
Video- und Modellpräsentation zur Villa Berg am 14.07.15 im Projektraum Lotte (Foto: Projektraum Lotte)
Zum Abschluss von Occupy Villa Berg interviewen wir engagierte Bürgerinnen und Bürger, die mit ihren Initiativen die Villa Berg und den Park bereichert und belebt haben. So haben wir auch Prof. Horst Sondermann, Dekan der Architektur-Fakultät an der Hochschule für Technik und Koordinator eines Forschungsprojekts zu Villa Berg und Park, ein paar Fragen gestellt.
Herr Sondermann, Sie sind Dekan der Fakultät Architektur an der Hochschule für Technik Stuttgart. Ihre Hochschule engagiert sich für die Villa Berg? Wie kam es dazu?
Ich bin seit September 2013 Dekan der Fakultät Architektur und Gestaltung an der HfT Stuttgart. Die Fakultät umfasst sieben Studiengänge der Architektur, Innenarchitektur (jeweils Bachelor und Master) sowie für Stadtplanung (Master), Internationales Projektmanagement (Master) und ClimaEngineering (Bachelor). Die Zusammenarbeit zwischen den Studiengängen ist aufgrund unserer überschaubaren Größe eng und konstruktiv. Die Villa Berg haben in der Vergangenheit schon einige Kollegen aus unterschiedlichen Studiengängen in Seminaren behandelt (z.B. Prof. Peter Schneider in der Bauaufnahme).
Mit meinem Amtsantritt habe ich mir vorgenommen, dass Lehre, Projektarbeit und Forschungstätigkeit an unserer Architekturfakultät einen neuen Schwerpunkt erhalten: Architektur in Stuttgart – Aktuelle Herausforderungen im Kontext seiner Bau-, Stadtbau- und Planungsgeschichte. Mir ist wichtig, dass wir als Architekturfakultät substantielle Beiträge zur Stadtbaudiskussion in Stuttgart liefern und damit auch sichtbar werden. Park und Gebäudebestand der Villa Berg verlangen danach, dass für eine sinnvolle Debatte um ihre Zukunft Grundlagen ermittelt und bereitgestellt werden, aus denen sich die Geschichte des Baus und seines Verfalls besser erklärt. Frei von politischen und kommerziellen Interessen kann unsere Architekturfakultät dies in vielfältiger Weise tun.
Das Engagement der Hochschule für die Villa ist groß. Warum halten Sie diese Arbeit für wichtig? Spielt die Villa Ihrer Meinung nach eine wichtige Rolle für Stuttgart? Wenn ja, warum?
Kultur wird selektiv rezipiert, Stadt kollektiv – in der Gesamtheit ihrer Quartiere, Bauten, Bahnhöfe, Straßen, Plätze, Parks ist sie ein Kulturprojekt für alle. Stadt konfrontiert uns mit gemeinsamer Geschichte und hat damit zentrale Bedeutung für unsere Selbstvergewisserung als politische Gemeinschaft. Ihre tieferen Texturschichten erlauben Erinnerungen und Einsichten in eine Welt jenseits eigenen Erlebens und familiärer Erzählung. Die Bilderwelt der Stadt ist aus- und abgelagertes kollektives Bewusstsein – schwinden die Bilder, verblassen die Erinnerungen. Geschichtslos und politisch dement, droht uns die Reduktion auf das Management des Augenblicks: Das Ende einer erfolgreichen Gesellschaft. Wir brauchen Denkmäler zum Überleben.
Die Villa Berg erinnert an das Haus Württemberg und die einst enge Verbindung zu Russland, an eine produktive königliche Stifterin diverser karitativer Einrichtungen, an das Erwachen bürgerlichen-emanzipativen Bewusstseins, ist wichtiger Beitrag der Villenbaugeschichte im 19. Jahrhundert, erzählt von der Schöpfungsgeschichte der modernen Architektur, mit ihrem Park illustriert sie einen Teil Stadtgeschichte.
Die Arbeit der Hochschule gliedert sich in zwei Teile: den Pavillon am Belvedere und die Villa. Das Belvedere wird auf Anstoß und mit Unterstützung Ihrer Hochschule saniert. Welchen Bezug haben Sie als Hochschule zu dem Gebäude? Welche Arbeit leistet die Hochschule im Bereich des Belvedere und welche Kollegen und Partner sind eingebunden?
Wir haben als Gegenstand unseres Engagements den Park der Villa Berg als städtisches Areal identifiziert. Damit ist erstmal alles eingeschlossen, was innerhalb liegt, also das Belvedere mit seiner Pergolenkaskade, der Villentorso nebst Sendesaal, die SWR-Bauten, Tiefgarage, die Parkanlage selbst. Architekt des Belvedere war Joseph von Egle, der langjähriger Rektor unserer Hochschule war. Der Pavillon war Gegenstand umfassender bautechnischer Untersuchungen unter der Leitung der Kollegin Dr. Gabriele Grassegger, unterstützt von Bauaufnahme und Dokumentation unter der Leitung des Kollegen Dr. Peter Schneider, finanziell unterstützt von der Knödler-Decker-Stiftung i.P. Ulrich Scholtz. Die Sanierung erfolgt jetzt durch die Firma Kärcher ihm Rahmen ihres Kultursponsoring unter der Leitung der Architekten Till Läpple und Manuel Sauter.
Welche Arbeiten sind für die Villa selbst abgeschlossen, in Arbeit oder für die Zukunft geplant und welche Fachbereiche und Kollegen sind hier involviert?
Abgeschlossen ist der Bau eines großen städtebaulichen Modells, das im Maßstab 1:1.000 einen Ausschnitt Stuttgarts mit dem Park der Villa Berg zeigt. In Arbeit ist eine umfassende Sammlung von Archivalien: Pläne, Darstellungen, Quellentexte. Parallel werden diese ausgewertet und an einer aktualisierten baugeschichtlichen Darstellung und Bewertung der ehemaligen Villa gearbeitet. Jetzt beginnen wir mit der digitalen Rekonstruktion der Villa, sowohl in historischer wie aktueller Fassung. Diverse Seminararbeiten Studierender sind abgeschlossen bzw. in Arbeit. Geplant ist eine von uns kuratierte Ausstellung zur Villa Berg im April 2016, in der wir unsere Archivalien, Modelle, Zusammenfassungen unserer Recherchen und Studienarbeiten präsentieren. Involviert sind an erster Stelle Kollegen unserer Architekturfakultät, die Studienarbeiten betreut haben oder dies noch tun: Dr. Peter Schneider (i.R.), Jo Frowein, Dr. Christina Simon-Philipp, Dr. Detlef Kurth, Roland Dieterle, Rebecca Chestnutt, Tobias Wulf, Harald Roser, Peter Krebs. Von der Fakultät B (Bauingenieurwesen, Bauphysik und Wirtschaft) hat sich Dr. Gabriele Grassegger mit bautechnischen Untersuchungen des Belvedere befasst. Für die Gesamtkoordination des Villa Berg-Engagements unserer Architekturfakultät bin ich zuständig. Rektor Rainer Franke und Ulrich Scholtz von der Knödler-Decker-Stiftung unterstützen das Projekt mit Nachdruck und Geld.
Welche Rolle spielt der Park bei Ihrer Arbeit?
Unser Engagement umfasst das Areal des Parks und damit auch die Parkgestaltung selbst. Überdies wäre die Recherche zu einer Villa ohne Untersuchung des Grünraums, der sie umgibt, bautypologisch unvollständig bzw. sinnlos. Insgesamt bietet der Park natürlich das größte Potential für neue Konzepte bürgerschaftlicher Teilhabe. Auch hier ist aber zwingend, dass das historische Parklayout zuerst recherchiert und verstanden ist, bevor seine Neuformatierung debattiert wird. Beispiel: Historisch bestand eine prägnante Teilung des Parks in Ost und West mit der Villenanlage als trennende Baufigur in der Mitte. Eine Rekonstruktion derselben würde die Wiederherstellung der Platanenallee auf der Ostseite nahelegen. Villa und Park waren ein Gesamtkunstwerk und haben verdient, wieder eines zu werden – in zeitgemäßem, zu diskutierenden Format.
Wie ist der Forschungsstand? Haben Sie überraschende, besonders spannende oder ungeahnte Entdeckungen gemacht?
Bei gründlicher Lektüre historischer Skizzen, Pläne, Darstellungen und Texte offenbaren sich tiefere Einsichten in die architektonische Motivation des Villenarchitekten Leins. Die bislang vorgenommene Stilzuweisung greift für das Verständnis des Projekts Villa Berg viel zu kurz – wie beim bekannteren Schinkel liegen wesentliche Entwurfsideen und Innovationen verborgen hinter dem Vorhang historistischer Fassaden. Der Bau der Villa Berg korreliert mit Emanzipation und Ermächtigung des Bürgertums als Motor der industriellen Revolution und illustriert dies auch in Form bemerkenswerter bautypologischer Neuinterpretationen, die Leins gegenüber dem klassischen Kanon vornimmt. Hier sind insbesondere der Kontrast zwischen traditioneller Portalsymbolik und pragmatischer Hauserschließung, zwischen humanistischem Grundrissideal und zweckmäßiger Wohnkonzeption zu nennen. Der 31-jährige Leins ist mit seinem Villenentwurf von 1845 ein bislang unbekannter Wegbereiter der modernen Architektur.
Werden die Ergebnisse öffentlich zugänglich gemacht?
Öffentlich präsentieren werden wir unsere Ergebnisse in der genannten Ausstellung. Darüber hinaus empfehlen wir uns von der Architekturfakultät der HFT Stuttgart für die Vorbereitung, Ausschreibung und Betreuung eines städtebaulichen Ideenwettbewerbs zum Park und Gebäudebestand der Villa Berg – Teilnehmer sollten Architekten, Stadtplaner und Landschaftsarchitekten sein. Ein konstruktiver, kulturell nachhaltiger Bürgerdialog über die Zukunft der Villa Berg und ihres Parks kann nur auf der Basis gesicherten Wissens und fachlich fundierter Ideen gelingen.
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