Deborah Brinkschulte (Vagabunden-Führung)

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Auf Einladung von Tanja Krone, Initiatorin des Vagabundenkongresses, hat Occupy Villa Berg im Juni 2014 im Rahmen desselben eine Führung zum Thema Leerstand veranstaltet. Deborah Brinkschulte, Mit-Initiatorin von Occupy Villa Berg, beantwortet die Fragen.

Könntest Du uns, die Führung, die Du angeboten hast, kurz beschreiben?

Die Führung war Teil des Vagabundenkongresses, der vom 7. bis 28. Juni 2014 teilweise im Theater Rampe und teilweise – mit Interventionen, Führungen usw. – verteilt in der Stadt stattfand. Der Vagabundenkongress 2014 war eine Neuauflage des Vagabundenkongress, der 85 Jahre zuvor bereits einmal in Stuttgart stattfand – damals am Killesberg. Er war das größte Treffen von Wohnsitzlosen und Künstlern, die Heimatlosigkeit zum wahren Leben – jenseits bürgerlicher Zwänge – erklärten. Zum aktuellen Kongress hatten Tanja Krone, die Initiatorin, und Wanja Saatkamp, ihre Mitstreiterin, Künstler aus aller Welt geladen, das Theater Rampe wurde deren temporäre Heimat.

Unter dem Titel „Wanderpredigt“ waren Führungen und Spaziergänge Teil des Programms. Die Wanderpredigten waren der Versuch, die Menschen wieder zum Gehen und Entdecken zu motivieren, zum Entdecken der Stadt – ihrer Stadt.

Mein Spaziergang befasste sich mit dem Thema Leerstand und schlängelte sich vom Theater Rampe bis zur Villa Berg durch die Stadtteile Stuttgart-Süd und -Ost. Unsere Stationen auf der Strecke hatten wir mit neonfarbenen Quadraten markiert und damit die Leerstände weithin sichtbar gemacht. An ausgewählten Leerständen – beispielsweise der ehemaligen Kult-Fußballkneipe Libero, einem ehemaligen Kino am Stöckach oder dem gigantischen Teil-Leerstand der EnBW – erläuterten wir die Geschichte der Orte, Gründe für den Leerstand und – wenn vorhanden bzw. bekannt – Zukunftspläne.

An zwei großen Zwischenstationen waren kleine Diskussionsrunden Teil der Führung. An der ersten Unterbrechung diskutierten wir mit den Machern von plentyempty und dem Leerstandsmelder Stuttgart über Probleme, aber auch Chancen der Leerstände. Die zweite Unterbrechung bot die Möglichkeit mit Vertretern aus der Politik ins Gespräch zu kommen und über fehlende Wohnungen und Zweckentfremdungsverbote zu sprechen. Im Park der Villa – am Ende der Führung – fand ein Picknick aus der Reihe „Platz nehmen“ statt, das von den Stadtisten organisiert wurde. Mit der Reihe „Platz nehmen“ wollen die Stadtisten wenig genutzte oder schlecht gestaltete öffentliche Orte der Stadt bespielen und in ein temporäres Wohnzimmer verwandeln. Damit entsteht an diesen Orten Aufenthaltsqualität, die zwar nur von kurzer Dauer ist, aber Potenziale der öffentlichen Räume aufzeigt.

Warum war die Villa Berg das passende Ziel?

Die Villa Berg bot sich als Ziel für die Führung an, weil sie derzeit einer der prominentesten und am besten dokumentierten Leerstände der Stadt ist. Hier konnte gut verdeutlicht werden, wie es um Gebäude bestellt ist, die durch Investoren, ständige Wiederverkäufe und Leerstandsschäden, an Wert verlieren. Dabei steht die Villa Berg natürlich nur exemplarisch für eine Reihe anderer Gebäude, die – wenn auch weniger durch ihre historische Bedeutung, so aber doch zumindest durch ihr Alter – zur Identität der Stadt beitragen oder hätten beitragen können.

Was wolltest Du den Teilnehmern durch die Führung vermitteln?

Die Führung sollte den Teilnehmern ein Gefühl für die Stadt mitgeben, das auch anhand ihrer Gebäude entsteht. Welche Gebäude erzählen welche Geschichte? Welche Lücke hinterlassen sie bei einem Abriss? Welche Geschichte erzählt der Wandel der Gebäude – die Umnutzung, der Abriss, der Ersatz? Welches Gesicht geben Gebäude der Stadt? Und nicht zuletzt: Was erzählen die Gebäude über die Kultur einer Stadt und deren Umgang und Haltung mit ihrer Geschichte?

Wie waren die Reaktionen und Rückmeldungen der Teilnehmer? Was nehmen die Teilnehmer mit?

Viele Teilnehmer, die ja auch aus anderen Städten und Ländern angereist waren, kannten die Villa Berg vorher nicht. Vor allem auf dieses Gebäude bezogen sich dann die Rückmeldungen und Kommentare. Für viele Teilnehmer war es undenkbar, dass ein solches Gebäude sich selbst überlassen wird, vor allem auch für viele Teilnehmer aus weniger reichen Gegenden, in denen der Umgang mit historischer Substanz aber ein anderer ist.