Eine Frage an Rolf Graser: Wie können öffentliche Räume gestaltet werden, um das gemeinsame Zusammenleben von Menschen aus verschiedenen Kulturen zu ermöglichen?

Bei einer Stadt mit einem so hohen migrantischen Bevölkerungsanteil und einer so großen internationalen Ausrichtung wie Stuttgart drängt es sich geradezu auf, aus dem Projekt Villa Berg ein Projekt der kulturellen Vielfalt zu machen – einen Park und ein Haus der Kulturen. Gerade angesichts der kulturell enorm vielfältigen Nachbarschaft der Villa Berg und des überproportionalen Migrantenanteils in den umliegenden Stadtteilen wäre eine kulturell vielfältige Ausrichtung des Projekt mehr als sinnvoll.

Die aufgeworfene Frage, wie öffentliche Räume gestaltet werden können, um das gemeinsame Zusammenleben von Menschen aus unterschiedlichen Kulturen zu ermöglichen, ist natürlich sehr komplex und lässt sich auf die Schnelle nur unzureichend beantworten. Vor allem aber ist es eine Frage, die in erster Linie von den Angesprochenen selbst, also von all den Menschen, die für unsere kulturelle Vielfalt stehen, zu beantworten ist. Es muss dies also von Anfang an ein partizipativer Prozess sein. Hierbei ist unmittelbare und kontinuierliche Stadtteil- und Nachbarschaftsarbeit eine wichtige Kommunikationsplattform und –voraussetzung. Auch die Einbeziehung von Migrantenorganisationen ist hilfreich und eine wichtige Säule umfassender Partizipation.

Damit entsprechende Angebote und Maßnahmen von Menschen mit Migrationshintergrund auch tatsächlich angenommen werden, sind vertrauensbildende Maßnahmen nötig. Es muss deutlich gemacht werden, dass die Interessen und Bedürfnisse der angesprochenen Menschen mit Migrationshintergrund tatsächlich ernst genommen werden, dass sie das Subjekt des Prozesses sind und nicht dessen Objekt. Sie dürfen nicht lediglich die „Zielgruppe“ von  bevormundenden „Integrations- oder Sozialmaßnahmen“ sein oder als „Problemfälle“ in Bestehendes „integriert“ werden, sondern müssen als gleichwertige Partner an dem Projekt beteiligt werden, um dieses gemeinsam zu entwickeln und aufzubauen. Hier existiert bei vielen Menschen mit Migrationshintergrund eine gesunde und oft auch berechtigte Skepsis.

Wichtig ist, dass die öffentlichen Räume den angesprochenen, kulturell divers ausgerichteten Menschen auch tatsächlich für ihre eigenen Aktivitäten zur Verfügung stehen, dass sie selbstbestimmt und selbstverwaltet Veranstaltungen, Arbeitsgruppen und Workshops durchführen können, dass sie die Möglichkeit des eigenen Engagements haben, dass sie sich und ihre kulturelle Diversität dort entfalten, entwickeln, aber auch verändern können.

Insbesondere bei Migrantenorganisationen, die in der ganzen Stadt relativ verzweifelt nach Räumen (vom Büroraum bis zum großen Veranstaltungsraum, vom Gruppentreff bis zum Workshopraum) suchen, besteht ein enormer Bedarf, der sich schon seit längerem in der Forderung nach einem Haus der Kulturen niederschlägt. Räume für selbstbestimmte Aktivitäten migrantischer Initiativen müssen auf alle Fälle zentraler Bestandteil eines Konzeptes sein, das Raum für kulturelle Vielfalt schaffen will.

Will man öffentliche Räume so gestalten, dass unterschiedliche Kulturen sich (selbst)verwirklichen, sich entwickeln, sich begegnen und austauschen können, bedarf es umfassender Freiräume für die unterschiedlichen Gepflogenheiten des Zusammenlebens, für die unterschiedlichen kulturellen Ausdrucksformen und für die unterschiedliche Art und Weise der Geselligkeit und des Feierns. Dies sind Vorgaben, die sich nicht zuletzt auch in der Architektur und der Ausgestaltung der Räume niederschlagen sollten. So ist zum Beispiel in vielen Kulturen eine starre Anordnung von Sitzreihen nicht üblich. Die Besucher einer Veranstaltung wollen nicht frontal mit einem Geschehen konfrontiert werden, sondern sich während einer Veranstaltung bewegen, Freunde treffen, sich austauschen und kommunizieren. Möglichkeiten für eine möglichst große Kommunikation untereinander, Räume für das Palaver und für den Austausch sind zum Beispiel unabdingbar. Auch ehrfurchtseinflößende Eingangsportale und -hallen werden von vielen als Barrieren empfunden, die den Zugang zu einem „Kulturtempel“ eher verwehren als öffnen. Hier ist ein intensives Hinterfragen der Bedürfnisse, Präferenzen, aber auch der Ängste und Abneigungen der Betroffenen eine wichtige Voraussetzung für entsprechende architektonische und gestalterische Entscheidungen.

Wichtig ist in diesem Zusammenhang auch, dass das Personal, also die Menschen, die das Projekt konkret betreiben, initiieren und umsetzen auch zu großen Teilen über Migrationserfahrung verfügen.

Rolf Graser, geboren 1954 in Stuttgart, gelernter Verlagsbuchhändler und über 20 Jahre lang im Kosmos-Verlag tätig, ist seit der Gründung des Forums der Kulturen Stuttgart e. V. im Mai 1998 dessen Geschäftsführer. Ehrenamtlich ist Rolf Graser seit 26 Jahren Vorsitzender des soziokulturellen Zentrums Laboratorium” in Stuttgart und dort auch heute noch aktiv.