Eine Frage an Gerhard Kabierske: Wie war der bekannte Architekt und Designer Egon Eiermann am Wiederaufbau der Villa Berg und der Gestaltung des großen Sendesaals beteiligt?

Der folgende Text wurde uns mit freundlicher Genehmigung des saai I Südwestdeutsches Archiv für Architektur und Ingenieurbau, Karlsruhe und der Egon Eiermann Gesellschaft e.V. zur Verfügung gestellt. Die Dokumentation entstand anlässlich der Konsultation der Egon Eiermann Gesellschaft durch die Stadt Stuttgart und die Denkmalpflege zu Fragen der Umnutzung.

Großer Sendesaal des SDR in der Villa Berg, Stuttgart

Chronologie des Baues nach den Unterlagen im Nachlass Egon Eiermann des Südwestdeutschen Archivs für Architektur und Ingenieurbau Karlsruhe (saai)

1948

Die im Zweiten Weltkrieg ausgebrannte Villa Berg, um 1850 von Christian Friedrich Leins für den würt­tembergischen Thronfolger Karl errichtet, und der sie umgebende Park sollen für das geplante neue Funkhaus von Radio Stuttgart genutzt werden. Der vorgesehene große Sendesaal soll in der wiederauf­gebauten Villa Berg Platz finden. Der Stuttgarter Baurat Adolf Mössinger, dessen Architekturbüro laut Briefkopf Aufgaben einer „Abteilung Bau und Konstruktion“ des Rundfunks wahrnimmt, legt dafür im Juli erste Entwürfe vor.

Für Verwaltung und Studios soll im Park ein Neubaukomplex entstehen, für den im Oktober ein engerer Wettbewerb unter den Architekten Martin Elsaesser, Rolf Gutbrod, Hans Paul Schmohl, Adolf Schneck, alle Stuttgart, und Egon Eiermann, Karlsruhe, ausgeschrieben wird. Die Stuttgarter Architekten Paul Stohrer und Werner Gabriel, die sich um eine Teilnahme bewerben, werden ebenfalls zugelassen. Die Wettbewerbsteilnehmer werden auch um Vorschläge für den Ausbau der Villa Berg für den Sendesaal gebeten. Die Bauleitung für diesen ersten Bauabschnitt ist zu diesem Zeitpunkt bereits Adolf Mössinger übertragen.

1949

Das Wettbewerbsprojekt von Egon Eiermann, Professor an der TH Karlsruhe, erringt den ersten Preis, die Architekten Paul Stohrer und Hans Paul Schmohl den zweiten bzw. dritten Preis. Eiermann erhält den Auftrag zur Überarbeitung seines Entwurfs. Es folgt ein bis Dezember 1951 dauernder intensiver Pla­nungsprozess mit mehreren Überarbeitungsstufen, die notwendig werden, da das Programm von Seiten des Bauherrn mehrfach geändert wird und für die neue Bauaufgabe nur wenige Vorbilder zur Verfügung stehen. Als erste konkrete Baumaßnahme beginnt der Wiederaufbau der Villa Berg durch das Büro Mössinger.

1950

Die Planung für die Innengestaltung des Sendesaals erfolgt nach Ideen Eiermanns und Vorgaben der Techniker des Süddeutschen Rundfunks durch das Büro Mössinger. In der Funktion eines Gutachters legt Eiermann im Juni zwei Entwurfsvarianten vor. Im August soll er das gerade angefertigte Modell des Saals beurteilen und Änderungswünsche direkt mit dem Modellbauer besprechen. Im Oktober hat der SDR Änderungswünsche am Prospekt der geplanten Konzertorgel der Firma Walker. Eiermann soll nun auch für das Orgelgehäuse und den Spieltisch verantwortlich zeichnen. Eiermann äußert sich in einem Schreiben, dass er inzwischen die maßgebliche Rolle bei der Gestaltung des Saalinneren übernommen habe. Im Dezember erhält er zudem den Auftrag, auch die von einer Firma entwickelten Klappsessel der Bestuhlung formal zu verbessern.

1951

Ende Januar übergibt das Büro Mössinger überarbeitete Pläne für die Saalzugänge an Eiermann zur weiteren Begutachtung. Eiermann äußert sich den Verantwortlichen des SDR gegenüber ironisch: „Das Publikum wird die mit Leder bezogenen und mit Messing beschlagenen Türen schöner finden, weil es glaubt, bei Bankdirektors eingeladen zu sein, und wird dann von dem komischen Saal arg enttäuscht sein. Bitte veranlassen Sie Herrn Mössinger, dass die von uns gewünschten Änderungen in jedem Fall berücksichtigt werden, denn allem Anschein nach wird ja nicht Herr Mössinger für den Saal zeichnen, sondern wir.“

Im Februar liefert die Firma Wilde & Spieth in Esslingen, mit der Eiermann seit 1948 neue Sitzmöbel ent­wickelt, Muster für die Orchesterbestuhlung, die das Büro Eiermann entworfen hat. Sie werden ebenso wie der von Eiermann eigens für den Sendesaal gestaltete Notenständer vom SDR und seinem General­musikdirektor Hans Müller-Kray akzeptiert und in Auftrag gegeben. Die Einrichtung der Foyerbereiche der wiederaufgebauten Villa Berg überträgt der Süddeutsche Rundfunk der jungen Stuttgarter Innenarchitek­tin Herta-Maria Witzemann, was Eiermanns Unmut erregt. Er weist im März darauf hin, dass er für die Interieurs im geplanten Neubau unbedingt selbst verantwortlich zeichnen will.

Ende April wird der Saal anlässlich eines Sängerfestes erstmals genutzt. Eiermanns Identifikation mit dem Raum geht so weit, dass er sich selbst Gedanken für den Blumenschmuck zu diesem Anlass macht. Dennoch zeigt er sich schon vor dem Abschluss der Bauarbeiten mit der Gesamtwirkung nicht zufrieden. Er erklärt in einem Schreiben an den SDR-Intendanten Dr. Fritz Eberhard, dass er bislang nur beratende Funktion hatte. Baurat Mössinger habe sich zwar im Wesentlichen an seine Angaben gehalten, das Büro habe jedoch auch gravierende Fehler gemacht im Hinblick auf die Beleuchtung und die Form der Decke über dem Orchesterpodium. Er macht Vorschläge, wie man die technischen und ästhetischen Mängel ohne großen Geldaufwand beheben könne.

Tatsächlich wird Eiermann nach einem Verwaltungsratsbeschluss und akustischen Messungen mit einer nochmaligen Umplanung betraut. Nach der Demontage der Bestuhlung ziehen im August des Jahres wieder Handwerker ein. Die Rückwand sowie die indirekte Beleuchtung unter der Decke werden ent­sprechend den Vorstellungen Eiermanns und unter Betreuung durch sein Büro verändert.

Nach diesen Modifikationen sieht Eiermann den Sendesaal endgültig als sein Werk an. Er lässt ihn von einem professionellen Fotografen aus Hamburg in einer Bilderserie dokumentieren, betreibt in einer Fachzeitschrift die Publikation unter seinem Namen und führt den Raum Gästen vor, mit denen er eigens nach Stuttgart kommt.

Eiermanns für Stuttgart entwickelte Orchesterstühle mit Varianten für Geiger und Bassisten sowie sein Notenständer werden als erfolgreiche Serienmodelle der Firma Wilde & Spieth in den 50er- und 60er-Jahren in großer Stückzahl produziert und weltweit zu beliebten Möbeln in Konzertsälen und Orchestergräben.

Zum Leidwesen des Architekten beschließt der Verwaltungsrat des SDR im Dezember 1951, das inzwi­schen bis zur Ausschreibung der Stahlkonstruktion gediehene Ausführungsprojekt für den Neubau zu­rückzustellen, da die absehbare Einführung des Fernsehens organisatorisch und technisch völlig neue Entwicklungen mit großen Auswirkungen auf die baulichen Erfordernisse erwarten lässt. Zudem ist man auf Seiten des Bauherrn überrascht von der Höhe der Kosten, die nach dem überarbeiteten Voranschlag zu erwarten sind. Wenige Jahre später wird schließlich der Stuttgarter Architekt Rolf Gutbrod, 1949 er­folgloser Teilnehmer am Wettbewerb, mit einer neuen Planung von Neubauten für Funk- und Fernseh­studios im Park der Villa Berg beauftragt.

Der Text wurde verfasst von Dr. Gerhard Kabierske, wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Südwestdeutschen Archiv für Architektur und Ingenieurbau (saai). Das saai sammelt, archiviert und konserviert Materialien zum Werk bedeutender Architekten und Ingenieure, Bauhistoriker, Architekturfotografen sowie Garten- und Innenarchitekten, die vornehmlich im deutschen Südwesten oder von hier aus in aller Welt tätig waren. Der zeitliche Schwerpunkt der Sammlung liegt im 20. Jahrhundert. Das saai erforscht diese Bestände und stellt sie ebenso interessierten Forschern zur Verfügung. Mit Tagungen, Publikationen und Ausstellungen leistet das saai einen Beitrag zum Verständnis von Baukultur und Kulturgeschichte in der Öffentlichkeit. Das saai ist Teil des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT).

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