Eine Frage an Michael Bott: Können Sie uns die Geschichte der Gartenkunst am Beispiel des Parks der Villa Berg erläutern?

Das Gastbeitrag ist eine Zusammenfassung einer umfassenderen, wissenschaftlichen Beitrags von Michael Bott, der als PDF unten angehängt ist.

Der Park der Villa Berg – Die Geschichte der Gartenkunst
(Michael Bott)

Wie viele andere Kulturgüter, z.B. in Form von Baudenkmälern, gehen historische Gartenanlagen durch die verschiedensten Ursachen im Laufe der Zeit unwiederbringbar verloren, werden sie nicht im Wissen um die Intuition und Idee ihrer Schöpfer gepflegt, die sie einst entstehen ließen. Auch das Land Baden-Württemberg sowie die Landeshauptstadt Stuttgart sind Eigentümer von einst prächtigen Parkanlagen ihrer einstigen Herzöge und Könige, die danach trachteten in Konkurrenz mit ihren europäischen Adelsgenossen standesgemäße, imposante sowie zeitkonforme Schlösser und Parkanlagen zu besitzen.

Da die Villa Berg sowie ihr Park in der letzten Zeit in das öffentliche Interesse gerückt sind, nehme ich diesen Umstand zum Anlass, hier in aller Kürze Grundzüge der Geschichte der Gartenkunst zu erläutern, um damit den Wert der Parkanlage als bewahrenswertes Kulturdenkmal zu unterstreichen und dessen zumindest teilweise Wiederbelebung allen Entscheidungsträgern nahezulegen.

Dabei ist es wichtig, den Wert historischer Gartenanlagen nicht nur an deren Ästhetik festzumachen, sondern auch an dem direkten Zusammenhang zwischen Formgebung und dem jeweilig herrschenden Zeitgeist. Man kann sagen, dass es grundsätzlich von der Renaissance bis zu den Gärten Anfang des 20. Jahrhunderts zwei übergeordnete Gestaltungsmaximen gab:

Die Erste war streng geometrisch ausgerichtet und hat die italienischen Renaissance-Gärten, sowie die französischen Barockgärten geprägt. Die aristotelische Idee, dass der Mensch die schlimmen Zufälligkeiten der Natur korrigieren könne, um ihr die Vollkommenheit, die sie haben sollte und nach der sie ständig strebte, wiederzugeben – gerade Linien, kreisrunde Meere und geometrische Bäume –, diese Idee war Zentralpunkt der Gestaltung französischer Barockgärten. Weiter hatte die Kunst die Natur zu beherrschen. Repräsentant dieser Epoche war König Ludwig, XIV. Um die Gartenanlagen als Gesamtkompositionen in diesem Sinne auszubilden, hatten sich deren Einzelelemente dieser Idee einzugliedern, bzw. unterzuordnen. Diese Einzelelemente waren beispielsweise:

  • Die Wegeführung: streng geradeaus, rechtwinklig, das Wegesystem spiegelbildlich, symmetrisch,
  • Die Pflanzen: streng, auch als geometrische Körper und Kunstwerke geschnitten,
  • Die Pflanzraster/Pflanzschemas: ebenso regelmäßig konzipiert, in Form von Alleen oder streng raumbildenden Hecken,
  • Die natürliche Geländeoberfläche: wurde „geschleift“ und neu geformt, aus Ebenen wurden  Terrassen, Treppen, Balustraden, Rampen,
  • Das Element Wasser: in geometrischen Becken gefasst, über Kaskaden geleitet, in Fontänen in den Himmel geschossen,
  • Parkbegleitende Kleinbauten: beispielsweise Pavillons aus Stein oder Eisen, ebenfalls im geometrischen Stil erbaut.

Die konträr dazu übergeordnete Gestaltungsmaxime fand ihren Ausdruck in den englischen Landschaftsgärten. Die Philosophie Rousseaus „Zurück zur Natur“ war stilprägend und Maxime für diesen Typus der Gartengestaltung. Die Natur selbst diente dabei als Vorbild für die Landschaftsarchitekten, diese konzipierten mit allen Mitteln Gärten, in denen beim Durchwandern verschiedene Sinneseindrücke entstehen sollten, wie beispielsweise

  • Szenerien der Erhabenheit und Größe, Verehrung des Altertums (Griechische oder Römische Tempel),
  • Szenerien der Vergänglichkeit (z.B. durch künstliche Ruinen),
  • Szenerien der Einsamkeit (z.B. Eremitagen mit angestellten Eremiten),
  • Szenerien der Exotik (z.B. Chinesische Pagoden),
  • Szenerien der Naturhaftigkeit (z.B. Grotten, Höhlen, Felswände),
  • Szenerien der Furcht und des Schreckens (z.B. Wolfsgeheul, Kreuze, Marterapparate).

Man spricht bei diesen Gärten ebenfalls von den malerischen oder poetischen Gärten. Ein Maler sollte in diesen Landschaftsgärten Motive finden für seine Malerei, aber auch umgekehrt sollten die Landschaftsarchitekten Motive bekannter Maler in die Landschaft umsetzen. Dasselbe gilt für den Bezug Poesie und Landschaftsgestaltung: Gärten sollten so gestaltet sein, wie sie Poeten in ihren Gedichten beschrieben. Zu der Art, wie die Kompositionselemente des formal-geometrischen Gartens aufgeführt wurden, bildeten die Kompositionselemente des an der Natur orientierten Landschaftsgartens konträr ihre Ausbildungsformen:

  • die Wegeführung weich, organisch geschwungen (oft auch Brezelwege genannt),
  • die Pflanzen und Bäume frei wachsend, geformt von den Einflüssen der Natur, bzw. des Klimas,
  • die Pflanzschemas mit freien pflanzlichen Individuen, gruppiert oder auch einzeln stehend,
  • die Form der Geländeoberfläche mit weich geformten Mulden, Hügeln und Tälern,
  • das Wasser in naturhaft geformten Seen und in Verbindung mit dem Wasser Orte der Ruhe, Einsamkeit, Melancholie oder als murmelnde Bäche, über Kaskaden und runde Kiesel gleitend,
  • parkbegleitende Kleinbauten, welche die oben aufgeführten Sinneseindrücke hervorrufen oder initiieren sollten (Vergänglichkeit, Einsamkeit etc.).

Der naturidealisierende, gemischte Gartenstil des 19. Jahrhunderts – eine Mischform aus beidem

Ab etwa 1820 etablierte sich im Bereich der heutigen Bundesrepublik ein eigener Stil der Gartengestaltung, der so genannte naturidealisierende, gemischte Gartenstil. Dieser wurde maßgeblich durch drei Landschaftsarchitekten geprägt, die auf ihrem Gebiet anerkannte Autoritäten waren:

  • Friedrich Ludwig von Sckell (1750-1823)
  • Hermann, Fürst Pückler-Muskau (1785-1871)
  • Peter Joseph Lenné (1789-1866)

Die Gestaltung dieser Gärten kann in Kürze etwa so umrissen werden: Sie bezieht ihre Art hauptsächlich aus dem englischen Landschaftsgarten, nimmt aber begrenzt Elemente des französischen bzw. italienisch-geometrischen Gartenstils wieder auf. In Bezug auf die Parkgestaltung hieß das meist, dass die Wegeführung und Pflanzschemas in der Nähe von Gebäuden geometrisch konzipiert waren und das Gebäude oder ein Platz in geometrischem Bezug zur Wegeführung stand. Je weiter sich Wege und die eng damit verbundenen Pflanzschemas jedoch von Gebäuden entfernten, desto organischer war ihr Charakter und umso naturhafter wurde das Landschaftsbild gestaltet. Der Begriff „naturidealisierend“ kann so beschrieben werden: Ein Gartenarchitekt, der mit der Gestaltung eines Geländes beauftragt war, sollte dieses nach dem Vorbild der Natur und der Natürlichkeit des Ortes entsprechend aufgreifen und darüberhinaus idealisieren. Mängel des Geländes im Einzelnen oder im Ganzen waren zu beseitigen oder zu verbergen, vorhandene Schönheiten aber herauszustellen und durch eine entsprechende Gestaltung zu würdigen.

Der Park der Villa Berg einst und heute

Nach diesem auf das Wichtigste verkürzten „Ausflug“ in die Geschichte der Gartenkunst nun wieder zurück zu unserem Park der Villa Berg, einst und heute.

Gartenkunst Kurzfassung

Park der Villa Berg, Handkolorierte Flurkarte um 1875 (Karte: Michael Bott)

Gartenkunst Kurzfassung

Plan der Heil- und Pflegeanstalt in Lengerich von 1863 (Peter Joseph Lenné)

(Anmerkung des Autors zum Plan von Peter Joseph Lenné: Wie voran den „naturidealisierenden, gemischten Gartenstil“ beschrieben, erkennt man den äußeren Bereich des Parks der Heil- und Pflegeanstalt Lengerich im Stil der englischen Landschaftsgärten naturhaft gestaltet, Wegeführung und Pflanzschemen weich organisch gerundet, während der zentrale Bereich der Anlage streng geometrisch gestaltet ist mit den Gestaltungselementen Wegeführung, Pflanzschemen, erkennbaren Symmetrie- und Spiegelachsen, sowie ebenflächiger Geländeausformung.)

Vergleicht man den Plan von Lenné (naturidealisierender gemischter Gartenstil) mit dem der Villa Berg um 1875, so erkennt man diesen Stil auf beiden Plänen, im Falle des Parks der Villa Berg in die hiesige Landschaft übertragen bzw. eingepasst, eben in modifizierter Weise, d.h. ein Gemisch aus geometrischer Gestaltung um die Gebäude herum (mit allen Elementen wie zu Beginn aufgeführt) und dann übergehend in eine naturhafte Gestaltung in den darauffolgenden bis peripheren Bereichen.

Vom ehemals weiträumigen, vielgestaltigen und zeittypischen Park (entworfen von Neuner, teilweise Leins) ist heute nur noch ein kleiner, in sich abgeschlossener Bereich relativ unverändert vorhanden, nämlich der Rosengarten mit dessen am höchsten Punkt liegenden Belvedere.

Über dieses, um 1860-1865 von Josef v. Egle entworfene, klassizistische Kleinbauwerk kann man in einem literarischen Werk von 1889 lesen: Im Westpark „begegnen wir einem zierlichen Weinberghause […], das von Hofbaudirektor v. Egle außerhalb des eben erwähnten Sees (Anm. des Autors: Halbmondsee) in dem dortigen Weinberg ausgeführt wurde, am Ende der Achse, die geradlinig durch die ganze Parkanlage läuft. In diesem anmutigen kleinen Bauwerke, das einer fröhlichen Hofgesellschaft zur Unterkunft dienen soll, klingt der Ton aus, der auch in dem Villa-Bauwesen angeschlagen wurde […]“ (Christian Friedrich von Leins, Die Hoflager und Landsitze des Württembergischen Regentenhauses, Stuttgart, 1889).

Das Belvedere (analog zur Villa im kleineren Maßstab) bildet den Kristallisationspunkt einer kleinen geometrischen Gartenanlage mit Symmetrieachse sowie rechteckig geformten Wegen und Blumenbeeten, Terrassen, Treppen und Balustraden und hat auf der unteren Ebene ein kleines Wasserparterre. Analysiert man, aufgrund welcher Veränderungen vom einstigen Charakter nicht mehr viel übrig geblieben ist, kommt man auf folgende Ursachen:

An erster Stelle aufgrund aller eingefügten Bauwerke, die der Villa und dem Park die „Luft nehmen“, der Villa ebenso ihre Priorität und Erhabenheit. Das Zusammenspiel zwischen Wegeführung und Pflanzschemas insgesamt ist entstellt, v.a. durch die Beseitigung von Wegen, bzw. durch Abänderungen der Wegeführung und das Fehlen von einstig vorhandenen Bäumen, bzw. Baumgruppen. Die Vielzahl an den unterschiedlichsten Baumarten, bzw. Varietäten ist in vielen Parkbereichen nicht mehr vorhanden, v.a. im westlichen Bereich beherrscht der Spitzahorn durch Naturverjüngung die Baumlandschaft. Verschiedene „Erlebnisbereiche“ haben sich aufgelöst durch das Fehlen baulicher Gartenelemente oder auch Grünstrukturen. Dies bezieht sich nicht nur auf die gestaltete Parklandschaft, die den Besuchern Europas Gartenkultur erleben ließ, sondern auch auf unsere typisch schwäbische Kulturlandschaft mit ihren einzelnen Komponenten, wie Waldflur, Rebflur oder Streuobstflur, die bewusst in den Park aufgenommen wurden.

Ein Beispiel: Aus den historischen Plänen (Flurkarten und Geometerplänen) geht hervor, dass südlich und südöstlich des Rosengartens ein kleiner Waldbereich, Rebflächen und Obstbäume eng beieinander lagen, somit in enger Abfolge durchlebt und erlebt werden konnten. Das Belvedere war in Rebflächen eingebettet, hatte östlich Waldbäume und westlich blütenreiche Obstwiesen angrenzend. Diese konnte man unter Nutzung der so genannten „Brezelwege“ in Zeiten der Obstblüte oder naschend in Zeiten der Obsternte lustvoll „durchschlendern“. Diesen „Erlebnisbereich“ gibt es so heute nicht mehr.

Mit Sicherheit wäre es eine Illusion, den Park der Villa Berg gänzlich wiederherstellen zu wollen. Schön wäre es jedoch, der Villa zumindest an einer Seite wieder das passende und von Neuner kreierte grüne Ambiente zurückzugeben und es wäre sicher lohnend, sich darüber hinaus Gedanken zu machen, wo diese entschwundenen Erlebnisräume vielfältigster Art – wie beispielhaft angeführt – auch an anderen Stellen wieder zurückgeholt werden könnten.

Michael Bott ist Gartenhistoriker und hat sich u.a. schon mit anderen historischen Parkanlagen in Stuttgart wie dem Kurpark von Bad Cannstatt, dem Lapidarium und der Karlshöhe befasst. In Bad Wildbad hat er sich mit der Rekonstruktion der Kuranlagen beschäftigt. Darüber hinaus ist er Mitautor der Bücher „250.000 Jahre Cannstatter Geschichte“ sowie „Gärten und Parks in Stuttgart“. Den gesamten Beitrag von Michael Bott können Sie als PDF hier nachlesen: