Eine Frage an Rainer C. M. Wagner: Welche Bedeutung hatte die Villa Berg für das Haus des Dokumentarfilms?

Vom Zentrum der Welt zum Geisterhaus – Erlebnisse rund um die Villa Berg

(Rainer C. M. Wagner)

Zuerst ein Paar Fakten und Daten zum Verständnis. Das Haus des Dokumentarfilms – Europäisches Medienforum Stuttgart e.V. ist ein eigenständiges Institut, das – einmalig in Europa – der Sammlung, Forschung und Förderung des Dokumentarfilms dient. Der Trägerverein besteht derzeit aus dreizehn Mitgliedern, meist öffentlich-rechtlichen Einrichtungen. Den Hauptanteil tragen der SWR und das Land Baden-Württemberg.

Das Haus des Dokumentarfilms wurde im Oktober 1991 sozusagen in die Villa Berg hineingeboren. Anlass war das „Europäische Film- und Fernsehjahr“.

Geburtshelfer waren zwei Fernsehdirektoren, der amtierende des Süddeutschen Rundfunks (SDR) Hans Heiner Boelte und der kurz vorher pensionierte des Südwestfunks (SWF) Dieter Ertel. Der hatte durch seine Arbeit 30 Jahre zuvor der Dokumentarabteilung des SDR-Fernsehens den Ehrentitel „Stuttgarter Schule“ erworben.

Darauf rekurrierend hatte die Landesregierung von Baden-Württemberg das Projekt „Haus des Dokumentarfilms“ in ihre Kunstkonzeption aufgenommen mit der Erklärung: “Standort soll Stuttgart sein…“.

Und in Stuttgart – da waren sich alle Beteiligten schnell einig – sollte es eben die Villa Berg sein, die damals dem SDR gehörte und mehr oder weniger frei war. Außerdem war die SDR-Immobilienverwaltung wohl angehalten, aus dem Gebäude einen Ertrag zu erzielen.

Ich selber war damals nicht so begeistert vom neuen Institut. Ich leitete die Redaktion für Geschichte und Zeitgeschichte im Programmbereich „Kultur und Gesellschaft“, der für dokumentarisches Fernsehen zuständig war, und argwöhnte, da sollte eine Handvoll Theoretiker uns Praktikern ins Handwerk reden. Außerdem hatten wir Redaktionen gern sporadisch einzelne Räume der Villa Berg, vor allem das Terrassenzimmer, für Besprechungen, Veranstaltungen und Vorführungen genutzt.

Gut drei Jahre später, Anfang 1995 wurde ich Geschäftsführer im Haus des Dokumentarfilms und sah die Sache naturgemäß anders. Das Institut sollte seine satzungsgemäße europäische Dimension erweitern, besonders nach Osten und die Arbeit des Fernsehens in der sich wandelnden Medienlandschaft optimieren. Dafür war die Villa Berg genau der atmosphärisch richtige Ort, ein zur Entstehungszeit innovatives Gebäude mit persönlichen Bezügen zur russischen Kultur.

Alle Kollegen aus dem SDR, aus anderen Sendern oder Medien-Betrieben, von Delegationen aus dem Ausland beneideten uns um das herrschaftliche Ambiente unseres Domizils.

Dabei ist mir erst bewusst geworden, dass ich mein ganzes Arbeitsleben im Park/Gelände der Villa Berg verbracht habe, privilegiert mit täglichem Weg durch Krokuswiesen und duftendes Gras unter exotischen Bäumen, deren Namen ich nicht kenne. Allerdings auch auf schlecht beleuchteten Parkpfaden, die nachts nicht sicher waren.

Die Wohnung habe ich dreimal gewechselt, den Arbeitgeber nie. Eine Biografie, die heutigen karrierebewussten Arbeitnehmern wohl exotisch erscheinen muss.

Erst war da – noch während meiner Ausbildung auf dem Killesberg 1964 – die Baustelle der in den Hang geschobenen Fernsehstudios und das große Loch für die SDR-Tiefgarage vor der Villa Berg. Das Hörfunkstudio in rotem Sandstein im Stil der Liederhalle stand schon da als Rückgebäude der Villa und Pendant gleichermaßen. Dann kam die große Zeit des SDR-Fernsehens in den späten 60er und den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts. Später, mit wachsenden Aufgaben (Drittes Fernsehprogramm etc.) stieg der Bedarf an Personal und Arbeitsräumen. Die Verstreuung der Büros hat mich zeitweilig in angemietete Häuser in der Werderstraße, der Neckarstraße, ins Funkstudio, schließlich in das ehemalige Lazarett im so genannten „Kulturpark Berg“ an der Teckstraße geführt. Aber immer blieb ich im Bannkreis der Villa Berg, bis ich schließlich 1995 im Zentrum des Kraftwirbels landete.

Die Villa Berg war, als sie noch mit Leben erfüllt war, kulturellem Leben, ein historischer Solitär im Ensemble der Rundfunkbauten im Park. Eine historische Dimension zu meinen Empfindungen liefert der vorzügliche Aufsatz von Katrin Barz und Markus Rötzer über die Gartenanlagen der Villa Berg. Ich sehe in der Bebauung des Parks in den Zeiten des SDR die durch die Funktion der einzelnen Bauten bestimmte organoide Streuung im Gelände mit der Villa Berg als bewusst belassener Krönung auf dem Gipfel des Hügels.

In der Praxis zeigt sich die Villa Berg dann doch als problematisch für die Verwendung als Büro bzw. Archiv mit Publikumsverkehr.

Das Haus des Dokumentarfilms hatte das erste Obergeschoss, ein Zwischengeschoss und das Dachgeschoss, dazu das Terrassenzimmer im Erdgeschoss gemietet. Der Großteil des Parterres mit den repräsentativen Foyers auf zwei Zugangsebenen, dem Großen Sendesaal samt den Tonregien und Nebenräumen blieb in der Verfügung des SDR-Hörfunks, speziell des Radio-Sinfonieorchesters. Dieser Große Sendesaal – beim Wiederaufbau der Neo-Renaissance-Villa als reizvoller Kontrast im nüchternen Stil der 50er Jahre mit viel Holz eingebaut und heute schon selber denkmalgeschützt – ist in meiner Radio-Jugend jener Wunderraum gewesen, darin der legendäre Hans Rosenthal „Allein gegen alle“ spielte, Erwin Lehn Big-Band-Evergreens aufzeichnete und das Radio-Sinfonieorchester Klassiker zelebrierte. In meiner Berufszeit diente der Saal für gut besuchte Feste mit Pelzmantel-Damen aus der Provinz, für Ehrungen von Medien-Preisträgern, für turbulente Personalversammlungen. Gegen Ende der SDR-Ära auch für Rock- und Pop-Konzerte, deren Begleiterscheinungen und Hinterlassenschaften uns im Haus des Dokumentarfilms die Arbeit nicht erleichterten.

In den drei hohen Räumen der Belle Etage saß die Geschäftsleitung des HDF mit Sekretariat und die Archivleitung. Der Studienleiter residierte im Terrassenzimmer, das gleichzeitig unser Veranstaltungsraum für Workshops und kleinere Tagungen war. In meiner Amtszeit zwischen 1995 und unserem Umzug in die Königstraße 2001 mögen ein Paar Dutzend Veranstaltungen dort stattgefunden haben. Die größeren – oft internationalen – Tagungen und Kongresse haben wir im SDR, im Treffpunkt Rotebühlplatz oder im Filmhaus veranstaltet, solange das noch existierte.

Einmal, im Jahr 1998,  war die Villa Berg sogar das Zentrum der Welt, der Fernsehwelt zumindest. Damals hat das Haus des Dokumentarfilms mit EU-Geldern den Medienkongress INPUT „The International Public Television Screening Conference“ mit 1000 Delegierten aus allen Kontinenten in der Liederhalle organisiert. Kommandozentrale war die Villa Berg.

Im Dachgeschoss, das im Sommer brütend heiß wurde und im Winter ordentlich auskühlte, saßen die Mitarbeiter/innen des Archivs. Dort haben wir unter anderen auch einen Film über „Stuttgart – die Großstadt zwischen Wald und Reben“ aus dem Jahr 1935 katalogisiert. Darin hat der berühmte Regisseur Walter Ruttmann (Berlin – Sinfonie einer Großstadt) auch die Freizeitmöglichkeiten unserer Landeshauptstadt vorgeführt. Und zwischen Freibädern und Wilhelma sehen wir ein Terrassencafe wo fröhliche Frauen in flotten Sommerkleidern und wohl gekleidete Herren zierlich ein Stück Torte essen. Und wo ist dies Cafe? Natürlich auf der Terrasse der Villa Berg mit Blick auf den noch gepflegten Westgarten.

Die großflächigen Fensterfronten nach Süden über den (leider ausgetrockneten) Wasserspielen auf dem Tiefgaragen-Dach und nach Westen auf eine abgestufte Rasenfläche, die früher einmal angelegt gewesen sein muss, ließen viel Sonne in unsere Räume (vielleicht sogar Erleuchtung in unsere Arbeit), aber auch viel Hitze.

So lässt sich die Frage nach den Bedürfnissen für jede zukünftige Nutzung vordergründig pragmatisch mit heutigen Selbstverständlichkeiten beantworten:

  • behindertengerechte Renovierung
  • Einbau von Aufzügen, weil die Treppen zum OG sehr hoch sind
  • Sanierung der Funktionsräume
  • Einbau einer wirksamen Klimaanlage
  • Kommunikationsleitungen, die heutigen Ansprüchen genügen
  • angemessener Parkraum.

Das alles ist schon in der Diskussion wie auch die dahinter stehende grundsätzliche Frage nach der möglichen Art der Nutzung.

Aus meinen Gedanken und Erinnerungen destilliere ich die Themenfelder Kultur und Unterhaltung. Für beides könnte die Villa Berg dienen. Das exklusive Divertissement des Adels fand ja im kultivierten Ambiente statt und das Volksvergnügen der demokratischen Gesellschaft hat als Pendant eine Palette alternativer Kulturen. Aber wo kriegt man das richtige Publikum her?

Seit dem Auszug des SWR-Fernsehens in den modernen Bau neben dem Funkhaus ist der Park der Villa Berg vollends verödet, wenn man von seiner – allerdings wichtigen – Funktion als Spielplatz und Spaziergangs-Hügel absieht.

Für die Bundesgartenschau im Stauferjahr 1977 hat man noch einmal die Grünachse von Stuttgart nach Bad Cannstatt wiederbelebt. Den Park der Villa Berg mit zwei Fußgängerbrücken nach Norden an den Rosensteinpark angebunden, Pavillons errichtet, eine Weinstube gebaut.

Dennoch hat sich Stuttgarts Gesellschaftsleben in den folgenden Jahrzehnten weiter auf die Innenstadt mit der Kulturmeile zurückgezogen. Selbst das Haus des Dokumentarfilms ist, diesem Sog folgend, aus der Villa Berg in die Königstraße 1A übersiedelt, um in Bahnhofsnähe und nicht allzu weit von Filmhaus und Literaturhaus für die Benutzer, meist Studierende, leichter erreichbar zu sein, auch in der Hoffnung, Gelegenheitsbesucher anzuziehen. Um die Jahrtausendwende hatte uns der SWR nach der Fusion nahe gelegt, die Villa zu räumen, weil der Sender den Repräsentativbau für andere Zwecke nutzen wollte. Eine Zeit lang war noch das Büro der Schwetzinger Festspiele in den Fronträumen und dann begann die Villa zum Geisterhaus zu verkommen, wie alle unbewohnten Bauten. Die Zeit hat eine ebenso große Zerstörungskraft wie ein Krieg.

Wie dem zentripetalen Verhalten der Stuttgarter und ihrer Gäste zu begegnen sei, weiß ich auch nicht. Aber es gibt Beispiele einer Gegenbewegung hin zu attraktiven Spezialitäten in den Stadtteilen, wie etwa das Restaurant „Da Capo“ im Kulturpark Berg.

Der Neoliberalismus repetiert gebetsmühlenartig den alten Satz „Der Markt reguliert alles“. Wollen wir es den Kräften des Marktes überlassen, was mit der Villa Berg in Zukunft geschieht? Ein Rettungskonzept ist des Schweißes der Edlen wert.

Der Journalist Rainer C.M. Wagner (Jahrgang 1940) war von 1995 bis 2002 Geschäftsführer des Haus des Dokumentarfilms. Zuvor studierte er Germanistik und Anglistik. Herr Wagner arbeitete seit 1967 als Fernsehjournalist, war seit 1971 Redakteur im SDR-Fernsehen und dort später Abteilungsleiter für Geschichte und Zeitgeschichte. Er verantwortete zahlreiche Einzelsendungen und Serien, u.a. „Europa unterm Hakenkreuz“ (13 Folgen, SDR 1982/83). Von 1992 bis 2007 unterrichtete er im Rahmen eines Lehrauftrags Dokumentarfilm-Gestaltung an der Fachhochschule Würzburg.