Erfahrungsbericht Christine Blankenfeld

Occupy Villa Berg war für mich persönlich eine sehr wichtige folgenreiche Erfahrung: Es gibt in dieser Stadt, in Stuttgart, eine Menge toller, hochkompetenter Menschen, die sich mit Lust und Leidenschaft für etwas einsetzen wollen und können. Jenseits der üblichen Pfade. Die Stadt und ihre Menschen haben etwas zu bieten, was niemand bezahlen kann. Engagement!

Was habe ich daraus gelernt? Für mich war vor allem unser Stand auf der Langen Ost-Nacht ein Schlüsselerlebnis. Das große Luftbild vom Park und der näheren Umgebung, das wir auf die Straße geklebt hatten, zog die Leute magisch an. Sie blieben stehen und kamen ins Gespräch. So ein Gespräch braucht Zeit. Viel Zeit. Die Menschen, die hier leben, verbindet etwas mit ihrem Park: Kindheitserinnerungen, Konzerte, Spazierengehen, Schachspielen und tausend andere Dinge. Der Park liegt ihnen am Herzen. Und wer sich einmal auf das Gedankenspiel „Was soll daraus werden?“ eingelassen hatte, sprudelte schnell vor lauter kleinen und großen Ideen. Gerade unsere Offenheit, dass wir alles ohne Wertung aufgenommen haben, hat uns Tür und Tor geöffnet. Wären wir mit einer Idee, einer Forderung in diesen Prozess gegangen, wäre all das nicht möglich gewesen.

Ich glaube zudem, der Park und seine Bauten haben Glück gehabt. Dafür steht symbolisch die Villa Berg selbst. Sie schläft ihren Dornröschenschlaf. „Vernagelt und vergittert nagt die Zeit an ihr und die Patina des Verfalls überzieht alles … wie eine Decke des Vergessens“, schreibt die Bloggerin Marianne Kreichgauer. Das eröffnet Freiräume, regt zum Träumen an. Was aber nicht bedeutet, dass der Park nicht lebt! Da gehen Menschen spazieren, joggen, Hunde ausführen. Kinder toben über die Wiesen. Es gibt einen Spielplatz. Besonders beeindruckt hat mich eine Tai-Chi-Gruppe, die stundenlang übte. Was ein Anblick vor der schlafenden Villa!

Meine Vision

Häusslerpleite, Investorenstreit und Politik haben die Villa Berg wachgeküsst. Seitdem kakelt und krakeelt es in der Stadt: Wem gehört der Park? Die Villa Berg? Die Funk- und Fernsehstudios? Und was soll aus ihnen werden? Einige sagten: „Lasst doch alles einfach so, wie es ist!“ Dieser Gedanke hat mich beschäftigt, auch wenn ich ihn in dieser Absolutheit nicht teile. Dahinter steckt die Sorge, dass hier viel Geld ausgegeben werden könnte. Und dann der Charme der Anlage zerstört wird und die Anwohnerinnen und Anwohner das Nachsehen haben.

Wer sind die Anwohner? Das Gebiet rund um die Villa Berg erscheint überschaubar. Dennoch „eröffnet sich bei genauer Betrachtung ein bunter Mikrokosmos mit fast allen Facetten der Stuttgarter Stadtgesellschaft. Viele Nationalitäten, jung und alt, reich und arm treffen auf engem Raum aufeinander,“ schreibt Michael Haußmann in seinem Beitrag. Auch das Bildungsniveau innerhalb des Gebiets ist kleinräumig betrachtet höchst heterogen. Nein, das hier ist kein privilegierter Stadtteil, aber auch kein Moloch.

Ich finde: Der Park muss Ruhepol und Lebenszentrum bleiben und zuerst für die Menschen in seiner Nachbarschaft da sein. Anderseits stellt sich für mich auch die Frage, was mit der Villa Berg selbst und den Funk- und Fernsehstudios geschehen soll. Die meisten wollen die Villa Berg erhalten sehen. Mit einer offenen kulturellen Nutzung für alle, nicht teuer, nicht Luxus.

Zu den Funk- und Fernsehstudios dagegen gehen die Meinungen weit auseinander. Ich finde: Abriss und Renaturierung für 7 Millionen Euro sind viel, sehr viel Geld dafür, dass zum Schluss eine grüne Wiese herauskommt. In mir sträubt sich alles dagegen. Die Gebäude sind hässlich, keine Frage. Sie gehören aber zu den historischen Schichten dieser Stadt. Und sie stehen baulich offensichtlich gut da! Ein schonender Umgang mit Ressourcen sieht anders aus, als sie einfach abzureißen – ökologisch wie finanziell. Stuttgart leidet unter einem eklatanten Mangel an kostengünstigen Räumen für soziale und kulturelle Nutzungen. Die drei Tiefgeschosse ohne Tageslicht ergeben Proberäume für Bands und für Musiklehrer. Schalldicht. Da dringt kein Ton nach Außen. Auch der Modelleisenbahner-Verein braucht viel Platz und kein Tageslicht. Der sucht nämlich Räume, sagte ein Herr auf der Langen Ost-Nacht. Die vielen Ideen, Bedürfnisse und Bedarfe, die wir gesammelt haben, können in der Villa Berg selbst nicht einmal im Ansatz Raum finden. Dazu ist sie zu klein. Die Funk- und Fernsehstudios bieten dagegen allen Platz der Welt! Und sie sind schon da. Nicht teuer sanieren, sondern Raum schaffen für Subkultur, das ist meine Vision. Wenigstens als Zwischennutzung, die aber für mindestens 10 Jahre.

Und ganz besonders würde ich mich freuen, wenn Stuttgart hier auch organisatorisch neue Wege geht. Eine Bürgerstiftung, ein Nutzerrat, ein Gemeinwesenprojekt „Villa Berg“. Auch was die Finanzierung angeht. Der Bremer Bürgerpark lässt grüßen. Und viele andere Beispiele mehr, wie auch dieser Bericht zeigt. Packen wir es an!