Schenkung einer bedeutenden Sammlung schwäbischer Expressionisten seitens des Marchese Silvio de Casanova bringen Bewegung in die Sache.

Die Stadt investiert in eine vor allem technische Ertüchtigung des Villengebäudes (elektrische Beleuchtung, Zentralheizung, neue Sanitäreinrichtung uam.), baut die (nördlich anschließenden) Remisen und Stallungen zu Cafe und Restaurant um und nutzt das Obergeschoß als städtische Gemäldegalerie. Das Erdgeschoß wird in den folgenden Jahren bis in den 2. Weltkrieg hinein für repräsentative Empfänge und festliche Anlässe der Stadt vorgehalten, feierliche (‚Wieder-‚)Eröffnung war im Mai 1925. Der Park erfährt – unter anderem durch einen neu gestalteten Kinderspielplatz, aber auch botanische Anpassungen – eine Umgestaltung zu einem ‚Volkspark‘, der sich offensichtlich mitsamt der Restauration bei der Stuttgarter Bevölkerung großer Beliebtheit erfreute. In den Brandbomben des 2. Weltkrieges endet diese intensive Episode in der Geschichte von Villa und Park und transformiert beide in eine andere ‚Lebensform‘, die zunehmend in einen Dämmerzustand übergeht. Dies soll hier nicht weiter interessieren, wohl aber die Jahre davor mit Fokus auf die öffentliche Nutzung in den 20er- und 30er-Jahren.

Reisehandbücher, Stadtführer und Tourist Guides

Baedeker der Reiseführer-Überflieger

Das Handbuch für Reisende von Baedeker bildet gleichsam die Referenzklasse der Reiseführer für Regionen und Länder bis weit ins 20. Jahrhundert hinein. 1842 erschien erstmals der Titel Deutschland, der in vielfachen Auflagen – mit entsprechenden inhaltlichen Modifikationen – bis in die 1930er vertrieben wurde. In Ergänzung gab es Ausgaben mit größerer regionaler Eingrenzung. Eine hier vorliegende englischsprachige Ausgabe von 1873 (in 3. Auflage) mit dem Titel Southern Germany and Austria, including the Eastern Alps, ein rund 500-Seiten-Werk, beginnt mit der Beschreibung von Stuttgart und näherer Umgebung und widmet ihr immerhin knapp 13 Seiten. Die Stadt „is the most beautifully situated of German capitals“ – wenn das nichts ist! Und in der 7. Auflage von 1891 (die Nachfrage scheint groß gewesen zu sein) lesen wir immerhin: „is beautifully situated and surrounded by picturesque vine-clad [weinberankte] and wooded heights.“

06_Baedeker 1891 Karte

Stuttgart nach Nord-Ost, 1891, Baedeker

Dieser Ausgabe ist auch eine Karte Stuttgarts beigegeben, die in ungewöhnlicher Ausrichtung längs des Nesenbachtals auch in verkleinerter Sicht deutlich macht, wie ‚entfernt‘ zu jener Zeit der Stadtteil Berg (eingemeindet 1836) lag: nah am Neckar, aber mit 3/4 Stunden Gehzeit aus dem historischen Zentrum (: dem Residenzschloß) nur zu erreichen. Zusammen mit dem Schloß Rosenstein und der Wilhelma war die „Royal Villa“ also ein veritables halbtägiges Ausflugsziel Von dort aber bietet sich ein „charming view“, auf Cannstatt hinüber und in die Weiten der Neckarauen wie auch retour gen Stadtzentrum. Ein Besuch von Villa und Park war in den Sommermonaten möglich, bedurfte allerdings der Planung: „Tickets of admission obtained at the office oft the Obersthofmeister [sic!], at the Alte Schloss (ground-flor, 8-9 a.m.)“ Der Eintrittspreis berechtigt während des Sommer-Halbjahrs für den Besuch des Parks und die Besichtigung der Villa, deren Ausstattung ebenfalls Erwähnung findet.

Jene war im Grund spätestens ab der Errichtung der sog. ‚Kleinen Villa‘, die Königin Olga noch 1880 im östlichen Parkbereich für ihre bereits verwitwete Adoptivtochter Wera und deren Zwillingstöchter hatte errichten lassen, nicht mehr regelhaft bewohnt, auch der eher bürgerliche Lebens- und Wohnstil von Herzogin Wera mag dafür Indiz sein. Insofern war wohl der Erdgeschoßbereich den Besuchern zugänglich, die im Verhältnis dazu ‚einfacher‘ gehaltenen Wohnungen im Obergeschoß wohl eher nicht.

Die zentrumsferne Lage des Stadtteils Berg führt dabei regelhaft zur (reiseführergängigen) Erwähnung gegen Ende der Stuttgart-Beschreibung, unter dem Unterkapitel ‚Umgebung‘: „Die Anhöhe südl. krönt die Villa in Berg (…), mit schönen Anlagen, ansehnlichen Gewächshäusern und einigen Kunstwerken“; Gemälde, Skulpturen, Büsten, Brunnen werden wertschätzend erwähnt. Dieser Text wird in allen folgenden Ausgaben grundsätzlich beibehalten (1903 … 1929).

Was die Gesamtstadt anbetrifft: die vorliegende deutsche Süddeutschland-Ausgabe des Baedekers von 1903 (28.Aufl.) bleibt beim Grundtenor der obigen (englisch übersetzten) Vorlage: „Stuttgart […] liegt reizend in einem weiten Thalkessel (3-4km vom Neckar), umgeben von zahlreichen Landhäusern, Rebenhügeln und waldbekränzten Höhen.“ Das bleibt leicht modifiziert gleich in den folgenden Auflagen (1906, 1909), auch die ‚komprimierten‘ Ausgaben Deutschland in einem Bande von 1906 und noch 1913 übernehmen diese somit lange Jahre gültige Charakterisierung. Spätere Ausgaben (1926, 1929 – der letzten 33. Auflage) bieten einen veränderten Grundtext, so vor allem die ausführlichere Regionalausgabe Württemberg und Hohenzollern von 1925, in der es heißt: „Der Kern der Stadt, mit den älteren Vorstädten, liegt reizend in einem vom Nesenbach durchflossenen Talkessel, der sich nur nach Nordosten zu dem 3 km entfernten Neckar hin öffnet. Neuere Landhausviertel breiten sich zwischen schönen, jetzt mehr und mehr verschwindenden Weinbergen und Obstgärten an den Talhängen bis auf die waldbekränzten, aus Keuper bestehenden Höhen aus“. Das immense Bevölkerungswachstum der vergangenen 4 Jahrzehnte forderte ihren zwangsläufigen Besiedlungs-Tribut.

Da war das umzäunte Areal mit der heiteren Neo-Renaissance-Villa schon länger zu einer Art ‚herrschaftlicher Trutzburg‘ geworden, die dem ringsum waltenden immobiliären Verwertungsprozess lange Grenzen geboten hatte – privates, fürstliches Eigentum –, bis sie dann ja 1913 in ihr vorläufig ungewisses ’städtisches Schicksal‘ entlassen wurde. Und so vermelden denn die Baedeker der nachfolgenden Jahre auch: „… jetzt im Besitz der Stadt …“.

Da heißt es dann weiterhin (1925; verkürzt 1926, 1929) „… im Erdgeschoß Repräsentations­räume; im ersten Stock die Städtische Gemäldesammlung (…). In dem schönen seit 1913 als öffentlicher Park (Restaur. im Seitenflügel der Villa) zugänglichen Garten Statuen der vier Jahreszeiten, von Kopf, ferner Bronzebüsten des Kaisers Nikolaus I. von Rußland und seiner Gemahlin, von Rauch; hübsche Rosenlauben“. Einen ’späteren‘ Baedeker gab es nur noch als Deutsches Reich – Autoführer (1936), in dem entsprechend kurz die „Villa Berg (städt. Besitz; Café-Restaurant), mit Gemäldesammlung und schönem Park“ Erwähnung finden.

Die Schilderungen der Baedeker-Reihen, so ein kurzes Zwischenfazit, sehen Stuttgart in der 2. Hälfte des 19. Jhd. als eine ob Lage und Gestaltetheit herausragende (Groß-)Stadt, mit vielen Attraktionen versehen und allemal eines ausführlichen Besuchs wert. ‚Unsere‘ Villa nimmt darin, trotz lagebezogener ‚Randständigkeit‘, einen bedeutenden Rang ein, ist etwas durchaus Besonderes, auch in ihrer geschützten und gepflegten Privatheit. Mit dem 20 Jhd. aber treten andere ‚Attraktivitäten‘ mehr in den Vordergrund und wetteifern um die Gunst des Reisenden, des Gastes.

Die Öffnung von Park und Villa in den 10er-/20er-Jahren gibt dem Stadtbewohner ein vorher ex-klusives Terrain in die alltägliche Nutzung, dies gleicht einem Akt der ‚Säkularisierung‘.

Woerl – der auswärtige Stadtführer

„Die Woerlsche Reisebüchersammlung ist die größte aller zur Zeit bestehenden: sie umfasst über 600 Führer …“, so lässt sich dem Vorwort des Stuttgart-Führers von 1898 (bereits die 7. Auflage) entnehmen – einer „Sammlung kleiner billiger Städte-, Bäder- und Thalführer“ für das geschätzte Reisepublikum, und ‚billig‘ war nicht abschätzend gemeint sondern soll stehen für: jeder kann es sich leisten.

Wie schon textgleich in der 2. Auflage von 1886 wird eingangs Stuttgart in hohen Tönen ‚besungen‘: „Die anmutige Lage lässt uns einen Fluss, das eine Landschaft belebende Element, kaum vermissen. In Bezug auf seine reizende Umgebung übertrifft Stuttgart, selbst eine der schönsten Städte Deutschlands, jede andere deutsche Hauptstadt.“

Die Villa Berg wird – neben Schloss Rosenstein und Wilhelma – unter ‚Ausflüge in die nähere Umgebung‘ als Ziel empfohlen: „Die dritte k[önigliche] Villa Berg krönt einen Hügel, an dessen Fuss die Stuttgarter Vorstadt Berg liegt. (…) Sie präsentiert sich als ein schöner Bau aus grauem Sandstein. Das Innere ist mit herrlichen Marmorgruppen und auserlesenen Gemälden ausgestattet.“ Eine Darstellung der Villa aus nordwestlicher Gartensicht (der meist bevorzugten ‚Schokoladenseite‘) lädt zum Besuch ein.

Das neu getextete Vorwort der Ausgabe von 1904 nimmt die rasanten Veränderungen in der Stadt auf: „Stuttgart wird gern von Fremden besucht. (…) Stuttgarts Entwicklung und Ausdehnung ist in den letzten zehn Jahren ganz bedeutend gewesen. Der Talgrund hat sich mit Straßen und Häusern gefüllt, die sich in immer größerer Zahl auch auf die umgebenden Höhen hinanziehen.“ Und beschreibt im eigentlichen Text die Reize der Stadt ebenfalls mit anderen, durchaus schwärmerischen Worten: „Die reiche Gliederung des Tales mit seinen lieblichen Rebhügeln unter dem Waldessaum und den oft steil abfallenden Bergungen, sowie die am Gebirge immer mehr aufragenden vornehmen Stadtteile verleihen der Residenz einen eigentümlichen romantischen Reiz, der durch die zahlreichen stilvollen Landhäuser, Türme und Zinnen und die von den Höhen herabgrüßenden Aussichtstürme wesentlich erhöht wird.“

Die Villa selbst wird mit gleichem Text bedacht wie schon seit 1886 – ein ‚konstanter‘ Faktor –, der Ausflug dorthin wird immerhin für den 2. Vormittag eines zweitägigen Stuttgart-Aufenthalts empfohlen, „über den Kanonenweg [heute Haußmannstraße] nach der königl. Villa bei Berg.“ Dazu erhalten wir noch genauere, interessante Informationen:

12_Woerl 1904 Hinweis Eintritt

Auf die hierfür erforderliche akkurate Planung („8-9 Uhr“) waren wir ja schon durch den Baedeker verwiesen worden. Der Eintrittspreis für den Park und die Besichtigung der Villa ist mit 25 Pfennig sehr familienfreundlich ausgelegt, und gilt zu gleichen Konditionen auch für andere königliche Einrichtungen, so Schloss Rosenstein und Wilhelma sowie die Wildparks Solitude und Favorite. Das ausdrückliche Verbot von Trinkgeldern mochte dem sozialen Miteinander des fürstlichen Personals dienen und wechselseitige Übervorteilungen unterbinden helfen. 25 Pf. damals, das entspricht zu dieser Zeit (1906) übrigens kaufkraftbezogen einem Betrag von rund 1,40 Euro heute (2014), früher in den 1880er und -90er Jahren circa 2,60 Euro. Da war kein Profit gezogen, sondern den Besuchern eine Geste bezeugt.

Die Ausgabe von 1909 ist in den hier interessierenden Stellen nahezu textidentisch, die 12. Auflage von 1926 aber (und die in weiten Teilen textgleiche von 1929 sowie auch noch 1934) gibt in ihrem Vorwort Kunde von markanten Veränderungen in der Stadt: „Stuttgarts Entwicklung und Ausdehnung ist in den letzten Jahren in erstaunlichster Weise fortgeschritten, so daß sich die Stadt auch den Ruf einer der modernsten Großstädte erworben hat. So wird jeder Fremde, der Stuttgart auch nur kurze Zeit nicht mehr gesehen hat, erstaunt sein von der Fülle und Großzügigkeit der neuen Bauten, Einrichtungen und Verschönerungen; und wer gar vor Jahren noch vom alten Hauptbahnhof aus die Stadt betreten hat, wird diese mit ihrem einzigartigen neuen Hauptbahnhof, mit ihren Hoch- und Turmhäusern, mit ihren völlig neuen Straßen und Plätzen nicht wiedererkennen. (…) Wenige Städte haben eine solch herrliche Lage und Umgebung. (…) Wer einmal zur Zeit der Baumblüte oder des Nachts, wenn der ganze Talkessel von einem Lichtermeer erfüllt ist, hier [= den Aussichtspunkten] gestanden hat, wird diesen Blick nicht wieder vergessen.“

Welch Loblied eines offensichtlich gelungenen urbanen Wachstums: dem schönen Alten das faszinierende Neue beigefügt! Es ergänzt sich, es steigert sich zum städtebaulichen Kunstwerk. Das verändert den ‚touristischen‘ Blick auf die überkommenen Artefakte der Baukunst, die ja auch Ausdruck und Repräsentanz der jeweiligen politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse waren und sind, zuerst einmal nicht. Ein Reiseführer bleibt sich in seinen Wertungen und Empfehlungen über längere Zeit treu, es verschieben sich aber notwendig die Gewichte zwischen dem bereits Bestehenden und dem neu Hinzukommenden.

Im Falle der Villa Berg (und sicherlich auch in anderen, ähnlich gelagerten) bedeutet dies ab der Ausgabe 1926 die Hinzufügung eines Satzes: „1913 wurde die Villa mit dem angrenzenden Park von der Stadt angekauft.“ Aber dahinter verbirgt sich ein wohl grundlegender Wandel in der Wahrnehmung und Ingebrauchnahme des Areals. Bislang – in Zeiten der Monarchie – war auch der Stuttgarter Besucher gleichsam ein ‚Tourist‘, wenngleich in nahegelegenen Gefilden; nunmehr überlässt er diese Rolle allein dem fremden, dem auswärtigen Gast. Er selbst ’nutzt‘ jetzt diesen ehedem fürstlichen Garten als öffentlichen (Volks-)Park, dessen ‚Ausstattung‘ wird entsprechend angepasst, der Aufwand in ein ‚tragbares‘ Maß (nämlich das steuerbasierte öffentliche) gewandelt. Nix mehr mit Kamelien (und Orangerie-Gebäuden), Tulpenbeete sind die neue Wahl (kauf-vertragliche Zusagen den Veräußernden gegenüber hin oder her).

Von daher erscheint (ohne darüber weiters Kenntnis zu haben) die Entscheidung zum Verkauf an die Stadt (die ‚öffentliche Hand‘) durch die beiden aus Stuttgart längst verzogenen Erbinnen nachvollziehbar: die Unterhalts- und Pflegekosten insbesondere der Gartenanlagen sind sicherlich immens, die Villa selbst in die ausstattungstechnischen Jahre gekommen, für dauerhafte Wohnzwecke sowieso nicht nutzbar – woher nehmen in ungewisser werdenden Zeiten (1913) und ohne faktische, persönliche Nutzungsmöglichkeit? Die großzügige fürstliche Geste, über Jahrzehnte schon, den Bürgern einen Besuch des schönen Ensembles zu ermöglichen – welche Verpflichtung bestand hierzu? keine –, sie hatte sich historisch aufgebraucht, war zum Kostenfaktor geworden.

Die Reihe der Woerlschen Reisehandbücher (Illustrierter) Führer durch Stuttgart sind, was die Beschreibung der Stadt und deren Sehenswürdigkeiten anbetrifft, regelhaft ausführlicher als diejenigen eines Baedekers, aber sie beschränken sich ja auch auf 1 touristisches Städteziel; und sie sind ‚illustriert‘, mit Stichen, Lithografien und zunehmend, in den späteren Ausgaben, auch mit seitengroßen Fotografien. An der Auflagenzahl lässt sich sicherlich auch ihr Erfolg bei der Kundschaft ablesen – und umgekehrt die Attraktivität des städtischen Reiseziels. Die herzogliche Villa hatte dabei in der Beschreibung einen dem Rosenstein und der Wilhelma gleichgestellten Rang inne, war aber dennoch in den Ausgaben vor der Weimarer Republik hervorgehoben durch ihr gedrucktes Abbild, das dies Ausgaben begleitet und illustriert.

Fremdenverkehrsverein Stuttgart – das Eigengewächs

1885 gründet sich in Stuttgart der Verein zur Hebung des Fremdenverkehrs, eine Initiative hiesiger Honoratioren und Geschäftsleute, die der Entwicklung und Veränderung der Stadt Genüge tun und ihr ‚verstaubtes‘ Bild erneuern wollten, zugunsten eben des erklärten Vereinsziels. Das Bevölkerungswachstum hatte damals bereits deutliche Zeichen hinterlassen – 1846: rund 50 000 Einwohner (: Baubeginn der Villa bei Berg); 1884: bereits 126 000 EW; und 1905 dann 250 000 EW – Verdopplungen jeweils in 20 bzw. 30 Jahren, mit nur wenigen Eingemeindungen. Seit 1875 durfte sich Stuttgart Großstadt nennen, die Schwelle von 100 000 Einwohnern war überschritten.

Schon im ersten Jahr des Bestehens erscheint ein mit rund 50 Seiten eher dünnes – aber eben zeitaktuelles – Büchlein mit dem Titel Führer durch die Königliche Haupt- und Residenz-Stadt Stuttgart und deren Umgebungen, das dem fremden Gast Orientierung und Ratschlag bieten soll. Dieser Stadtführer wird sich in den Folgejahren und -jahrzehnten mächtig mausern, wird an Umfang und Detailliertheit der Beschreibungen enorm zunehmen – zur 12. Auflage werden es gar rund 300 Seiten sein, 28 Seiten Werbeanhang inbegriffen. In den 20er und 30er Jahren avanciert er in verändertem Format und inhaltlicher Ausrichtung zum Offiziellen Führer durch Stuttgart, der Herausgeber heißt dann schon länger Verein für Fremdenverkehr e.V.

Schauen wir nochmals auf einen Stadtplan, wie er dieser 1. Auflage des Stadtführers von 1885 beigeheftet ist: die ersten Baublöcke entstehen parallel zu den (heute mittleren und unteren) königlichen Anlagen, die ihre ‚Zunge‘ zum Neckar hin ausstrecken und mit Rosenstein, Wilhelma einerseits, der Villa Berg andererseits markante ‚Anker’punkte darstellen.

16_Verein Stadtplan 1885

Stadtplan (Ausschnitt), 1885, Fremdenführer durch Stuttgart

Im der 1. Auflage des Führers 1885 ist es „die reizende Königliche Villa, die (…) durch ihre edlen Formen und die glückliche Lage eine der schönsten Zierden der Landschaft bildet.“ Und in der Ausgabe von 1890 lesen wir: „Dem Rosenstein gegenüber (…) liegt die Perle der Schlösser in Stuttgarts Umgebung, die Königliche Villa Berg.“

Aber mit der ‚Umgebung‘, der Zentrumsferne, wird es sich bald haben, die massive Expansion der Stadt, noch ohne wesentliche Eingemeindungen im Umland, sie füllt mit ihren Wohn-, Geschäfts- und Infrastrukturbauten den einst weiten Talkessel weitgehend aus und erobert zunehmend die Hügel- und Hanglagen, auf dem obigen Plan sehen wir bereits die Anfänge dieser Urbanisierung. Die ursprünglich ‚freie‘ Lage der Villa mit ihrem großen Park wird zunehmend ‚umzingelt‘ von neuen Wohnbauten im Süden und Westen, von Industrie im Norden (Berg) und zum Neckar hin (Gaswerk), die Obstwiesen und Weinberge schwinden, die weiten Blicke werden verkürzt oder gehen verloren – übrigens auch durch den Baumbewuchs auf dem Parkgelände selbst, der, folgt man zeitgenössischen Bildern (Postkarten, Zeichnungen) nach vierzig, fünfzig Jahren auch ausladend und dicht ist. In gewisser Weise findet dadurch auch eine Abkapselung gegenüber dieser (Nah-)Umgebung statt.

1895 können nun Fremde „zu jeder Tagesstunde“ Eintrittskarten für Park und Villa bei der Auskunftsstelle des Vereins für Fremdenverkehr in der Königstrasse erhalten, weiterhin beträgt der Preis für bis zu 6 Personen 25 Pfennig. Daran ändert sich auch die folgenden gut 15 Jahre nichts, von Mitte April bis Mitte Oktober ist ein Besuch möglich. 1910 erscheint wie erwähnt in 12. Auflage der bislang umfangreichste Führer, in dem „Stuttgart unter den Städteperlen Deutschlands zu den edelsten“ gezählt wird – der Villa in Berg kommt dabei weiterhin der Rang als „eine[r] Perle unter den Schlössern in Stuttgarts Umgebung“ zu, die umfänglichere Beschreibung gilt da allerdings dem Kgl. Landhaus Rosenstein mit seinem ausgedehnten Areal im englischen Stil, erbaut durch Salucci um 1825 unter Wilhelm I.

Im (Städte-)Tourismus nach 1900 hat Stuttgart eine im großstädtischen Vergleich sehr gute Position inne, die Gäste- und Übernachtungszahlen steigen kontinuierlich an, unterstützt nicht zuletzt durch reichsweite Anzeigen und Werbemaßnahmen des Vereins. Doch der erste Weltkrieg bedeutet auch für den Verein eine Zäsur, damit erlöschen dessen vielfältige Tätigkeiten und Aufgaben; es gibt keinen touristischen Fremdenverkehr mehr, es braucht auch keinen Stadtführer mehr.

Das ändert sich dann wieder in den zwanziger Jahren. 1922 erscheint erstmals ein neuer Stadtführer des ‚wiederbelebten‘ Vereins, und spätestens ab 1928 – frühere Daten liegen nicht vor – gibt es eine ‚Staccato‘-Folge von anfangs jährlich neu herausgegebenen Stadtführern, in geändertem (Längs-)Format und jeweils unterschiedlichen Layouts, im Umfang mit 60-100 Seiten (1928 / 1929 / 1930 / 1932 / 1933 / 1935 / 1938). Erstaunlich ist, dass jeweils neue und deutlich veränderte Texte in die Stadt ‚einführen‘, wobei der Machtwechsel 1933 durchaus auch sprachlich und inhaltlich seinen Niederschlag findet.

Stuttgart ist „Deutschlands schönstgelegene Großstadt (…), Stadt der Mineralbäder, eine Kunst- und Gartenstadt mit zahlreichen prächtigen Parkanlagen. (…) Wie staunt der Fremde ob der Fülle und Abwechslung an Kunst- und Landschaftsgärtnerei. (…) Bewundernd genießt er (…) den großen Stadtpark, in dem die der Stadt gehörige Villa Berg liegt.“ (: 1928). Das große Loblied auf die Stadt wird von (Neu-)Auflage zu (Neu-)Auflage gepflegt und in Textvarianten durchdekliniert: „Wer kann den Stuttgarter Frühling vergessen! Selbst der italienische erreicht nicht die Blütenfülle Stuttgarts und seiner Umgebung.“ (: 1929). „Die Lage der Stadt ist unvergleichlich schön.“ (: 1933). „Seine Häuser und Straßen sind hineingebettet in ein idyllisches Tal wie in einen Garten; Hänge mit Obsthalden und Weinbergen lagern sich wie ein taufrischer Kranz um die Stadt herum.“(: 1935/38).

Als hätten nicht die Jahrzehnte intensivster Bautätigkeit gerade diese Qualitäten eher zum Verschwinden gebracht, es ist, als habe sich zumindest der Kern der positiven Bewertung und Betrachtung nicht geändert (: die Lage, die Lage, die Lage …). Und Stuttgart gibt sich im eigenen Spiegelbild wie auf nationaler Ebene als schön(st)er Schwan, weiß sich gleichzeitig mit den großen Städten Europas verkehrlich bestens vernetzt, dortselbst zentral gelegen, mit inzwischen weitbekannten Beispielen fortschrittlicher Architektur ausgezeichnet, kulturell up-to-date (dabei noch von monarchischer Großzügigkeit zehrend) und überhaupt nunmehr eine Stadt, die von sich reden machen möchte – und dies auch tut. Hier lebt es sich gut, ist die Botschaft, und sie richtet sich an den fremden Gast wie an die eigene Stadtbevölkerung, die ihre liberal geprägte Haltung auch in den dreißiger Jahren zu halten sucht (oder aber dunkle Wolken nicht sehen will).

Die Villa Berg taucht als fotografisches Abbild an durchaus prominenter Stelle in einigen Ausgaben auf, so als farbiges Ausklappbild bereits in der Ausgabe von 1928, als in den Text eingebettetes Foto 1933 und 1935 (alles Westansichten aus dem Rosenparterre), und schließlich 1935 und 1938 mit einem schönen (und ungewöhnlichen) Foto mit ‚Retroverso‘-Blick auf das Belvedere, im Vordergrund der überaus reizvolle Nymphenbrunnen.

Andererseits erfährt sie in den Textbeschreibung dieser Stadtführer eine sozusagen ‚gediegene‘ Rolle – zwar als (inzwischen) ‚Stadt’park beschrieben mit Verweis auf die öffentliche Gastronomie, aber bezüglich ihrer baulichen Qualitäten nicht mehr besonders hervorgehoben. Überhaupt werden Park und Gebäude getrennt beschrieben – hier die Gartenanlage und das Restaurant-Café, dort die Villa mit den Repräsentationsräumen der Stadt im Erdgeschoss und der städtischen Gemäldesammlung im Obergeschoss.

Vielleicht verständlich, dieser ‚Rollenwechsel‘ in der öffentlichen Ikonografie des Ortes, waren diese Zeiten doch zuerst (die 20er) eher auf ‚urbane Modernität‘ (und pulsierende Lebenslust), später dann (die 30er) auf ‚rückgewandte Volkstümelei‘ (und betonten Nationalismus) hin ausgerichtet – bei aller sozialen Widersprüchlichkeiten und politischen Verwerfungen –, für aristokratische Relikte war da nicht mehr der Raum. Aber genießen konnte man es noch, als Zuhörer(in) der beliebten nachmittäglichen oder abendlichen Konzerte auf der Café-Terrasse oder als eingeladener Gast bei Feierlichkeiten und Empfängen in den repräsentativen Räumen der Villa. Es hat den Anschein, als wäre vor allem der Park seit seiner Umwidmung in einen Volks- oder Stadtpark 1925 ein eher auf die heimische Bevölkerung denn den fremden Besucher ausgerichtetes ‚Angebot‘ gewesen, gleichsam in seiner Nutzung wie Wahrnehmung profanisiert, aber dadurch auch selbstverständlich nutzbar, ‚unseres‘ nun, nicht mehr fremdes, herrschaftliches Eigentum. Das äußert sich auch in der Bewerbung der 1925 eingerichteten Restauration, die auch in den Stadt- und Villen-/Parkführern erfolgt (und sicherlich auch in der Tagespresse).

Wie zu lesen ist, waren Café und Restaurant nur im Sommerhalbjahr geöffnet, ab 1930 mit einer verlängerten Öffnungszeit bis halb zwölf in der Nacht. Der Park war zwar weiterhin umzäunt, die Zugänge wurden aber – bis auf die zwei Hauptzugänge von Berg und von der Sickstraße – bei Einbruch der Dunkelheit geschlossen. Wie ein Konvolut mit Schriftstücken im Stadtarchiv belegt, sah sich allerdings das Jugendamt der Stadt 1930/31 genötigt sich mit Vorgängen zu befassen, die ein wie immer geartetes Einschreiten erforderlich zu machen schien: es waren mehrfach Anzeigen eingegangen, die auf den Missbrauch der Örtlichkeit zu „Unzuchtszwecken“ hinwiesen und deren Unterbindung forderten. Allein, der Verstecke waren im Schutze der Dunkelheit und Gesträucher viele, die Erwägungen vermehrter Kontrolle durch „weibliche Polizei“ oder durch massiven Ausbau der Wegebeleuchtung erfuhren durch das Polizeipräsidium (: bringt nichts) und Stadtkämmerei (: zu teuer) Absagen. So scheint die Sache nach Aktenlage ‚im Sande‘ verlaufen zu sein … – vielleicht aber hat sich die ‚Unzucht‘ in den Folgejahren durch die propagierte ‚Züchtigkeit‘ der neuen Ideologie und ihrer strammen Kontrolle und Organisation von selbst erledigt. Und nachdem die sogenannte Kleine Villa, nach ihrer Nutzung als Säuglings- und Kleinkinder(heil)stätte, 1936 – zeitgleich mit der Pflichtmitgliedschaft aller Jugendlichen in den entsprechenden NS-Organisationen – zur Führerinnenschule des BDM (Bund Deutscher Mädel) umgewidmet wurde, war ja auch diese Ecke des Parks sicherlich mit anderem Leben erfüllt und gegen solcherlei Umtriebe gefeit.

Dichtung und Wahrheit

Als ‚grüne Oase‘ war das öffentliche Parkareal sicherlich für die Bewohner des Stuttgarter Ostens ein vielbesuchter Ort, vor allem an den Wochenenden – auch ohne Café- und Restaurantbesuch, den sich wohl nicht jeder leisten konnte oder auch mochte im eher traditionellen Arbeitermilieu dieses Stadtteils. Wobei, Kaffee und Kuchen, das war wohl ‚drin‘. Dagegen wird ein abendlicher Genuss der „vorzüglichen Küche“ eher das bürgerliche Publikum angesprochen haben, dessen Budget das zweifelsohne gehobene kulinarische Angebot wahrnehmen und damit der eigenen Geltung dienlich sein konnte. Der erhabene Rahmen jedenfalls war wie sonst kaum in Stuttgart gegeben, ein Genius Loci der besonderen Art, dem sich wohl keiner entziehen konnte, sondern ihn ob seiner Qualitäten geradezu angezogen hat.

Ein vergleichsweise bekanntes Foto Ende der 20er-Jahre mag nochmals die freundlich-erhabene Stimmung dieses weitläufigen Ensembles belegen – eine Flugaufnahme aus südwestlicher Sicht mit Blick auf die Terrassen an der Villen-Westseite, rund beschirmt auf dem Vorbau vor dem ehemaligen Festsaal und mit Markisen vor dem neuen Restaurations-Bereich bei den ehemaligen Remisen- und Stallungsbauten.

26_Villa_Berg,_Ansicht_von_Westen,_1920er_Jahre

Blick auf Villa und Westgarten aus südwestlicher Sicht, Ende 20er-Jahre

Der bereits dichte Baumbewuchs hatte die ursprünglichen Sichtachsen zum Rosenstein und zur Grabkapelle auf dem Wirtemberg hin schon lange zumindest begrenzt oder gar verhindert. Von den ursprünglich ‚M‘-förmigen Pergolen im Westgarten war nur der Halbkreisbogen zum Halbmondsee verblieben, was aber dem Blick von den Terrassen, aus heutiger Sicht, mit einer größeren Weite des Parterres entgegenkam.

Eine Situation, die ihren reichen, aristokratischen Ursprung weiterhin vor Augen führte und genießen ließ und so, neben dem ‚geschützten‘ Insel-, oder besser Oasen-Charakter des Parks im Stadtgefüge insgesamt, eine kleine Teilhabe am Abglanz dieser versunkenen Welt möglich machte. Man durfte sich in einer etwas anderen Welt fühlen, ‚dem Alltag entrückt‘ wie man so sagt, für ein paar Stunden jedenfalls.

Eine weitere Aufnahme mag hierzu abschließend noch einen letzten Eindruck auf das ‚Treiben‘ bei der Villa gewähren – mit dem Vorbehalt der nicht eindeutigen Datierbarkeit dieser Fotografie. Ludwig Windstoßer (1921 München – 1983 Stuttgart) – wir müssen kurz ausholen – war ein, nach Fotografenlehre bei Adolf Lazi 1946-47 ab 1948 in Stuttgart freiberuflich tätiger Fotograf, früh experimentell und avantgardistisch tätig und engagiert, später vor allen durch seine Industriefotografie bekannt und geschätzt. Die biografischen Daten würden es nahelegen, die nachfolgende Aufnahme in die Nachkriegszeit zu verlegen (Militärdienst 1942-45, zuvor Mechanikerlehre). All dies würde also für ein Foto nach der Kriegszeit sprechen – wären da auf dem Bild selbst nicht andere Indizien, die es wohl doch zu einer frühen ‚Arbeit‘ vor seiner Einberufung datieren, also eher 1941/42: die komplett intakte Struktur der West-Terrasse mit milchgläserner Balustraden-Beleuchtung, keinerlei Kriegszerstörungen ersichtlich, die ‚Gelöstheit‘ der Situation … Auch der Kleidungsstil wie auch die Frisuren der Frauen geben kaum Auskunft darüber, sie waren in den Jahren vor/nach kaum zu unterscheiden.– Andrerseits sind keinerlei Uniformen oder Parteiabzeichen zu sehen.

27_Foto Windstoßer 1941

Publikum auf Villa-Terrasse, Foto Ludwig Windstoßer, ca. 1941/42 (?)

Wie immer, die Datierung dieser Fotografie bleibt ungewiss, mit einer Option für die Anfang-40er-Jahre – vielleicht gibt es noch Zeitzeug(inn)en, die Genaueres berichten können.

War es eine Gruppe Ausflügler, die sich hier versammeln? War es ’nur‘ der Schnappschuss einer sonntäglichen Anhäufung Stuttgarter Bürger? Gab es einen besonderen Anlass für den Aufenthalt, für die Blickrichtung der meisten Personen hinunter aufs Gartenparterre? Ist es eine repräsentative Aufnahme für die Aneignung des Geländes durch die Menschen, eine gängige, häufig anzufindende Situation also? Es lässt sich nicht eindeutig bestimmen, es ist dies alles denkbar.

Doch die entspannte Situation, wie sie sich auf dem Bild zeigt, mag zwar nicht auf eine Aufnahme unter der Woche, werktags, hindeuten – aber gegen eine Situation an einem Wochenende spricht eigentlich nichts, wodurch die ‚Normalität‘ dieser Szene eigentlich gesichert scheint. Im Hintergrund sind weitere Spaziergänger auf den Wegen um und in der verbliebenen Pergola unterwegs, eine geruhsame Stimmung vermittelt sich insgesamt. Und es ist ja ein ‚ordentlicher‘ Publikumsverkehr, der da auf der Terrasse stattfindet und die Balustrade besäumt. Immerhin, die Position des Fotografen ist bemerkenswert: fast nur denkbar aus der Perspektive des südwestlichen Eckzimmers im ‚zweiten Stockwerk‘, genauer dem schmalen Balkon davor. Und dessen Zugänglichkeit wiederum lässt darauf schließen, dass sich dort – noch – die städtische Gemäldegalerie befindet. Dazu lesen wir in dem Führer von H. Schoeck Schloß ‚Villa Berg‘ Stuttgart aus dem Jahr 1930: „Die Fenster der 12 Säle und Zimmer und insbesondere die vorgesetzten Balkone und Terrassen gewähren äußerst freundliche Ausblicke auf die schön gelegene Stadt und auf den Park (…), der stets sorglich und mit vornehmsten Geschmack gepflegt wird.“

Das war einmal.

Wird es je wieder ein Ort werden, wie er in seiner Gartenästhetik, seiner baulichen Repräsentanz und seiner genussreichen Nutzung im Verlauf der ersten hundert Jahren ein glanzvolles Zeugnis abgab? – Die unbedingte Aufforderung, ja Pflicht dazu ergibt sich aus der Geschichte dieses besonderen Genius Loci, der für die ursprünglichen aristokratischen Eigner wie die städtischen Bevölkerung und den Gästen der Stadt zeit seines Bestehens ein hochgeschätztes Juwel war. Verwaltung und Politik der Stadt, sie werden sich daran messen lassen müssen, ob es ihnen in dieser Stadt überhaupt noch um städtebauliche Qualität geht, im Detail und im Ganzen. Der zukünftige Umgang mit Park und Villa Berg wird dafür ein wesentliches Zeichen setzen. Dem Schreiber dieser Worte, selbst ein Kind dieser geplagten Stadt, verbleibt als leidgeprüftem Skeptiker nur die Hoffnung, denn diese stirbt bekanntlich zuletzt …

Thomas Schloz, gebürtig in Stuttgart, studierte Architektur und Städtebau an der Universität Stuttgart, anschließend Empirische Kulturwissenschaft an der Universität Tübingen zur Thematik Alltagskultur und dingliche Lebenswelt. Bis vor kurzem Mitarbeiter in einem Stuttgarter Planungsbüro, befasst mit Bedarfs- und Nutzungsplanung, wissenschaftlichen Studien, Beratung, Projektsteuerung. Parallele Tätigkeiten in Design und Herstellung von Wohnraumleuchten. Promotion zum Thema Sammeln aus anthropologischer und etymografischer Sicht: Die Geste des Sammelns – Eine Fundamentalspekulation, Stuttgart 2000.

Recherche und Quellen

Die Recherchen zum Artikel erfolgten im Archiv der Stadt Stuttgart, der Württembergischen Landesbibliothek, der Stadtbücherei Stuttgart sowie im web (Wikipedia, Occupy-Villa-Berg-Website, Stadt Stuttgart).

Film:

  • Walter Ruttmann, Film Stuttgart, die Großstadt zwischen Wald und Reben, Stadt des Auslandsdeutschtum, 1935, Haus des Dokumentarfilms Stuttgart / Friedrich Wilhelm Murnau Stiftung, Wiesbaden

Reise- und Stadtführer:

  • Baedeker, Handbuch für Reisende, Ausgaben: Southern Germany and Austria … (1873 / 1891), Süddeutschland (1903 / 1906 / 1909 / 1926 / 1929), Deutschland in einem Bande (1906 / 1913), Deutsches Reich (1936), Württemberg und Hohenzollern (1925), Stuttgart und Umgebung (1949)
  • Woerl’s Reisehandbücher, Ausgaben: Führer durch die Haupt und Residenzstadt Stuttgart und Umgebung (1886 / 1898), Illustrierter Führer durch … Stuttgart und Umgebung (1904 / 1909 / 1926 / 1929 / 1934)
  • Verein für Fremdenverkehr Stuttgart e.V., Ausgaben: Führer durch die Königl. Haupt- und Residenz-Stadt Stuttgart … (1885 / 1890), Führer durch Stuttgart und Umgebung (1895 / 1900 / 1910), Stuttgart (1928), Stuttgart – Der Fremdenführer (1929), Stuttgart – Offizieller Führer durch Stuttgart (1930 / 1932), Stuttgart – Die schönstgelegene deutsche Großstadt – Offizieller Führer … (1933 / 1935), Stuttgart – Die Stadt der Auslandsdeutschen – Führer durch die Stadt (1938), Stuttgart für Fremde und Schwaben, Stadt- und Verkehrsplan-Verlags (1929)

Nachschlagewerke und Literatur:

  • Chronik der Stadt Stuttgart, 1918 – 1933, Stuttgart 1964
  • Chronik der Stadt Stuttgart, 1933 – 1945, Stuttgart 1982
  • Konvolut Bildpostkarten, Villa Berg mit Park, Archiv der Stadt Stuttgart
  • Konvolut Überwachung Villa Berg, 1930/31, Archiv der Stadt Stuttgart
  • Ulrich Gohl, Die Villa Berg und ihr Park, Geschichte und Bilder, Stuttgart 2014
  • Timo John, Die königlichen Gärten des 19. Jahrhunderts in Stuttgart, Worms 2000
  • Villa Berg, Stadtpark und Städtische Gemälde-Sammlung, Stuttgart 1925
  • Hermann Schoeck, Schloß ‚Villa Berg‘ Stuttgart, Stadtverwaltung Stuttgart 1930
  • 1885 – 2010 – Seit 1885 zum Wohle der Stadt. 125 Jahre ProStuttgart Verkehrsverein e.V., 2010
  • Wikipedia, Artikel ‚Goldmark‘ (u.a. Umrechnungskurse)
  • Wikipedia, Artikel ‚Villa Berg‘

Sonstiges:

  • Ansichtspostkarte Villa Berg, koloriert, um 1910, Wikipedia
  • Foto Flugzeug-Sicht auf sommerlichen Park und bewirtschaftete Villa, Occupy-Villa-Berg-website, Fotograf unbekannt
  • Foto Publikum auf Villa-Terrasse, Fotograf: Ludwig Windstoßer, Archiv der Stadt Stuttgart, mutmaßlich 1941/42 (nicht gesichert)