Eine Frage an Michael Haußmann: Was sagt die Statistik über die Nachbarschaft der Villa Berg?

Wenn man die Nordspitze des Stuttgarter Innenstadtbezirks Ost zwischen Hackstraße, Schlossgarten und Neckar statistisch unter die Lupe nimmt, beschäftigt man sich mit der Wohn- und Lebenssituation von rund 7700 Menschen auf einer dicht besiedelten Fläche.

Statistik_Haussmann

Ein wachsendes Gebiet im Singularisierungstrend

Als Ergebnis des regen Wohnungsbaus im Gebiet (u.a. ehemalige Frauenklinik, Baur-Areal) hat sich die Zahl der Bewohner im Gebiet in den vergangenen zehn Jahren um 10 Prozent erhöht, die Zahl der Haushalte ist um 13 Prozent auf heute rund 4300 gestiegen.

Die Zahl der Personen je Privathaushalt (ohne Wohn- und Seniorenheime) ist hingegen von 1,76 auf 1,72 gesunken. Damit kann man auch in der Nachbarschaft der Villa Berg den langjährigen Trend zu kleineren Haushaltsgrößen nachvollziehen1. Die fortschreitende Singularisierung als Auslöser dieser Entwicklung war im Gebiet stärker zu spüren als in Stuttgart insgesamt: Der Anteil der Ein-Personen-Haushalte ist seit 1992 von 45,8 auf 56,6 Prozent gestiegen und liegt heute deutlich über dem städtischen Schnitt von 50,3 Prozent.

Der Anteil der Familien mit Kindern liegt mit aktuell 17,4 Prozent etwa auf dem gesamtstädtischen Niveau, mit abnehmender Tendenz analog zur Entwicklung in Stuttgart insgesamt. Differenziert man nach der Familienform, stößt man aber auf einen entscheidenden Unterschied: In der Nachbarschaft des Parks ist mehr als jede dritte Familie eine alleinerziehende, in Stuttgart insgesamt „nur“ jede fünfte. Besonders hoch ist der Anteil der Alleinerziehenden in der Raitelsbergsiedlung (13,3 % aller Haushalte), im Quartier Mühlkanal (10,2 %) und am geringsten in der Neubausiedlung auf dem Gelände der ehemaligen Frauenklinik (1,4 %).

Eine internationale Nachbarschaft

Jeder fünfte Parkanlieger hat keinen deutschen Pass, 40 Prozent haben einen Migrationshintergrund. Beide Zahlen entsprechen in etwa dem Stuttgarter Durchschnitt. Die Vielfalt der Bezugsländer ist dafür umso beeindruckender:  Von den derzeit 193 durch die Vereinten Nationen anerkannten Staaten sind im Mikrokosmos um die Villa Berg sage und schreibe 107 Nationen durch den Migrationshintergrund der Bewohner vertreten.

8,3 Prozent aller Parkanwohner haben einen türkischen Migrationshintergrund, 8,1 einen solchen im ehemaligen Jugoslawien, 4,5 Prozent haben einen Bezug nach Griechenland, 3,5 Prozent nach Italien und 3,3 Prozent zur ehemaligen Sowjetunion. Im Vergleich zur Gesamtstadt sind Einwohner mit afrikanischem Migrationshintergrund in etwa doppelt so stark vertreten (3,1 %), Bürger mit portugiesischen Wurzeln etwa dreimal so stark (3,0 %).

Der demografische Wandel wird deutlich durch Neuzuzüge überprägt

Lässt man die Bewohner der (Senioren-)Wohnheime beiseite, sind die Nachbarn der Villa Berg im Schnitt 2,4 Jahre jünger als der städtische Durchschnitt. Ursächlich ist zum einen der überdurchschnittliche Anteil von jungen Familien mit Kindern im Mühlenviertel, im Neubaugebiet der ehemaligen Frauenklinik, in der Raitelsbergsiedlung, im älteren Kern des Stadtteils Berg und im Quartier zwischen der Sick- und Hackstraße. Zum anderen liegt der Anteil der über 65-Jährigen vor allem im Mühlenviertel sowie in den Quartieren Stöckach, Villastraße, in der Raitelsbergsiedlung, im Quartier Neckar- / Werderstraße sowie in Alt-Berg deutlich unter dem städtischen Schnitt. Gleichzeitig darf man nicht aus den Augen verlieren, dass sich im Stadtteil Berg mit dem Parkheim ein großes Seniorenwohnheim mit angegliederten Seniorenwohnanlagen befindet. Zählt man diese Personen dazu, ist im älteren Teil des Stadtteils Berg immerhin jede vierte Person über 65 Jahre alt.

Die Bewohner des Gebiets sind in den vergangenen zehn Jahren durchschnittlich „nur“ um 0,3 Jahre gealtert – genau so „langsam“ wie der städtische Durchschnitt und damit deutlich geringer als der Landes- oder Bundesschnitt. Dieses verhaltene Wachstum ist – genauso wie in der Gesamtstadt – mit der neuen Attraktivität der Städte im Rahmen des derzeitigen Reurbanisierungsprozesses zu erklären2.

Sehr heterogener Akademikeranteil

Von den sozialversicherungspflichtig beschäftigten Stuttgarter Einwohnern haben rund 19 Prozent einen akademischen Abschluss. Im Quartier Raitelsberg und im Mühlenviertel sind es dagegen nur 3 bzw. 4 Prozent, am oberen Ende der Skala liegen das Quartier Villastraße mit 24 und das Neubaugebiet Frauenklinik mit 39 Prozent.

Hohe Einkommen und überdurchschnittlich viele Hartz IV-Empfänger dicht nebeneinander

Eng mit dem Bildungsniveau verknüpft ist das Einkommen. Betrachtet man das Nettoeinkommen je steuerpflichtiger Person, stellt man ein deutliches Gefälle zwischen den Quartieren fest. In den Quartieren Villastraße und vor allem im Neubaugebiet auf dem Gelände der ehemaligen Frauenklinik liegt das Einkommen 15 bzw. 50 Prozent über dem städtischen Durchschnittswert, gleichzeitig beziehen über die Hälfte der Einwohner unter 65 Jahren im Mühlenviertel (53%) Leistungen nach dem SGB II, auch Hartz IV genannt. Ebenfalls über dem städtischen Schnitt liegen hier die Raitelsbergsiedlung (32%), das Quartier östlich des Stöckachplatzes (21%) und das Quartier zwischen Sick- und Hackstraße (15%, Stand: 12/2012).

Unterdurchschnittliche Wahlbeteiligung

In den Wahlbezirken, die an den Park der Villa Berg angrenzen, ist über alle Wahlarten eine unterdurchschnittliche Wahlbeteiligung festzustellen. In Stuttgart gehört die Raitelsbergsiedlung seit langen Jahren zu den Wahlbezirken mit den geringsten Beteiligungsquoten: So haben dort bei der Gemeinderatswahl 2009 nur 23,3 Prozent ihre Stimme abgegeben (Stuttgart: 48,7 %), bei der Landtagswahl 2011 45,4 Prozent (Stuttgart: 73,1 %) und bei der Volksabstimmung 2011 39,3 Prozent (Stuttgart: 67,8 %). Bei der vergangenen OB-Wahl wurde mit 18,5 Prozent im zweiten Wahlgang (Stuttgart: 47,2 %) sogar ein neuer Tiefpunkt erreicht.

Zusammenfassung

Obwohl das Gebiet rund um die Villa Berg überschaubar erscheint, eröffnet sich bei genauer Betrachtung ein bunter Mikrokosmos mit fast allen Facetten der Stuttgarter Stadtgesellschaft. Viele Nationalitäten, jung und alt, reich und arm treffen auf engem Raum aufeinander. Nur in einem Punkt lässt sich eine durchgängige Gemeinsamkeit finden: In der geringen Wahlbeteiligung.

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1: Haußmann, Michael (2007): Lebensformen in der Großstadt im Wandel – in: Statistik und Informationsmanagement, Heft 6/2007

2: Schmitz-Veltin, Ansgar (2012): Bevölkerungsdynamik und Wanderungen in der Stadtregion Stuttgart – Von der Sub- zur Reurbanisierung? – in. Statistik und Informationsmanagement, Heft 4/2012

Michael Haußmann ist Abteilungsleiter für Bevölkerung und Wahlen beim Statistischen Amt der Stadt Stuttgart und Anwohner des Parks.