Vladislav Grakovskyi und Xenia Lakmut (Theater Atelier)

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Zum Abschluss von Occupy Villa Berg interviewen wir engagierte Bürgerinnen und Bürger, die mit ihren Aktionen den Park der Villa Berg bereichert und belebt haben. So haben wir auch Vladislav Grakovskyi, und Xenia Lakmut, Regisseurin und Regieassistentin des Theater Atelier, ein paar Fragen gestellt. Gemeinsam mit ihren Schauspielern haben sie einen Theaternachmittag am Belvedere gestaltet.

Könnten Sie uns das Theater, die Sie angeboten haben, kurz beschreiben? Wie kam es zur Auswahl der Stücke?

Das Kunst- und Kulturprojekt Theater Atelier in Stuttgart-Ost bietet eine umfangreiche Palette der modernen Kunst in den Bereichen Theater, Choreografie und Musik. Das Theater arbeitet mit vielen Darstellern und Musikern zusammen. Hier werden Schauspiel, Tanz und Gesang auf eine unverwechselbare Weise mit interkulturellen Elementen verbunden. Wir haben Auszüge aus zwei unserer Stücke vorgeschlagen, weil diese zwei Inszenierungen total unterschiedlich sind. Der Idiot nach Dostojewski: die erste Hausproduktion des Theaters Atelier. Ein Klassiker. Traum und Realität sind darin eng miteinander verflochten. Russendisko frei nach Kaminer: Ein Bestseller über Gegenwart (oder jüngere Vergangenheit). Dieses Stück ist perfekt zum Zurücklehnen und Entspannen. Eine urkomische Geschichte mit internationalem Touch. Beide Stücke haben ihren ganz persönlichen Charme. Sie unterhalten nicht nur, sondern regen zum Nachdenken an.

Warum war das Belvedere der passende Ort für den Auftritt? 

Wir sind ein Kammertheater, also sind wir die Nähe zu den Zuschauern gewöhnt. Doch die einzigartige Kulisse in Kombination mit Tageslicht, so eine Vorstellung hatten wir noch nie. Nun haben wir vor in unserem Hinterhof eine Freilichtbühne zu organisieren. Es ist ganz anders als auf der Bühne und mit Kunstlicht vor dunklem Saal zu spielen. Der Auftritt bei der Villa Berg war sozusagen unsere erste Probe im Freien. Außerdem war es sehr spannend von allen Seiten von Zuschauern umringt zu sein und die Reaktionen der Zuschauer nicht nur zu hören und zu spüren, sondern diese auch zu sehen.

Welche Besonderheiten zeichnen aus Ihrer Sicht Villa Berg und Park aus?

Es gibt einen tollen Blick auf die Stadt und sehr viel Grün. Die wunderbare Architektur bietet eine phantastische Kulisse. Eine Vielzahl an Kulturangeboten in so einer Umgebung klingt einfach magisch.

Was wollten Sie durch das Theater den Teilnehmern vermitteln?

Nicht alles ist so, wie es auf den ersten Blick scheint. Oft muss man seine Handlungen hinterfragen und Entscheidungen neu abwägen. Für das kämpfen, was man liebt. Oder sich einfach mal auf sein Bauchgefühl verlassen und keine Angst vor Neuem und Unbekanntem haben.

Wie waren die Reaktionen und Rückmeldungen der Teilnehmer? Was nehmen die Teilnehmer mit? 

Die Zuschauer fanden es spannend mittendrin statt nur dabei zu sein und die Emotionen so nah zu spüren. Unser Ziel war es den Zuschauern das Gefühl zu vermitteln, zu den Stücken dazuzugehören und sich mitten in den Geschehnissen zu befinden und das ist uns erfolgreich gelungen.

Was bedeuten Villa Berg und Park für Sie persönlich?

Wir finden es spannend eine so tolle Nachbarin in der Villa Berg gefunden zu haben. Wir sind gerne im Park unterwegs, sei es um ein neues Stück zu proben oder ein Außentraining mit der Schauspielschule durchzuführen.

Welche Vorschläge und Ideen haben Sie, um die Villa Berg und den Park weiter zu beleben?

Kulturelle Angebote für Jung und Alt. Open Air-Theater und Kino. Workshops und Mitmachaktionen. Die Villa und der Park schaffen eine einmalige Atmosphäre und bieten eine großartige Umgebung für die kulturelle Entwicklung Stuttgarts.

Eine Frage an Raphaela Schütz: Wie blicken Sie als Jugendliche auf Villa Berg und Park im Wandel der Zeit?

2015-10-25 13.04.28

Villa Berg – Im Wandel der Zeit
(Raphaela Schütz)

Einleitung

Ich habe mir das Thema „Villa Berg – Im Wandel der Zeit“ für meine Halbjahresarbeit an der Walddorfschule Silberwald ausgesucht, weil ich finde, dass die schönen Orte in Stuttgart immer mehr verschwinden oder vernachlässigt werden, so z. B. in der Innenstadt, wo anstatt Gebäude zu restaurieren immer lieber abgerissen wird, oder der Bahnhof und der Schlossgarten. Man sieht dies auch in Kleinigkeiten, dass z. B. der Aufgang von der Waldorfschule zur Uhlandshöhe nicht mehr gesäubert wird, oder dass auf die Treppe zwischen Werkstatthaus Ost und Spielplatz das ganze Laub und die Äste der Umgebung geworfen werden, so dass man sie gar nicht mehr benutzen kann.

Eigentlich wollte ich ursprünglich über mehrere Orte schreiben. Aber dann habe ich mich für die Villa Berg entschieden, da mein Lieblingsort der Rosengarten im Park der Villa Berg ist. Außerdem haben wir ein sehr neues Buch über die Villa mit interessanten Fotos gefunden.
Ich selbst wohne im Osten, ca. 30 Minuten zu Fuß von der Villa entfernt. Mein Kindergarten allerdings war ganz nah dran. Schon früher als kleines Kind war ich häufig von meinem Kindergarten aus im Park der Villa Berg. Da sind wir immer durch den Rosengarten gegangen. Und damals war immer Wasser in dem Brunnen, doch dann plötzlich war es weg. Außerdem wohnen Freunde von uns in der Nähe, mit denen wir oft mit ihrem Hund im Park der Villa spazieren gehen. Wir reden immer wieder darüber, dass die Villa und der Park mehr und mehr verfallen: zugenagelte Fenster, überwucherte Steinplatten, Bauzäune, Graffitis, Zerstörungen.

Ich finde es sehr schade, dass dieser schöne Ort so vernachlässigt wird. Wenn man sich dort aufhält, hört man viele Spaziergänger über die Villa und ihren schlechten Zustand reden. Seit Jahren kommen alle paar Monate Zeitungsartikel, in denen steht, dass die Stadt die Villa bald zurückkauft und sie renoviert, so dass sie endlich wieder genutzt werden kann – als was, ist umstritten.

Das Gebäude ist ständigem Wandel ausgesetzt. Das habe ich selbst erlebt. Zu Beginn meiner Arbeit war ich dort, um Fotos zu machen und habe festgestellt, dass das Gebäude und die Umgebung von Pflanzen überwuchert waren. Eine Woche später hatte das Gartenamt die meisten der Pflanzen abgeschnitten, leider auch das Efeu, das an einer Lampe so schön hoch gewachsen war. Noch eine Woche später war der Bauzaun, durch den man zuvor noch auf die Terrasse durchgehen konnte, durch eine Kette so gesichert, dass dies nicht mehr möglich war. Auch ist manchmal Wasser in Brunnenbecken und dann wieder nicht, je nach Wetter.

In der Arbeit schreibe ich über die Geschichte des Baus und die verschiedenen Nutzungen, über die ursprüngliche Architektur und den Park, über den heutigen Zustand, über die Skulpturen und über verschiedene Vorschläge zur Zukunft der Villa Berg. Die Fotos beziehen sich nicht immer auf den geschriebenen Text, sondern erzählen eigenständig die Geschichte der Villa Berg mit ihren Veränderungen im Laufe der Zeit. Dafür war ich häufig vor Ort. Insgesamt sind ca. 400 Fotos entstanden. Auch habe ich bei der Beschäftigung mit dem Thema und mit alten Abbildungen festgestellt, dass viele Statuen verstreut wurden und an anderen Orten wieder auftauchten. Um ihrem Verbleib auf die Spur zu kommen, war ich am Lapidarium, in der Staatsgalerie und im MUSE-O.

Die Villa war nicht so zerstört nach Krieg, dass man sie nicht wieder hätte aufbauen können. Gerne hätte ich sie in ihrem Originalzustand gesehen, vor allem das Innere. Und ich habe mir Gedanken gemacht, wie man die Villa kaufen könnte. Wenn jeder Bürger ein paar Euro geben würde … Aber so einfach ist das ja anscheinend nicht.

Bei der Beschäftigung mit der Geschichte der Villa Berg bin ich immer wieder auf Namen gestoßen, die man in Stuttgart von Straßen, Plätzen oder Gebäuden kennt: Hackländerstraße, Karlstraße, Karlshöhe, Karlsplatz, Leinsweg, Olgastraße, Olgaeck, „Olgäle“, Karl-Olga-Krankenhaus, Werastraße.

An meinem Geburtstag habe ich im Park der Villa Berg eine Rallye veranstaltet. Dazu hatte ich einen Fragebogen mit Fragen zur Villa Berg vorbereitet. So konnte ich ein bisschen auf die Veränderungen dieses schönen Bauwerks aufmerksam machen, und ich hoffe, es hat allen viel Spaß gemacht.

Eigentlich wollte ich gerne einen Film über die Villa Berg drehen, da es beim Filmwinter einen passenden Workshop gegeben hätte. Leider kam dieser mangels Teilnehmer nicht zustande. Daher bin ich bei einem anderen Kurs gelandet. Dort habe ich dann die Ur-Ur-Enkelin des Architekten der Villa Berg Christian Friedrich Leins kennen gelernt. Welch ein Zufall!

[…]

Heutiger Zustand

Der heutige Zustand der Villa ist nicht gut. Sie wirkt verwahrlost. Aus den Steinplatten vor der Villa wachsen viele Pflanzen und schieben die Platten nach oben. Die unteren Fenster der Villa wurden mit Spanplatten zugenagelt und eines der oberen Fenster wurde eingeworfen. Steingeländer wurden durch Metallzäune ersetzt, und es wurde ein Bauzaun um das immer baufälliger werdende Gebäude gezogen.

Graffitis wurden aufgesprüht – erstaunlicherweise aber nur auf den Spanplatten und in zwei Grotten, so, als ob die Sprayer Respekt vor der immer noch schönen Fassade des Bauwerks gehabt hätten. Allerdings gilt das nicht für das Garten-Belvedere/Rosengarten, dort ist im Äußeren und im Inneren des offenen Gebäudes alles voll gesprüht, nur die wunderschöne Holzdecke wurde verschont. Das Belvedere ist das einzige Gebäude, das noch einigermaßen im Originalzustand ist.

Die Nordflügel der Villa Berg wurden nach dem Krieg abgebrochen und dort ein SWR-Gebäude gebaut. Die vier Turmaufsätze der Villa wurden entfernt und es wurde ein Flachdach gebaut. Ebenso sind die vielen, vielen Statuen aus dem Park, an und in der Villa verschwunden (bis auf „Tag“ und „Nacht“ in der Nordfassade und den Nymphenbrunnen an der Ostseite). Fünf davon stehen in der Staatsgalerie, einige im Lapidarium, die Quellnymphe auf dem Pragfriedhof und einiges vergammelt im Obstkeller des Gartenamtes.

Der Park sieht ganz anders aus als früher. Der Halbmondsee wurde stillgelegt, wie alle anderen Brunnen auch. Ein Becken aus den 60iger Jahren hatte bis vorletztes Jahr noch Wasser, mit Fischen drin. Auf Nachfrage beim Gartenamt wurde gesagt, man müsse sparen. Wo früher Springbrunnen waren, sind nur noch leere kaputte Becken. Fast alle zusätzlichen Gebäude im Park sind verschwunden, wie z. B. das Torhäuschen oder die Orangerie. Die Pflanzen im Park und im Gartenbelvedere wachsen nicht mehr in dieser Fülle und Pracht wie früher.
Die später gebauten SWR-Gebäude sind mittlerweile ebenso runtergekommen wie die Villa.

[…]

Wo sind die Skulpturen?

Die einzigen noch vorhandenen Skulpturen an der Villa Berg sind der Nymphenbrunnnen an der Ostseite und „Tag“ und „Nacht“ in der Nordfassade. Viele der unzähligen Skulpturen an und in der Villa und im Park sind zerstört oder einfach verschwunden. Beim Vergleichen alter Abbildungen konnte ich feststellen, dass viele Statuen im Laufe der Zeit an anderen Orten im Park auftauchen, also umgestellt worden sind, z. B. der „Fischerknabe“, der erst im Belvedere stand und dann an einem Teich nahe der Kleinen Villa Berg.

Andere wurden verstreut und tauchen an ganz anderen Orten wieder auf. Es ist doch interessant, was im Leben einer Skulptur so passiert: Manche Skulpturen sind unglaublicherweise im Keller des Gartenamtes gelagert worden, wie die „Drei pausbäckigen Knaben“ von der Südterrasse. Die „Quell-Nymphe“ vom Rosengarten, bei der Wasser aus den Muscheln in ihren Händen heraus floss, wurde 1910 von Franz von Linden gemacht. Sie wurde aber zunächst wegen der Namensähnlichkeit zu dem „Nymphenbrunnen“ von der Ostseite der Villa dem Bildhauer Albert Güldenstein zugeschrieben. Seit den 60iger-Jahren stand sie bis 2007 auf einem Brunnen an der Südseite der Villa. Heute befindet sie sich aus Schutz vor Randalierern auf dem Pragfriedhof neben dem alten Leichenhaus und ist dort ihrer eigentlichen Funktion als Brunnenfigur beraubt.

In der Staatsgalerie in der Rotunde habe ich „Liebe macht blind“ von Donato Bacaglia aus dem Treppenhaus der Villa und vier weitere Statuen aus dem unteren Vestibül gesehen, die wegen des Winters in kleine Häuschen eingepackt sind.

Auch im Lapidarium, einem wunderschönen Ort im Stuttgarter Süden, an dem allerlei Skulpturen aufbewahrt werden, habe ich Skulpturen wieder entdeckt. Leider ist bis Mai geschlossen. Trotzdem konnte ich von außen das „Muckebüble“, das ursprünglich im Belvedere und später auf einer Wiese stand, die „Sandalenbinderin“, „Ingeborg mit dem Falken“, zwei Amphoren und die Lapis-Schale von Olga sehen.

Im Muse-O in Gablenberg soll das „Aschenbrödel“ von den Nordflügeln stehen. Ich habe sie leider nicht gefunden. Die „Jupitergruppe“ aus der Westgrotte wurde erst vor kurzem vom SWR für 50 000 Euro versteigert, da er Geld für seinen Neubau brauchte. Meine Lieblingsstatue ist eigentlich die „Winterstatue“, ehemals im Park, später auf der Südterrasse, die zusammen mit den drei anderen Statuen „Frühling“, „Sommer“, „Herbst“ zerstört wurde. Reste davon sollen im Stadtarchiv lagern, und eine Kopie davon steht in Freienwalde.

[…]

Die Autorin Raphaela Schütz ist 13 Jahre alt und hat sich im Rahmen ihrer Halbjahresarbeit an der Walddorfschule Silberwald mit der Villa Berg auseinandergesetzt. Der Gastbeitrag ist ein Auszug aus der Arbeit, der komplette Originaltext steht als PDF zur Verfügung. Die Arbeit entstand mit gedruckten Bildern und handgeschriebenen Texten und ist im Original in einem Ordner abgelegt. Der Wunsch der Autorin für Villa Berg und Park: „Ich selbst wünsche mir, dass erst einmal der Zerfall gestoppt wird, dass die Brunnen wieder fließen und der Park schöner wird, am liebsten wieder mit Pergolas und Skulpturen, und dass die Villa ein Begegnungsort mit einem schönen Café wird, wie es früher ja schon mal war.“

Prof. Horst Sondermann (Hochschule für Technik Stuttgart)

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Video- und Modellpräsentation zur Villa Berg am 14.07.15 im Projektraum Lotte (Foto: Projektraum Lotte)

Zum Abschluss von Occupy Villa Berg interviewen wir engagierte Bürgerinnen und Bürger, die mit ihren Initiativen die Villa Berg und den Park bereichert und belebt haben. So haben wir auch Prof. Horst Sondermann, Dekan der Architektur-Fakultät an der Hochschule für Technik und Koordinator eines Forschungsprojekts zu Villa Berg und Park, ein paar Fragen gestellt.

Herr Sondermann, Sie sind Dekan der Fakultät Architektur an der Hochschule für Technik Stuttgart. Ihre Hochschule engagiert sich für die Villa Berg? Wie kam es dazu?

Ich bin seit September 2013 Dekan der Fakultät Architektur und Gestaltung an der HfT Stuttgart. Die Fakultät umfasst sieben Studiengänge der Architektur, Innenarchitektur (jeweils Bachelor und Master) sowie für Stadtplanung (Master), Internationales Projektmanagement (Master) und ClimaEngineering (Bachelor). Die Zusammenarbeit zwischen den Studiengängen ist aufgrund unserer überschaubaren Größe eng und konstruktiv. Die Villa Berg haben in der Vergangenheit schon einige Kollegen aus unterschiedlichen Studiengängen in Seminaren behandelt (z.B. Prof. Peter Schneider in der Bauaufnahme).

Mit meinem Amtsantritt habe ich mir vorgenommen, dass Lehre, Projektarbeit und Forschungstätigkeit an unserer Architekturfakultät einen neuen Schwerpunkt erhalten: Architektur in Stuttgart – Aktuelle Herausforderungen im Kontext seiner Bau-, Stadtbau- und Planungsgeschichte. Mir ist wichtig, dass wir als Architekturfakultät substantielle Beiträge zur Stadtbaudiskussion in Stuttgart liefern und damit auch sichtbar werden. Park und Gebäudebestand der Villa Berg verlangen danach, dass für eine sinnvolle Debatte um ihre Zukunft Grundlagen ermittelt und bereitgestellt werden, aus denen sich die Geschichte des Baus und seines Verfalls besser erklärt. Frei von politischen und kommerziellen Interessen kann unsere Architekturfakultät dies in vielfältiger Weise tun.

Das Engagement der Hochschule für die Villa ist groß. Warum halten Sie diese Arbeit für wichtig? Spielt die Villa Ihrer Meinung nach eine wichtige Rolle für Stuttgart? Wenn ja, warum?

Kultur wird selektiv rezipiert, Stadt kollektiv – in der Gesamtheit ihrer Quartiere, Bauten, Bahnhöfe, Straßen, Plätze, Parks ist sie ein Kulturprojekt für alle. Stadt konfrontiert uns mit gemeinsamer Geschichte und hat damit zentrale Bedeutung für unsere Selbstvergewisserung als politische Gemeinschaft. Ihre tieferen Texturschichten erlauben Erinnerungen und Einsichten in eine Welt jenseits eigenen Erlebens und familiärer Erzählung. Die Bilderwelt der Stadt ist aus- und abgelagertes kollektives Bewusstsein – schwinden die Bilder, verblassen die Erinnerungen. Geschichtslos und politisch dement, droht uns die Reduktion auf das Management des Augenblicks: Das Ende einer erfolgreichen Gesellschaft. Wir brauchen Denkmäler zum Überleben.

Die Villa Berg erinnert an das Haus Württemberg und die einst enge Verbindung zu Russland, an eine produktive königliche Stifterin diverser karitativer Einrichtungen, an das Erwachen bürgerlichen-emanzipativen Bewusstseins, ist wichtiger Beitrag der Villenbaugeschichte im 19. Jahrhundert, erzählt von der Schöpfungsgeschichte der modernen Architektur, mit ihrem Park illustriert sie einen Teil Stadtgeschichte.

Die Arbeit der Hochschule gliedert sich in zwei Teile: den Pavillon am Belvedere und die Villa. Das Belvedere wird auf Anstoß und mit Unterstützung Ihrer Hochschule saniert. Welchen Bezug haben Sie als Hochschule zu dem Gebäude? Welche Arbeit leistet die Hochschule im Bereich des Belvedere und welche Kollegen und Partner sind eingebunden?

Wir haben als Gegenstand unseres Engagements den Park der Villa Berg als städtisches Areal identifiziert. Damit ist erstmal alles eingeschlossen, was innerhalb liegt, also das Belvedere mit seiner Pergolenkaskade, der Villentorso nebst Sendesaal, die SWR-Bauten, Tiefgarage, die Parkanlage selbst. Architekt des Belvedere war Joseph von Egle, der langjähriger Rektor unserer Hochschule war. Der Pavillon war Gegenstand umfassender bautechnischer Untersuchungen unter der Leitung der Kollegin Dr. Gabriele Grassegger, unterstützt von Bauaufnahme und Dokumentation unter der Leitung des Kollegen Dr. Peter Schneider, finanziell unterstützt von der Knödler-Decker-Stiftung i.P. Ulrich Scholtz. Die Sanierung erfolgt jetzt durch die Firma Kärcher ihm Rahmen ihres Kultursponsoring unter der Leitung der Architekten Till Läpple und Manuel Sauter.

Welche Arbeiten sind für die Villa selbst abgeschlossen, in Arbeit oder für die Zukunft geplant und welche Fachbereiche und Kollegen sind hier involviert?

Abgeschlossen ist der Bau eines großen städtebaulichen Modells, das im Maßstab 1:1.000 einen Ausschnitt Stuttgarts mit dem Park der Villa Berg zeigt. In Arbeit ist eine umfassende Sammlung von Archivalien: Pläne, Darstellungen, Quellentexte. Parallel werden diese ausgewertet und an einer aktualisierten baugeschichtlichen Darstellung und Bewertung der ehemaligen Villa gearbeitet. Jetzt beginnen wir mit der digitalen Rekonstruktion der Villa, sowohl in historischer wie aktueller Fassung. Diverse Seminararbeiten Studierender sind abgeschlossen bzw. in Arbeit. Geplant ist eine von uns kuratierte Ausstellung zur Villa Berg im April 2016, in der wir unsere Archivalien, Modelle, Zusammenfassungen unserer Recherchen und Studienarbeiten präsentieren. Involviert sind an erster Stelle Kollegen unserer Architekturfakultät, die Studienarbeiten betreut haben oder dies noch tun: Dr. Peter Schneider (i.R.), Jo Frowein, Dr. Christina Simon-Philipp, Dr. Detlef Kurth, Roland Dieterle, Rebecca Chestnutt, Tobias Wulf, Harald Roser, Peter Krebs. Von der Fakultät B (Bauingenieurwesen, Bauphysik und Wirtschaft) hat sich Dr. Gabriele Grassegger mit bautechnischen Untersuchungen des Belvedere befasst. Für die Gesamtkoordination des Villa Berg-Engagements unserer Architekturfakultät bin ich zuständig. Rektor Rainer Franke und Ulrich Scholtz von der Knödler-Decker-Stiftung unterstützen das Projekt mit Nachdruck und Geld.

Welche Rolle spielt der Park bei Ihrer Arbeit?

Unser Engagement umfasst das Areal des Parks und damit auch die Parkgestaltung selbst. Überdies wäre die Recherche zu einer Villa ohne Untersuchung des Grünraums, der sie umgibt, bautypologisch unvollständig bzw. sinnlos. Insgesamt bietet der Park natürlich das größte Potential für neue Konzepte bürgerschaftlicher Teilhabe. Auch hier ist aber zwingend, dass das historische Parklayout zuerst recherchiert und verstanden ist, bevor seine Neuformatierung debattiert wird. Beispiel: Historisch bestand eine prägnante Teilung des Parks in Ost und West mit der Villenanlage als trennende Baufigur in der Mitte. Eine Rekonstruktion derselben würde die Wiederherstellung der Platanenallee auf der Ostseite nahelegen. Villa und Park waren ein Gesamtkunstwerk und haben verdient, wieder eines zu werden – in zeitgemäßem, zu diskutierenden Format.

Wie ist der Forschungsstand? Haben Sie überraschende, besonders spannende oder ungeahnte Entdeckungen gemacht?

Bei gründlicher Lektüre historischer Skizzen, Pläne, Darstellungen und Texte offenbaren sich tiefere Einsichten in die architektonische Motivation des Villenarchitekten Leins. Die bislang vorgenommene Stilzuweisung greift für das Verständnis des Projekts Villa Berg viel zu kurz – wie beim bekannteren Schinkel liegen wesentliche Entwurfsideen und Innovationen verborgen hinter dem Vorhang historistischer Fassaden. Der Bau der Villa Berg korreliert mit Emanzipation und Ermächtigung des Bürgertums als Motor der industriellen Revolution und illustriert dies auch in Form bemerkenswerter bautypologischer Neuinterpretationen, die Leins gegenüber dem klassischen Kanon vornimmt. Hier sind insbesondere der Kontrast zwischen traditioneller Portalsymbolik und pragmatischer Hauserschließung, zwischen humanistischem Grundrissideal und zweckmäßiger Wohnkonzeption zu nennen. Der 31-jährige Leins ist mit seinem Villenentwurf von 1845 ein bislang unbekannter Wegbereiter der modernen Architektur.

Werden die Ergebnisse öffentlich zugänglich gemacht?

Öffentlich präsentieren werden wir unsere Ergebnisse in der genannten Ausstellung. Darüber hinaus empfehlen wir uns von der Architekturfakultät der HFT Stuttgart für die Vorbereitung, Ausschreibung und Betreuung eines städtebaulichen Ideenwettbewerbs zum Park und Gebäudebestand der Villa Berg – Teilnehmer sollten Architekten, Stadtplaner und Landschaftsarchitekten sein. Ein konstruktiver, kulturell nachhaltiger Bürgerdialog über die Zukunft der Villa Berg und ihres Parks kann nur auf der Basis gesicherten Wissens und fachlich fundierter Ideen gelingen.

Eine Frage an Dr. Susanne Dieterich: Welche Rolle spielten die Ehefrauen von Fürsten und Königen und wie nahm Königin Olga sich ihrer Aufgabe an?

Großfürstliche und königliche Wohltätigkeit
 (Susanne Dieterich)

Hinweis: Dieser Text wurde zuerst veröffentlicht durch das Haus der Heimat des Landes Baden-Württemberg (Hrsg.), Stuttgart 2008 in der Publikation „Olga – russische Großfürstin und württembergische Königin“ und uns mit freundlicher Genehmigung der Autorin zur Verfügung gestellt.

Soziales Engagement von Fürstinnen und Königinnen musste sich immer zwischen vielen Betätigungsfeldern bewegen und sich einen Platz schaffen. An der Seite eines regierenden Herrschers hatte sich die Ehefrau in die politischen und gesellschaftlichen Gegebenheiten der Zeit einzuordnen und konnte sich nur innerhalb der Vorgaben der Herrschaft ihres Mannes bewegen. Eigene Vorstellungen politischen Handelns mussten sich in den gegebenen Rahmen einpassen und konnten etwa im Falle sozialer Not allenfalls korrigierend oder vorsichtig reformierend umgesetzt werden, gesellschaftliche Übel nicht an der Wurzel gepackt, sondern höchstens gemildert werden. Viele Fürstinnen waren sich dieses Dilemmas durchaus bewusst. „Mit Suppenküchen allein lässt sich die soziale Frage nicht lösen“, so brachte es die Adoptivtochter Königin Olgas, Großfürstin Wera einmal auf den Punkt.

Für kluge und politisch interessierte Königinnen wie Katharina Pavlovna oder Olga Nikolaevna waren diese Einschränkungen gewiss nicht leicht hinzunehmen. Hinzu kam der Druck aus der eigenen, herrschenden Gesellschaftsschicht, bei allen Versuchen, Not und Missstände im Land zu lindern, den Status Quo zu erhalten. Königliche Wohltaten sollten auf keinen Fall grundlegende Veränderungen bewirken, allenfalls kosmetische Veränderungen und soziale Befriedung, auf dass Ruhe im Lande herrschen möge. Demgegenüber stand die Erwartungshaltung des gemeinen Volkes an ihre Königin als Landesmutter. Nachhaltige Hilfe und echtes Verständnis waren hier gefragt. Beiden Rollen gerecht zu werden, kam sicherlich einer Gratwanderung gleich. Es spricht für die Klugheit und das diplomatische Geschick von Königin Olga, dass sie bis heute als Wohltäterin für die Menschen ihres Landes positiv in Erinnerung geblieben ist.

Schon die Tatsache allein, dass sie ihre Aufgabe als glaubwürdige Landesmutter überhaupt angenommen hat, ringt auch heutigen Beobachtern Respekt ab. Hätte diese schöne, reiche, allem ästhetisch Schönen aufgeschlossene Frau doch durchaus auch den Annehmlichkeiten einer Spaßgesellschaft frönen können und die unbequeme, arbeitsintensive Seite der Rolle einer Frau an der Seite eines mächtigen Mannes einfach leugnen oder beiseite schieben können. Beispiele einer solchen Haltung gibt es genug, auch heute noch.

Doch die russische Großfürstin Olga hatte bereits als Kind gelernt, Augen und Ohren für andere zu öffnen, Pflichten anzunehmen und Disziplin sich selbst gegenüber zu üben. Das war Tradition bei den Frauen ihrer Familie. Vorbilder hatte sie bereits als Kind genug in der eigenen Umgebung. Ihre Großmutter väterlicherseits, die württembergische Prinzessin Sophie Dorothea von Württemberg alias Maria Pavlovna, hatte als Ehefrau des Zaren Paul und einflussreiche Mutter der späteren Zaren Alexander I. und Nikolaus I. mit beachtlichen Erfolgen versucht, durch Gründung von Wohltätigkeitsvereinen, Schulen, Findelhäusern und Waisenheimen, die Sozialpolitik in Russland zu beeinflussen. Sie hatte sich ebenso wie ihre Tochter, die Tante Olgas und spätere württembergische Königin Katharina, nicht mit kurzsichtigen Almosengaben begnügt, sondern mit langfristigen Hilfsmaßnahmen den Menschen Hilfe zur Selbsthilfe angeboten und damit für nachhaltigen Einfluss auf die Bildungs- und Sozialpolitik in ihren Ländern gesorgt.

An der Seite ihrer Mutter musste Olga schon als Kind regelmäßig Besuche in Klöstern, Schulen, Spitälern und anderen Wohltätigkeitsinstitutionen unternehmen. Die hervorragende Erziehung und hohe Bildung, die sie am russischen Zarenhof einst genossen hatte, ermöglichten es ihr, das Gesehene und Erlebte in größere, politische Zusammenhänge einzuordnen. Schon ihr Taufname Olga war Verpflichtung, erinnert er doch an die „Heilige Olga“ aus dem 10. Jahrhundert, Großmutter des Kiewer Großfürsten Vladimir des Heiligen, von der es in der russischen Nestorchronik heißt: „War sie doch die Weiseste unter den Menschen“.

Im September des Jahres 1846 zog die frisch vermählte Großfürstin Olga an der Seite von Kronprinz Karl in Stuttgart ein. Anders als ihrer russische Vorgängerin Katharina im Jahr 1816 bot sich ihr in ihrer neuen Heimat nicht ein Anblick des Schreckens aus Hunger und Not, den Folgen von Krieg und Naturkatastrophen. Olga war nicht zu sofortigem Handeln gezwungen. Das Land hatte sich erholt, und wenngleich das Revolutionsjahr 1848 nicht mehr weit war, so konnte man die Umstände nicht vergleichen. Auch musste Olga nicht wie Katharina schon wenige Monate nach ihrer Ankunft in Württemberg den Thron besteigen, sondern konnte sich erst einmal in Ruhe einrichten und sich zusammen mit ihrem Ehemann ihrer gemeinsamen Neigung zur Kunst hingeben. Mit dem Bau der Villa Berg im Stuttgarter Osten als Wohnsitz des Kronprinzenpaares in klassizistischem Stil nach italienischem Vorbild setzte sie für die Architektur in der Residenz neue Akzente und fand im Stuttgarter Adel und Großbürgertum zahlreiche Nachahmer bei der Errichtung von repräsentativen Villen. In ihrer verständigen Liebe zu Musik und bildender Kunst schien Olga zunächst für ein Mäzenatentum im Bereich der Kultur geeignet.

Womöglich aber lagen der politisch hochinteressierten und begabten Zarentochter Fragen der Politik und des Regierens näher als die Beschäftigung mit sozialen Themen. In späteren Jahren, als König Karl sich resigniert durch die Beschneidung seiner Befugnisse als deutscher Fürst nach der Gründung des deutschen Reiches unter preußischer Führung immer mehr aus der aktiven Politik zurückzog, sagte der russische Gesandte Alexander Gortschakov, zwar sicherlich nicht ohne Anspielung auf Karls persönliche Neigung zu Männerfreundschaften, aber doch mit deutlichem Verweis auf Olgas Disziplin und politischen Ehrgeiz: „Sie ist der einzige Mann am württembergischen Hof.“ Doch ihre Rolle als Frau an der Seite des Kronprinzen und später des Königs drängte sie in ein enges Korsett und beschränkte sie auf die traditionell einzige den Frauen der Herrschenden zugestandene öffentliche Betätigung der Mildtätigkeit.

Noch hatte ihre Schwiegermutter Königin Pauline die bereits geschaffenen Wohltätigkeitsinstitutionen „besetzt“, und Olga unterstützte sie. Bevor sie eigene Akzente setzte, erfüllte sie zunächst die klassische Funktion der Schirmherrschaft für gemeinnützige Zwecke. So übernahm sie etwa im Jahr 1847 das Protektorat für die „Heil- und Pflegeanstalt für schwachsinnige Kinder“ in Mariaberg. Im Dezember 1846 war der Trägerverein für eine Heil- und Pflegeanstalt in dem ehemaligen Benediktinerkloster Mariaberg gegründet worden, am 1. Mai des folgenden Jahres konnte die von dem Uracher Oberamtsarzt Carl Heinrich Rösch geplante Behinderteneinrichtung eröffnet werden. Mariaberg war eine von insgesamt 25 Anstalten im Land, um die sich Olga als Kronprinzessin und später als württembergische Königin persönlich kümmerte, bei zahlreichen Besuchen immer wieder nach dem Rechten sah, aus ihrem persönlichen Vermögen Geld gab und selbst nach geeigneten Lehrer, Betreuern und Ärzten suchte.

So auch für das bis heute bestehende renommierte Kinderkrankenhaus in Stuttgart, das „Olgäle“, das 1847 unter ihren persönlichen Schutz gestellt wurde. Es war fünf Jahre zuvor von zwei Stuttgarter Ärzten speziell als Krankenhaus für Kinder, Lehrlinge und jugendliche Arbeiter ins Leben gerufen worden. Dass es Bestand haben sollte und genügend Geld zur Verfügung war, ist dem persönlichen Einsatz Olgas zu verdanken. 1850 bekam es den Namen „Olga- Heilanstalt“, und die Schenkung eines Geländes durch die Stadt Stuttgart ermöglichte in den 1880er Jahren eine Erweiterung mit Neubauten. Ganz in ihrem Sinne dürfte die Gründung der „Olgäle-Stiftung“ im November 1997 unter der Schirmherrschaft SKH Carl Herzog von Württemberg gewesen sein. Wie damals bei Olga erweist sich die Tätigkeit einer Frau an der Seite eines einflussreichen Mannes als „Anstifterin“ zur Werbung um Spenden für eine gute Sache als wirksamste Methode des „Fundraisings“: die Gattin des ehemaligen Stuttgarter Oberbürgermeisters Schuster mobilisiert unermüdlich die Stuttgarter Gesellschaft zum Stiften und Spenden.

Dass dies nicht immer eine leichte Aufgabe ist, davon spricht die Hofdame Eveline von Massenbach in ihrem Tagebuch am 22. April 1852: „Mit der Kronprinzessin in ihrem Kinderspital Olga-Heilanstalt, sie ist so herzig mit den Kleinen, bekümmert sich um alles. Erst viel später gestand sie mir, wie viel Überwindung diese Dinge sie gekostet […]. Auch das kleine Häuschen in der Wilhelmstrasse, wo der alte Dr. Wagner ein paar blinde Kinder mitgenommen, besuchte Ihre kaiserliche Hoheit häufig. Daraus entstand an anderem Ort – Forststrasse – die Nikolauspflege.“

Tatsächlich hat die heute weit über die Landesgrenzen hinaus bekannte Nikolauspflege am Kräherwald in Stuttgart, eine Stiftung für blinde und sehbehinderte Menschen, ihren Ursprung in einer Zwergschule für blinde Kinder, betrieben von einem Privatlehrer in einem Wohnhaus. Sie ist die erste von Olga selbst initiierte Stiftung, gegründet 1856 als Nikolauspflege, benannt nach ihrem geliebten Vater, dem russischen Zaren Nikolaus I., und sie markiert eine gewisse Wende in der Wohltätigkeit Olgas. Während sie bisher bereits bestehende Einrichtungen bestätigte und das Protektorat für bestimmte Einrichtungen übernahm, setzte sie nun mit der Gründung neuer sozialer Einrichtungen eigene Akzente.

Den Schwerpunkt legte sie dabei auf die Erziehung und Bildung der weiblichen Jugend und die Ausbildung eigener Frauenberufe. Die Entstehung zahlreicher Kinderkrippen – Olgakrippen gibt es bis heute in vielen Städten des Landes – Kinderrettungsanstalten, Kleinkinderbewahranstalten mag als eine Reaktion auf die eigene, schmerzlich empfundene Kinderlosigkeit Königin Olgas gewertet werden. Die Gründung von Ausbildungsstätten für Mädchen und Frauen jedoch weist über persönliche Betroffenheit weit hinaus auf ihr Bestreben mit der Schaffung neuer, zukunftsorientierter Institutionen nachhaltig zu wirken. Dabei setzte sie auf den weiblichen Teil der Bevölkerung. 1873 stiftete sie eine Mädchenschule im Stuttgarter Westen, das Olgastift, in dem bereits im ersten Jahr des Bestehens 166 Schülerinnen von fünf Lehrern in sechs Klassen unterrichtete wurden. Jeder Klasse wurde eine Gouvernante zugeteilt.
In diesem Zusammenhang kam wohl auch der Bedarf nach weiblichen Lehrkräften auf, und so entstand z.B. nicht nur das Lehrerinnenseminar in Markgröningen, sondern auch eine Bildungsanstalt für Kleinkinderpflegerinnen in Großheppach.

Die Ausbildung von Krankenpflegerinnen erschien Königin Olga ebenfalls von großer Wichtigkeit. Der Württembergische Sanitätsverein, nach der Genfer Konferenz und im Vorfeld der Entstehung des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz 1863 in Stuttgart zur Hilfe für verwundete Soldaten gegründet, richtete am städtischen Krankenhaus von Heilbronn eine Krankenpflegeschule ein, aus der die evangelische Olga-Schwesternschaft hervorging. Königin Olga, die 1865 die Leitung des Württembergischen Sanitätsvereins übernommen hatte, wurde die Schirmherrin der Olgaschwestern. Diese sollten dann für das nach dem Tod Königin Olgas 1894 im Stuttgarter Osten gegründete Karl-Olga-Krankenhaus, an das ebenfalls eine Krankenpflegeschule angeschlossen wurde, den Pflegedienst übernehmen.

Das 25-jährige Ehejubiläum des württembergischen Königspaares Olga und Karl am 23. September 1971 brachte noch einmal einen Aufschwung der Wohltätigkeit im Land. Zahlreiche Spenden zugunsten wohltätiger Zwecke wurden aus Anlass der Silbernen Hochzeit im ganzen Land gemacht, Stiftungen und Zustiftungen gegründet. So gründete Königin Olga selbst am 13. Juli 1871 die Karl-Olga-Stiftung zur Unterstützung „unverehelichter Töchter von verstorbenen verdienten Männern, welche im württembergischen Civil- oder Militärdienste gestanden sind“. Insgesamt 30 bedürftige „Präbenden“, also eine Art Pfründnerinnen, welche in den Genuss einer regelmäßigen finanziellen Unterstützung kommen, wurden von einer ehrenamtlichen Kommission ausgewählt, welche nun eine jährliche finanzielle Unterstützung zwischen 100 und 300 Gulden erhielten. Sie mussten mindestens 18 Jahre alt sein und das Zeugnis eines untadeligen Lebenswandels vorweisen. Sie blieben im Genuss der Präbende solange ihre Bedürftigkeit fortbestand und sie nicht heirateten. Ein unwürdiger Lebenswandel zog den Verlust der Präbende unweigerlich nach sich. Schwestern wurden nur in Ausnahmefällen gleichzeitig unterstützt. Das Stiftungskapital in Höhe von 105.000 Gulden kam aus dem Privatvermögen der Königin. Damit es „niemals verringert, sondern vermehrt“ würde, sollte das Stiftungsvermögen wie folgt angelegt werden: 5.000 Gulden sollten abgeschieden und die Zinsen und Zinseszinsen daraus dem Stiftungskapital zugeschlagen werden, bis zu 15.000 Gulden, davon sollten 10.000 Gulden dem Hauptkapital hinzugefügt und mit den übrigen 5.000 Gulden wieder genauso verfahren werden. So sollte die „milde Stiftung für ewige Zeiten“ gelten. Zustiftungen ließen nicht lange auf sich warten. Bereits im September 1874 stiftete die Witwe des Generalkonsuls Seybold den Betrag von 2.000 Gulden zu, im Februar folgten 50.000 Francs aus einem Graf-Loubal-Kapital, und Fürst Michael Gortschakov, inzwischen kaiserlich- russischer Gesandter in Spanien, zahlte im Sommer 1889 10.000 Francs in die Karl-Olga- Stiftung ein. Sogar der Gemeinderat der Stadt Stuttgart mit seinem Oberbürgermeister Sick an der Spitze erwies sich als spendabel: anlässlich der Silbernen Hochzeit vermachte er am 23. September 1871 ein „Grundstück an der Kasernenstrasse Parcelle Nummer 253, ein Achtel Morgen neunzehn Quadratruthen im Maß haltend“ zum Geschenk, für die Errichtung eines Neubaus für die von Königin Olga gegründete Kinderkrippe, „deren heilsame Wirksamkeit für die bessere Verpflegung der Kinder jüngsten Alters über eine große Anzahl armer Familien sich ausdehnt“.

Solche Gaben gehörten zweifellos zu den spektakulären Wohltaten im Umkreis der Mildtätigkeit der Königin und mögen sie ebenso befriedigt wie ermutigt haben. Ebenso die Schaffung eines Verdienstordens, den König Karl ihr zu Ehren „Olga- Orden“ nannte. Dass er „auf dem Geburtstagsfeste meiner Gemahlin der Königin Majestät und Liebden“ den Olga- Orden an den Leiter der Bildungsanstalt für Kleinkinderpflegerinnen verlieh, war seine Art, ihr Respekt und Anerkennung auszudrücken. Und dass er anlässlich seines 25. Regierungsjubiläums 1889 einen Karl-Olga-Orden für Verdienste um das Rote Kreuz und den unter ihrem Protektorat stehenden Württembergischen Sanitätsverein stiftete, war ihr gewiss eine schöne Genugtuung.

Mühseliger gestaltete sich ihr Tun im Alltag. Hier sah sie sich tagtäglich mit zeitaufwändigen Repräsentationspflichten und gesellschaftlichen Terminen konfrontiert, mit dem Management ihrer bereits bestehenden Wohltätigkeitseinrichtungen, fleißigem Aktenstudium und nervtötenden Vereinssitzungen. Unzählige Eingaben wurden an sie herangetragen, Bittgesuche aller Art. Diese reichten von der Verwendung zugunsten einer Bad- und Waschanstalt für Bedürftige oder des Vereins zur Fürsorge für Fabrikarbeiterinnen bis hin zur Bitte um Fürsprache beim russischen Zaren noch kurz vor ihrem Tod 1892, die drei Söhne eines verarmten ukrainischen Leutnants auf Staatskosten in ein Militärgymnasium aufzunehmen.
Und zur Erlangung von Popularität gereichte ihr das Engagement für die am meisten Verachteten in der Gesellschaft auch nicht gerade, für den „Verein für entlassene Strafgefangene“ ebenso wenig wie für das „Rettungshaus für verbrecherische und entartete Knaben evangelischer Konfession auf dem Schönbühl“.

Königin Olga verweigerte sich nicht, auch als sie längst von Alter und Krankheit gezeichnet war, und obwohl ihr selbst von ihrem Schicksal wenig persönliches Glück, kaum unbeschwerte Lebensfreude und weder als Frau noch als Mutter erfüllte Liebe beschert wurde.

Literaturhinweise:

  • Das Königreich Württemberg 1806 – 1918. Monarchie und Moderne.
    Katalog zur Landesausstellung Baden- Württemberg. Landesmuseum Württemberg. Stuttgart 2006
  • Dieterich, Susanne. Württemberg und Russland. Zur Geschichte einer Beziehung. Leinfelden- Echterdingen 1994/2007
  • Olga, Königin von Württemberg. Traum der Jugend. Pfullingen 1955
  • Uhland, Robert (Hrsg.) Das Tagebuch der Eveline von Massenbach. Stuttgart 1997

Dr. Susanne Dieterich ist Historikerin und beschäftigte sich bereits in zahlreichen Publikationen mit dem württembergischen Königshaus und der Rolle der Frau in der Monarchie. Derzeit arbeitet sie für die Stadt Stuttgart im Bereich „Förderung Bürgerschaftliches Engagement“ und ist Geschäftsführerin des Initiativkreises Stuttgarter Stiftungen.

Taschenlampen-Spaziergang (17.10.15)

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Fotos: Michael Haußmann (www.lightsniper.de)

„Die Nacht hat viele Gesichter“. Unter diesem Motto haben Occupy Villa Berg und StudentInnen des Studiengangs Sprechkunst der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Stuttgart zu einem Spaziergang durch den Park der Villa Berg im Rahmen der stuttgartnacht am 17. Oktober 2015 eingeladen. Mit Taschenlampen haben sich die Spaziergänger ihren Weg durch den Park geleuchtet, Startpunkt war die Evangelische Heilandskirche Stuttgart-Berg. An mehreren Stationen begegneten den Spaziergängern Gedichte und Texte zur Nacht. Mitgewirkt haben Irene Baumann, Chantal Busse, Steffen Hofmann, Nora Krauter, Patrick Suhm, Elisa Taggert und Maren Ulrich.

Frank Bossert (SWR Vokalensemble)

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Zum Abschluss von Occupy Villa Berg interviewen wir engagierte Bürgerinnen und Bürger, die mit ihren Aktionen den Park der Villa Berg bereichert und belebt haben. So haben wir auch Frank Bossert,  Mitglied des SWR Vokalensemble und Initiator des Wandelskonzerts ein paar Fragen gestellt.

Wie entstand die Idee zu Ihrer Aktion?

Mit mehreren Mitgliedern des SWR Vokalensembles haben wir uns bei Occupy Villa Berg engagiert. Wir wollten an der Zukunft der Villa Berg mitwirken, denn sie war vor dem Verkauf durch den SWR der Probenraum des Vokalensembles und ist uns ans Herz gewachsen. Die Initiative fragte uns, ob wir einen musikalischen Beitrag einbringen könnten. Da die Villa selbst geschlossen war, entstand die Idee, den Park zu einem großen Konzertraum zu machen.

Könnten Sie uns die Aktion, die Sie angeboten haben, kurz beschreiben?

Zum „Tag des offenen Denkmals“ veranstalteten wir ein Wandelkonzert um das geschlossene Denkmal. Acht Sängerinnen und Sänger des Vokalensembles zogen mit dem Publikum einmal um die Villa und brachten an markanten Stellen im Park Vokalquartette von Felix Mendelssohn Bartholdy und Friedrich Silcher zu Gehör. Abgerundet wurde das Programm durch Gedichte, vorgetragen von Maren Ulrich. Die finanzielle Unterstützung übernahm der Förderverein des SWR Vokalensembles.

Was wollten Sie durch das Wandelkonzert den Teilnehmern vermitteln?

Villa und Park sind beides Denkmäler mitten in Stuttgart, die einen wunderbaren Charme ausstrahlen, sich aber in einem vernachlässigten bis verwahrlosten Zustand befinden. Diese Situation wollten wir dem Publikum zeigen. Gleichzeitig war es unser Ziel Villa und Park mit unseren Liedern in einen neuen Zusammenhang zu stellen.

Wie waren die Reaktionen und Rückmeldungen der Teilnehmer?

Von der Resonanz waren wir total überrascht. Gerechnet hatten wir mit ca. 80 Teilnehmern und waren überwältigt, als wir vor einem Meer von 450 Leuten standen. Die Sorge, wie sich diese Menschenmenge gut durch den Park führen ließe, war unbegründet. Occupy Villa Berg hat das mit bewundernswerter Ruhe und Klarheit geschafft. Dies und die gesamte Betreuung haben uns sehr beeindruckt. So wurde das Konzert für das Publikum ein Erlebnis, bei dem Musik, Literatur, Natur und Architektur auf besondere Weise zusammenwirkten. Einen kleinen Eindruck davon gibt das Stimmungsbild auf YouTube „Wandelkonzert mit dem SWR Vokalensemble“.

Welche Vorschläge und Ideen haben Sie, um die Villa Berg und den Park weiter zu beleben?

Villa und Park sind besondere Orte in Stuttgart. Wir stellen uns vor, dass sie eine Art „kreative Insel“ in der Stadt sein sollten. Auch das Innere der Villa hat eine eigene Ausstrahlung und einen Konzertsaal mit hervorragender Akustik. Hier wurde Rundfunkgeschichte geschrieben – aber auch Stuttgarter Geschichte, der sich Sender und Stadt stellen sollten. Das SWR Vokalensemble sieht mit der Fusion der beiden Orchester eher beengten räumlichen Probenverhältnissen in den Funkstudios entgegen – und es sucht in Stuttgart schon länger nach einem passenden Konzertsaal dieser Größe. Bei einer sinnvollen Nutzung und kulturellen Belebung der sanierten Villa Berg würden wir daher gerne mitwirken.

Eine Frage an Herr Scholtz: Wie könnte man ausgehend vom Engagement von Olga und Wera den Förder- und Stiftungsgedanken heute in der Villa Berg und dem Park aufleben lassen?

Geschichte bewahren – Zukunft ermöglichen – eine Idee

Seit dem Jahr 2005 ist die Villa Berg ungenutzt. In ihrer ursprünglichen Konzeption war sie die herrschaftliche Sommerresidenz des Kronprinzen- und späteren Königspaares Karl und Olga. Die umgebende Parkanlage – ehemals königlicher Garten – ist in großen Teilen vernachlässigt. Dabei blickt das gesamte Areal auf eine wechselvolle Geschichte zurück, die bedeutsam und prägend für Stadt und Land war und ist.

Um einem weiteren Verfall entgegenzuwirken ist schnelles und gezieltes Handeln notwendig. Zur Entlastung der Stadt schlage ich eine auf das Areal fokussierte, gemeinnützige „Stiftung Villa Berg“ vor, die effektiver als die Stadtverwaltung selbst arbeiten kann, da diese stets Prioritäten setzen und mehrere Projekte parallel betreuen muss. Eine partnerschaftliche Zusammenarbeit mit der Stadt Stuttgart und den beteiligten Behörden ist die Grundlage.

Eine „Stiftung Villa Berg« richtet ihren Stiftungszweck sowie ihre Organisationsstruktur vollkommen auf die Villa Berg aus und kann zur Unterstützung auf bestehende Netzwerke zurückgreifen sowie neue Kontakte knüpfen. Die dauerhafte Form einer gemeinnützigen Stiftung garantiert Neukonzeption und späteren Betrieb aus einer Hand. So bleiben Zuständigkeiten und Wissen erhalten. Bürgerschaftliches Engagement innerhalb der Stiftung ist gegeben. Ebenso ist das Einsammeln sowohl von Spenden – durch Einzelspender, Stiftungen und anderen Organisationen – als auch von Fördermitteln ein wichtiger Beitrag zum Gelingen des Projektes.

Leitbild und Ziel einer „Stiftung Villa Berg“

Das Ziel einer gemeinnützigen und operativen „Stiftung Villa Berg“ soll die Instandsetzung der Villa Berg sowie die Inwertsetzung des Parks – als eine Einheit, die ein Gesamtkunstwerk bilden – sowie deren Neukonzeption und Neunutzung sein. Sensibler Umgang mit der noch vorhandenen Substanz sowie Denkmalpflege sind dabei Grundgedanken. Der geschichtsträchtige Ort „Villa Berg“ sollte dabei nicht beliebig mit Inhalten gefüllt werden, sondern – neu interpretiert – an bisherige Nutzungen und Nutzer anknüpfen, Kontinuität herstellen und damit auch das Bewusstsein für die Bedeutung des Ortes stärken.

Anknüpfungspunkte für die Neunutzung der Villa können beispielsweise die sozialen Ideale und Ideen der Stifterin Königin Olga sowie der Herzogin Wera oder die ehemalige Nutzung für Kunst und Kultur als städtische Galerie, Sendesaal des SWR oder auch die Nutzung für das Haus des Dokumentarfilms sein. Auch die nationalsozialistische Geschichte des Ortes kann aufgenommen und aufgearbeitet werden.

Für den Park kann die historische Gestaltung als Landschaftspark mit Wasser, Licht und Skulpturen Ausgangspunkt für eine Neuinterpretation sein. An diesen Gedanken anknüpfend soll ein ebenso wichtiger Stiftungszweck die Förderung von Kunst, Kultur und Bildung sein. Da die Villa an einem Schnittpunkt wichtiger städtebaulicher Projekte, aber vor allem auch am Schnittpunkt dreier Stadtteile liegt und in Bezug auf Alter und kulturellen Hintergrund eine heterogene Nutzerumgebung – auch mit sozialen Problemen – vorliegt, soll das Areal in jedem Fall ein Ort des Austauschs und des Dialogs werden und als informeller Begegnungsort das soziale Miteinander fördern. Man sollte Menschen aller Alters- und Bevölkerungsgruppen ansprechen. Es sollte ein offener und lebendiger Ort werden, ein Ort für Junge und Alte, für Stuttgarter und Gäste der Stadt. Jeder soll willkommen sein.

Um das Projekt zu einem wirklichen und angenommenen Bürgerprojekt zu machen, sollte die starke Einbindung bürgerschaftlichen Engagements ein wichtiger Baustein für die Entwicklung des Projekts sein. Das Engagement der Bürgerinnen und Bürger aller Alters- und Bevölkerungsgruppen soll ihnen eigene Gestaltungsräume eröffnen und der Aneignung dienen. Zunächst werde ich diese Idee der Stadt präsentieren, ob eine Umsetzung für möglich erachtet wird und bei positiver Resonanz die nächsten Schritte einleiten.

Senator E.h. Ulrich Scholtz ist Vorstandsvorsitzender des Initiativkreises Stuttgarter Stiftungen e.V. und Vorstand der Knödler-Decker-Stiftung. Nach seinem Architekturstudium an der Hochschule für Technik Stuttgart arbeitete er u.a. als Projektbearbeiter beim Siedlungswerk Stuttgart und einer Wohnbaugesellschaft in Schwäbisch-Hall. Ab 1972 war er Partner und zwischen 1998 und 2001 geschäftsführender Gesellschafter der Kappes Scholtz Ingenieur- und Planungsgesellschaft mbH in Stuttgart. Heute arbeitet er neben den oben beschriebenen Tätigkeiten als selbstständiger Architekt und Immobilienberater und ist Ehren-Mitglied der Freunde der HFT Stuttgart.

Georg Schiel (Landschaftsplaner)

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Zum Abschluss von Occupy Villa Berg interviewen wir engagierte Bürgerinnen und Bürger, die mit ihren Aktionen den Park der Villa Berg bereichert und belebt haben. So haben wir auch Georg Schiel,  Landschaftsplaner und Experte bei den Parkführungen 2014 und 2015 ein paar Fragen gestellt.

Könnten Sie uns die Führungen, die Sie angeboten haben, kurz beschreiben?

Der Ausgangspunkt für die Führungen war die Haltestelle Mineralbäder. Wir starten also in der Talsohle des ehemaligen Nesenbachs in den heutigen Unteren Schlossgartenanlagen. Am Ausgang des Tales liegen auf der einen Seite das Schloss Rosenstein und auf der anderen Seite der Park und die Villa Berg.

Von der Haltestelle sind wir am Berger Bad (Neuner) vorbei zum Fuße des Hügels gegangen, auf dem die Villa steht. Dort beginnt der Park der Villa Berg. Nach kurzem Anstieg sieht man auf der linken Seite die Wohnungsneubauten, die durch ihre Größe und Masse den Park stark bedrängen.

Bald erreichen wir das Belvedere. Ursprünglich hatte man von hier einen schönen Blick bis in die Innenstadt Stuttgarts. Wir sehen auf die Heilandskirche und die Gebäude des SWR, die durch ihre Größe die Aussichten aus dem Park stark beeinträchtigen. Wir befinden uns hier im stark architektonisch geprägten Parkteil, der Elemente der Neorenaissance aufweist.

Vom Belvedere aus gehen wir Richtung Osten und erkennen die erhaben stehende Villa Berg. Am stillgelegten Wasserbecken vorbei gehen wir auf die unter Denkmalschutz stehenden Funkstudios des SWR zu und erreichen auf dem breiten Weg einen schönen Aussichtspunkt auf die Unteren Schlossgartenanlagen, den Rosensteinpark und das Schloss Rosenstein.

Auf dem weiteren Weg Richtung Süden gehen wir zwischen den Gebäuden des SWR auf die Villa zu. Hier war ursprünglich eine wichtige Baumallee, welche die Villa mit dem o.g. Aussichtspunkt verband. Von der herrschaftlichen Gartenanlage um die Villa ist nichts mehr übrig geblieben. Von der südlichen Terrasse hat man einen schönen Blick auf die umliegende Landschaft und auf die vernachlässigte Gartenanlage aus den sechziger Jahren über der Tiefgarage.

Der Ostteil des Parks, der im englischen Gartenstil entwickelt wurde, beherbergt einen schönen alten Baumbestand. Am ehemaligen Prallhang des Neckars, von dem man eigentlich einen schönen Blick auf Bad Cannstatt und Grabkapelle hätte, versperrt dichter Baumbestand den Blick. Auf dem Weg entlang des Prallhangs erreicht man die Berger Kirche mit einem herrlichen Blick aufs Neckartal. Von hier ist es nur ein kurzes Wegestück bis zum Ausgangspunkt zurück.

Welche Orte sind Ihnen im Park wichtig?

Die Villa Berg sitzt auf dem Hochpunkt des Geländes. Von ihr aus fällt das Gelände des Parks in alle Richtungen ab. Somit sind alle Aussichtspunkte des Parks mit ihren unterschiedlichen Blickrichtungen und -achsen (Belvedere, Aussichtspunkt Rosensteinpark, Prallhang am Neckar und Terrassen der Villa Berg) wichtige Ort, die bei einer Führung nicht fehlen dürfen.

Welche Besonderheiten zeichnen aus Ihrer Sicht den Park aus?

Der Park der Villa Berg ist gestalterisch in zwei Teile geteilt. Der süd-westliche Teil des Parks zeichnet sich durch eine strenge architektonische Gestaltung im Neorenaissance-Stil aus. Der nord-östliche Teil entspricht mehr dem englischen Gartenstil. Beide Stile harmonieren mit dem Standort der Villa. Die Blickbeziehungen innerhalb des Parks, aber vor allem die Aussichten in die nähere und fernere Umgebung, machen den Reiz dieses einmaligen Standortes aus.

Was wollten Sie den Teilnehmern vermitteln?

Die Teilnehmer der Führung konnten den einmaligen Landschaftsraum am Ende des Nesenbachtals und am Rande des Cannstatter Beckens erleben und die ursprüngliche Gestaltungsvielfalt eines Parks des neunzehnten Jahrhunderts erahnen. Ein vernachlässigter Park, der es Wert wäre, dass ihn die Stadtgesellschaft wieder entdeckt und nutzt.

Was nehmen die Teilnehmer mit?

Mitten in der Großstadt gibt es einen Park, den viele zuvor nicht kannten, der viel an Natur und Gartenkultur zu bieten hat und für den sich Engagement lohnt. Die Reaktionen auf den Park waren durchwegs positiv. Gleichzeitig gab es viel Unverständnis darüber, wie die Institutionen SWR und Stadt mit dem Park und der Villa umgegangen sind.

Was bedeutet der Park der Villa Berg für Sie?

Der Park ist für mich ein Stück Kulturlandschaft und überliefertes Erbe aus der monarchischen Zeit. Ein wohnungsnaher Natur- und Erholungsraum mit einem vielfältigen Angebot für alle Generationen.

Welche Vorschläge und Ideen haben Sie, um die Villa Berg und den Park weiter zu beleben?

Für die weitere Entwicklung des Parks ist ein Parkpflegewerk unabdinglich, das die historischen Unterlagen mit dem Ist-Bestand vergleicht und Vorschläge erarbeitet, wie der Park sich weiter entwickeln soll. Vor allen die Fehlentwicklungen im Baumbestand sind zu korrigieren und die Wege und Möblierung zu erneuern. Die Villa sollte einer öffentlichen Nutzung, die ein breites Spektrum abdeckt, zugeführt werden. Möglichst viele Bevölkerungs- und Altersschichten sollten von ihr profitieren können. Einen gepflegten Park muss man nicht mit Animation beleben. Er zieht die Menschen von alleine an.

Barbara Drescher (Landschaftsplanerin)

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Zum Abschluss von Occupy Villa Berg interviewen wir engagierte Bürgerinnen und Bürger, die mit ihren Aktionen den Park der Villa Berg bereichert und belebt haben. So haben wir auch Barbara Drescher, freie Landschaftsplanerin und Expertin beim Botanischen Spaziergang ein paar Fragen gestellt.

Könnten Sie uns die Führung, die Sie angeboten haben, kurz beschreiben?

Ich habe zum astronomischen Frühjahrsanfang im März 2015 einen botanischen Spaziergang angeboten und wollte die „Wiederauferstehung der Natur“ veranschaulichen. Außer dem Park selbst konnten die TeilnehmerInnen dessen landschaftliche Einbindung und Zuordnung zu Nesenbachtal und Neckartal erkennen.

Welche Besonderheiten zeichnen aus Ihrer Sicht Villa Berg und Park aus?

Bei der Parkführung wollte ich v.a. auf die Landschaftsqualitäten des Gipskeuper-Hügels eingehen, der genau oberhalb der Nesenbach-Mündung in den Neckar liegt und daher beide Fließgewässer zu Füßen hat. Die landschaftliche Gestaltung im englischen Stil ließ die natürlichen Gegebenheiten des Hügels mit Eschen-Ahorn-Hangwäldern zum Neckar hin zur Geltung kommen. Im 19. Jahrhundert veränderte man die Bodenoberfläche nicht so grobschlächtig, wie das heute oft der Fall ist.

Durch die freie Lage des Hügels hat man je nach Hangausrichtung sehr unterschiedliche Sonneneinstrahlung und Wärmegenuss für Pflanzen, Tiere und Menschen. Bei der Parkanlage hat man dies genutzt und je nach Himmelsrichtung z.B. einen Rosengarten angelegt oder eine Grotte. Viele der exotischen Baumarten, die man als Statussymbole von Rhein, Mittelmeerraum und anderen Gegenden hergeholt und gepflanzt hat, sind – je nach Wärmebedürfnis – sorgfältig den verschiedenen Hangausrichtungen zugeordnet.

Das Hochplateau, auf dem sich vor dem Bau der Villa Berg wohl Gärten und Äcker befanden, wurde durch Alleen mit der Villa verbunden. Ansonsten wurde es wohl eher licht gehalten, um die Blickbeziehungen zu den anderen Anwesen der königlichen Familie sichtbar zu machen. in dem Parkteil gibt es bis heute im frühen Frühling mit dem Acker-Gelbsternchen (Gagea villosa) ein seltenes Relikt aus der Zeit der Gärten und Weinberge zu sehen.

Zusammenfassend kann man sagen, dass die naturräumliche Vielfalt im Park eine hohe Standort- und Artenvielfalt mit sich bringt. Und das sieht und fühlt man – auch wenn man nichts von einzelnen Arten weiß!

Die Pflanzenartenvielfalt der Hangwälder, in denen es im Frühjahr Blausternchen, Gelbe Anemonen und Lerchensporn in großer Anzahl gegeben haben dürfte, wird heute mit Zierpflanzen den Parkbesuchern vor Augen geführt: So ist die Krokuswiese eine der Attraktionen des Parks. Kommend vom Osteingang wird man im Frühling mit blauen, weißen und hell-türkisfarbenen Pflanzenteppichen aus Szilla (Blausternchen) empfangen. Im Park hat man Naturgenuss und Gartenkultur vom Feinsten auf kleinem Raum und v.a. auch in der Nähe von dicht bebauten Siedlungen!

Was wollten Sie den TeilnehmerInnen vermitteln?

Ich wollte mit der Führung deutlich machen, dass Grünanlagen dann am Besten geplant und gestaltet werden, wenn sich die Planer auf die natürlichen Gegebenheiten einlassen und diese bei der Gestaltung der Anlage herausarbeiten – anstatt gegen die Natur zu arbeiten.

Wie waren die Reaktionen und Rückmeldungen der TeilnehmerInnen?

Sehr gefreut habe ich mich über die Rückmeldung einer älteren Dame. Sie hat mir Tage drauf begeistert erzählt, dass es sogar ihren jungen Neffen gefesselt habe, was man da sehen und erkennen konnte. Für ihn war es wie „Spuren lesen“ in der Natur.

Was bedeuten Villa Berg und Park für Sie persönlich?

Es sind die Kleinode in unserer Stadt, die man bewahren und pflegen muss. Ihr Nutzen für Kunst, Kultur und Erholung der Menschen in direkter Nähe von Siedlungen ist unermesslich hoch. Im Vergleich dazu sind die Kosten für Erhalt und Pflege der Parks eher noch gering. Das ist in meinen Augen das am besten investierte Geld für die Bürger in unserer Stadt!

Mehr Bilder zum Botanischen Spaziergang finden Sie hier.

Matze Fugel (Bergkonzerte)

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Zum Abschluss von Occupy Villa Berg interviewen wir engagierte Bürgerinnen und Bürger, die mit ihren Aktionen den Park der Villa Berg bereichert und belebt haben. So haben wir auch Matze Fugel, ehem. Popbüro Region Stuttgart und Organisator der Bergkonzerte ein paar Fragen gestellt.

Könntest Du uns die Aktion, die Ihr angeboten habt, kurz beschreiben?

Im August 2014 arbeitete ich beim Popbüro Region Stuttgart, welches die Aufgabe hat, u.a. junge Musiker und Musikerinnen zu unterstützen und zu fördern. Jedoch ist es für junge Bands durchaus schwierig, eine Location zu finden, in der sie auftreten können. Und sollte dies dann klappen, wer außer den engeren Bekannten und Freunden entscheidet sich, bei dem musikalischen Überangebot, was eine Stadt wie Stuttgart bietet, zu einem Konzert einer unbekannten Nachwuchsband zu gehen? Daraus entstand der Gedanke, man müsse diese Musiker und Bands im öffentlichem Raum platzieren, an Orten, an denen sie auch die Möglichkeit haben, sich vor unbekanntem Publikum zu präsentieren, um dieses zu generieren. So entstand die Idee des Bergkonzerts. Schnell wurden zusammen mit der Initiative Occupy Villa Berg weitere Gedanken gesponnen, wie man dieses Konzept erweitern kann. Schließlich wurde das „Bergkonzert“  bald zu der Reihe „Bergkonzerte“, die neben dem Konzertgedanken auch die Idee innehatte, Orte die bedeutend und besonders für Stuttgart sind, den Bewohnern der Stadt näher zu bringen, und diese kulturell zu beleben.

Welchen Ort habt Ihr ausgewählt? Warum?

Die Villa Berg und Umgebung war als Location perfekt geeignet für die Premiere des Bergkonzerts. Wir entschieden uns dafür, die Musiker in dem Pavillon oberhalb des Rosengartens zu positionieren. Das Publikum konnte sich an den Hang davor setzen, die Musiker waren überdacht und der Buschpilot als Getränke- und Toilettenlieferant war in gehbarer Nähe. Außerdem war der Blick von dort einfach traumhaft. Passend zum Konzert verschwand im Rücken der Musiker langsam die Sonne hinter den Hügeln Stuttgarts, was einen wesentlichen Teil zur Atmosphäre des Konzerts beigetragen hat.

Welche Besonderheiten zeichnen aus Deiner Sicht Villa Berg und Park aus?

Eine herausragende Besonderheit ist meiner Meinung die zentrale Lage des Areals. Man geht von der U-Bahn-Haltestelle SWR/Metzstraße nur einige Meter und man erwartet Vieles, jedoch nicht den Blick auf den wunderschönen Pavillon und die dahinterliegende Villa. Und doch scheint die Villa und ihre Umgebung bei vielen Stuttgartern unbekannt zu sein. Desweiteren hat das Ganze einfach eine ordentliche Portion Charme. Da stehen Überbleibsel eines imposanten Gebäudes, welches über 150 Jahre alt ist, und es scheint Keinen zu interessieren. Nein, man kommt sogar auf so verrückte Ideen, sich auf dem Schlossplatz oder im Schlosspark neben den Baggern zu erholen, dabei liegt die Ruheoase inmitten der Stadt, die Villa und der angrenzende Park.

Was wolltet Ihr mit dem Bergkonzert den Teilnehmern vermitteln?

Zum einen wollten wir natürlich junge Bands und Musiker aus dem Raum Stuttgart durch ein Konzert in öffentlichem Raum einem neuen Publikum präsentieren. Gleichzeitig war es für das Publikum eine Möglichkeit einen Ort in Stuttgart abseits des Trubels und des Alltags kennenzulernen. Durch die Reihe soll auch ein Bewusstsein dafür geschaffen werden, welche besonderen Orte es in Stuttgart gibt, die jedoch nicht direkt vor der Nase sind, aber die dennoch einen Besuch lohnen. Durch die kulturelle Belebung des Ortes wird dieser in ein anderes Licht gestellt.

Wie waren die Reaktionen und Rückmeldungen der Gäste? Was nehmen die Gäste mit?

Die Reaktionen waren durchweg positiv. Während beim ersten Bergkonzert an der Villa Berg rund 200 Gäste den Weg zum Pavillon gefunden haben, haben im Juni 2015 circa 600 Menschen den weiten Weg bis zum Teehaus im Weißenburgpark auf sich genommen. Viele haben es als wundervollen Ausklang des Wochenendes empfunden und die schöne Atmosphäre gelobt. Und wirklich Viele haben sich gewundert, dass sie doch schon so lange in Stuttgart wohnen, aber den Park, die Villa und den dazugehörigen Pavillon noch nie gesehen haben. Die Gäste nehmen bzw. nahmen auf jeden Fall einen schönen Abend mit Sonnenuntergang und schöner handgemachter Nachwuchsmusik, eine neue Lieblingslocation in Stuttgart und hoffentlich das Bewusstsein dafür mit, dass es auch abseits der Alltagswege in Stuttgart jede Menge Orte gibt, die es zu entdecken lohnt.

Was bedeuten Villa Berg und Park für Dich persönlich?

Mir persönlich bietet die Villa und der Park ganz klar die Möglichkeit, mich mit Stuttgart zu identifizieren. Es ist ein Ort abseits der überfüllten Straßen und Fußgängerzonen, der zum Entspannen geeignet ist. Außerdem ist es der Ort in Stuttgart, den ich am liebsten Freunden und Bekannten ans Herz lege, die nicht aus Stuttgart kommen. Natürlich ist die Villa für mich auch Erinnerung an einen wunderschönen Konzertabend mit allerlei lieben, lockeren und freundlichen Menschen, die einen Sonntag Abend dazu genutzt haben, in heimeliger Atmosphäre entspannter Musik zu lauschen.

Welche Vorschläge und Ideen hast Du, um die Villa Berg und den Park weiter zu beleben?

Wenn sich etwas wirklich perfekt für kleinere Konzerte eignet, dann ist es der Pavillon oberhalb dem Rosengarten. Dort könnten noch weitaus mehr Konzerte stattfinden. Für die Villa wäre es schön, wenn es eine Möglichkeit gäbe, das Angebot breit zu fächern, dass es auch für ein möglichst breites Publikum interessant ist. Oder aber, um ein aktuelles Thema aufzugreifen: Weshalb nicht ein kulturelles Zentrum für Flüchtlinge und Asylsuchende schaffen? Während es immer nur um fehlende Unterkünfte und überfüllte Bahnhöfe geht, sollte doch langsam auch das Potential jener Menschen abseits von Arbeitskraft entdeckt und gefördert werden.

Mehr Bilder des Bergkonzerts im Park der Villa Berg findet Ihr hier.