Eine Frage an Christiane Mayer: Olga, Wera, … – Gibt es eine Verbindung zwischen dem sozialen Engagement „von Villa und Park damals“ und heute?

Die Verbindung zwischen Olga und Wera

Die Ehe zwischen König Karl I und Königin Olga von Württemberg blieb kinderlos. Olga litt sehr unter dieser Kinderlosigkeit. Im Jahr 1862 nahm das Paar die 9-jährige Wera Konstantinowa bei sich auf.[1] Wera war die Nichte Olgas und galt als schwieriges Kind. Dennoch nahm sich Olga ihrer vorbehaltlos an und zog sie wie eine eigene Tochter groß. Die Zuwendung Königin Olgas wirkte sich positiv auf die Entwicklung von Wera aus, die beiden Frauen hatten zeitlebens eine enge Verbindung zueinander. 1871 wurde Wera von Olga und Karl adoptiert und war damit Königstochter.[2]

Im Jahr 1864 überschrieb König Karl I von Württemberg anlässlich seiner Krönung die Villa Berg an seine Ehefrau Olga. Nach ihrem Tod im Jahr 1892 ging die Villa in den Besitz ihre Adoptivtochter Herzogin Wera von Württemberg über.[3] Die beiden Besitzerinnen „von Villa und Park damals“ sind bis heute vor allem durch ihr karitatives und soziales Engagement in positiver Erinnerung. Viele Stuttgarter Einrichtungen tragen noch heute ihre Namen.

Olga und Wera – das soziale Engagement „von Villa und Park damals“

Zu Lebzeiten von Olga war die Mildtätigkeit das klassische Betätigungsfeld der Ehefrauen von Landesfürsten. Sie zeichnete sich vor allem durch die klassische Funktion der Schirmherrschaft für gemeinnützige Zwecke aus. In diesem Sinn stellte Olga im Jahr 1847 die Heil- und Pflegeanstalt für – in den Worten von damals – „schwachsinnige“ Kinder in Mariaberg und die Stuttgarter Kinderheilanstalt – das „Olgäle“ – unter ihren Schutz. Bald jedoch setzte sie eigene Akzente, wobei ihr besonders die Erziehung und Bildung der Kinder und Jugend am Herzen lag. Zahlreiche Kinderkrippen, Kinderrettungsanstalten und Kleinkinderbewahranstalten entstanden mit Ihrer Hilfe und Unterstützung.[4] Im Jahr 1873 stiftete sie die höhere Mädchenschule im Stuttgarter Westen, das Königin-Olga-Stift, das bis heute als Bildungseinrichtung fungiert.[5] Auch zahlreiche Ausbildungsstellen für Mädchen und Frauen wurden durch Olgas Unterstützung geschaffen.

Herzogin Wera von Württemberg folgte dem Beispiel ihrer Adoptivmutter Olga und engagierte sich ebenfalls stark im karitativen und sozialen Bereich. Auch sie legte starke eigene Akzente, ganz in Olgas Tradition, die – wie zu vermuten ist – von ihrer eigenen persönlichen Situation geprägt waren.

Nach dreijähriger Ehe verlor Wera bereits im Jahr 1877 ihren Ehemann Herzog Eugen von Württemberg. Sie ging zeitlebens keine neue Ehe mehr ein und widmete sich der Erziehung ihrer beiden 1876 geborenen Zwillingstöchter Elsa und Olga. Selbst alleinerziehend lag ihr das Schicksal unverheirateter Mütter und alleinstehender Mädchen am Herzen.[6] Als der Großfürstin bekannt wurde, dass eine überforderte Mutter ihren Säugling in Stuttgart in den Bahnhofsabort geworfen hatte, gründete sie eine Zufluchtsstätte für gefährdete Mädchen und unverheiratete, werdende Mütter, was allgemeinen Anstoß erregte. Wera lies sich dennoch nicht von ihrem Vorhaben abbringen und rief im Jahr 1909 ohne staatliche und kirchliche Unterstützung die Stiftung „Zufluchtsstätten in Württemberg“ zugunsten heimatloser Mädchen und werdender Mütter[7] mit den noch heute existierenden Weraheimen ins Leben. Es heißt sogar, dass Wera zugunsten der Stiftung ihren Schmuck verkauft hat und die Erlöse der Stiftung zukommen ließ.

Sowohl Olga als auch Wera haben sich in ihrem für damalige Verhältnisse ungewöhnlichen sozialen Engagement durch Widerstände nicht aufhalten lassen. Darüber hinaus haben beide das geschafft, was auch heute in der sozialen Arbeit gefordert wird: Nachhaltigkeit. Stuttgart profitiert noch heute von dem karitativen Wirken dieser beiden Frauen, noch heute existiert das Olga-Stift und das Wera-Heim und Kinder, Mädchen und Frauen werden im Sinne von Olga und Wera unterstützt. Diese große Leistung legt die Frage nahe, welche Verbindungen es darüber hinaus zwischen dem sozialen Engagement der Besitzerinnen von „Villa und Park damals“ und heute gibt.

Die Verbindung zwischen dem sozialen Engagement „von Villa und Park damals“ und heute

Im Jahr 1883 führte der deutsche Reichskanzler Otto von Bismarck die Krankenversicherung und 1984 die Unfallversicherung ein. Damit wurde zu Lebzeiten von Olga und Wera die Sozialgesetzgebung eingeführt.[8] Das Sozialsystem „von Villa und Park damals“ ist in keiner Weise mit unserem heutigen sehr komplexen und ausdifferenzierten Sozialsystem vergleichbar. Dennoch gibt es Verbindungen zwischen dem sozialen Engagement von Olga und Wera und sozialem Engagement heute.

Beide Frauen haben sich noch heute aktuellen Problemstellungen verschrieben. Olga setzte sich für Bildungsgerechtigkeit ein. Bildungschancen sind nach wie vor Lebenschancen und heute wie damals nicht jedem Kind zugänglich. Gemäß der im Juni 2013 veröffentlichten Studie der Bertelsmann Stiftung hängt auch heute der Bildungserfolg und die damit verbundenen Bildungschancen im Wesentlichen von der sozialen Herkunft ab.[9] D. h. Kinder aus den sogenannten bildungsfernen Milieus haben nahezu keine Chance einen höheren Bildungsgrad zu erreichen und damit einer dauerhaft existenzsichernden Erwerbsarbeit nach zu gehen.
Die direkte Nachbarschaft von „Villa und Park“ zeichnet sich heute beispielsweise durch ein Nebeneinander von hohen Einkommen, verbunden mit einem für Stuttgart überdurchschnittlichem Anteil an AkademikerInnen sowie BezieherInnen von ALG II mit niederen Bildungsabschlüssen aus. Demnach leben Kinder mit guten und mit schlechten Lebenschancen dicht nebeneinander.[10] Um Bildungsgerechtigkeit zu erlangen ist also nach wie vor soziales Engagement im Sinne von Olga notwendig, auch in der direkten Nachbarschaft von „Villa und Park“.

Weras Engagement galt vor allem den unverheirateten Müttern. Alleinerziehende Frauen gehören auch heute noch zu den besonders benachteiligten Personengruppen. So haben sie, weil die alleinige Sorge für ihre Kinder dies kaum zulässt, keine für die Lebenssicherung ausreichende (Vollzeit-) Stelle oder häufig sogar keine berufliche Ausbildung absolviert. Ihnen bleibt so qualifizierte und existenzsichernde Erwerbsarbeit vielfach verwehrt. Weiter unterliegen sie einem besonders hohen Risiko, auf Dauer ohne Berufsausbildung und damit abhängig von staatlichen Transferleistungen zu bleiben. In Baden-Württemberg verfügen 61,1% der alleinerziehenden arbeitslosen Frauen unter 45 Jahren, die ALG II beziehen, über keine Berufsausbildung.[11] Wie bereits dargestellt besteht für die Kinder dieser Frauen ein hohes Risiko, auch ohne Bildungsabschluss zu bleiben. Deshalb wirkt soziales Engagement für Alleinerziehende sozusagen doppelt. Z. B. fördert das Ministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie, Frauen und Senioren Baden-Württemberg über das Programm „Gute und sichere Arbeit“ seit 2012 Modellprojekte für Alleinerziehende.[12] Über diese Projekte soll den Frauen der Beginn einer Teilzeitausbildung ermöglicht werden, was aufgrund ihrer familiären Inanspruchnahme eine große Kraftanstrengung bedeutet. Der wichtige „Nebeneffekt“ dieser Modellprojekte ist, dass diese Förderung auch Auswirkungen auf die Kinder der Frauen hat und damit im doppelten Sinn wirkt.
In der Nachbarschaft von „Villa und Park“ gibt es heutzutage einen überdurchschnittlich hohen Anteil der Familienform „Alleinerziehend“. Jede dritte Familie ist hier alleinerziehend, während es in Stuttgart insgesamt „nur“ jede fünfte ist.[13] D.h. auch hier ist soziales Engagement im Sinne von Wera und auch Olga noch heute aktuell und notwendig.

Es gibt eine weitere Parallele zwischen „Villa und Park damals“ und heute. Zu Lebzeiten von Olga und Wera war das klassische Betätigungsfeld der Ehefrauen der Landesfürsten die Mildtätigkeit. Zwar werden heutzutage die wichtigen politischen Ämter und Funktionen über demokratische Wahlen besetzt, nach wie vor weitestgehend mit Männern. Die Aufgabe ihrer Frauen ist auch heute noch die „Mildtätigkeit“. So hat z.B. Stefanie Schuster, die Ehefrau von Altbürgermeister Schuster – ganz im Sinne von Olga und Wera – 1997 die Stiftung Olgäle gegründet. Sie wurde jetzt für ihr ehrenamtliches Engagement ausgezeichnet, für das sie eine „geradezu unglaubliche Hartnäckigkeit“ an den Tag legt.[14] Diese Zuschreibung der Tätigkeit der Ehefrauen unserer heutigen „Landesfürsten“ wird immer wieder kritisch diskutiert, dennoch ändert sich wenig. Es ist eher so, dass die entsprechenden Gattinnen oder Lebendgefährtinnen – in gewisser Weise in Tradition von Olga und Wera – über das geforderte Maß hinaus eigene Akzente setzen. Stefanie Schuster ist nicht „nur“ die Schirmherrin der Stiftung Olgäle, sie fungiert auch über die Amtstätigkeit ihres Mannes hinaus als ihre Präsidentin und akquiriert selbst aktiv Gelder für die Stiftung.

Und das zeigt eine weitere Verbindung zwischen „damals und heute“. Damals wie heute brauchen soziale Themen über das „übliche“ Maß hinausgehendes Engagement und Menschen, die bereit sind, dies zu investieren. Es ist unumstritten, dass es der deutschen Gesellschaft heute „gut geht“. Gerade dann darf nicht verloren gehen, dass es dennoch Menschen gibt, die schlechte Bildungs- und Lebenschancen haben. In der Nachbarschaft von „Villa und Park“ leben sie direkt neben denjenigen mit den guten Bildungs- und Lebenschancen. Sie brauchen – damals wie heute – Menschen, die sich stark für sie einsetzen und darüber hinaus – eine weitere wichtige Verbindung zwischen „Villa und Park“ von damals und heute – sich ihrer vorbehaltlos annehmen. So wie Olga sich ihrerseits vorbehaltlos und mit weitreichender Wirkung Weras annahm.

Aber gerade weil es mehrere Verbindungen zwischen dem sozialen Engagement von „Villa und Park damals“ und heute gibt, sollten die sozialen Visionen von Olga und Wera auch als Erbe für Villa und Park begriffen werden. Bei der zukünftigen Nutzung sowohl der Villa als auch des Parks sollten bzw.  müssen soziale Themen und Aspekte – im Sinne ihrer ersten beiden Besitzerinnen Olga und Wera – berücksichtigt werden.

Christiane Mayer arbeitet beim Frauenunternehmen ZORA gGmbH und ist dort unter anderem für das Gemeinwesen verantwortlich. Die ZORA gGmbH bietet Beschäfti­gung, Ausbildung, Qualifizierung und Beratung für Frauen in chancenbenachteiligten Lebensverhältnissen an und ist Trägerin einer Ganstageseinrichtung für Kinder zwischen null und sechs Jahren. Mit ihren Angeboten verfolgt das Unternehmen einen stadtteilorientierten Ansatz und engagiert sich  im Gemeinwesen des Stuttgarter Osten.


[1] http://www.landesarchiv-bw.de/web/53431. Abgerufen am 14.01.2014

[3] Geschichte trifft Zukunft – Occupy Villa Berg (Hrsg.): Ideen, Wünsche und Bilder 2013, S. 12f.

[4] http://www.landesarchiv-bw.de/web/41977. Abgerufen am 14.01.2014

[5] http://www.olga-stift.de/geschichte/. Abgerufen am 14.01.2014

[6] http://www.landesarchiv-bw.de/web/53431. Abgerufen am 14.01.2014

[7] http://www.weraheim.de/index.php?id=28. Abgerufen am 14.01.2014

[9] www.chancen-spiegel.de. Abgerufen am 19.01.2014

[11] Statistik der Bundesagentur für Arbeit, Stand November 2011

[12] Ministerium für Arbeit und Sozialordnung (Hg.): Aufruf zur Einreichung von Projektanträgen zur Teilzeitausbildung von alleinerziehenden Frauen ohne Bildungsabschluss. Stuttgart, 13.02.2012

[14] Böhm, Wenke: „Goldener Volltreffer“ für Stefanie Schuster. In: Stuttgarter Zeitung vom 23.01.2014, S. 23